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Kultur: Ein düsteres deutsches Werk wird in Hollywood gefeiert - in Deutschland kräht kein Hahn danach

Ach, die Meisterwerke! Der Film "Oi!

Ach, die Meisterwerke! Der Film "Oi! Warning" ist auch wieder keines. Aber er hat was. Es gibt in Deutschland zur Zeit nicht viele Filme dieser Art: ernsthaft und eigenartig. Stattdessen haben wir, wenn es um Jugendkulturen oder sogenannte Randgruppen geht, zwei Sorten von Filmen. Einerseits die Komödie, die sich mit einem netten Penner oder einem lustigen Punk aufputzt, andererseits das plakativ Sozialkritische, das oft als Fernsehspiel daherkommt und immer mit einem säuberlichen Schema von gut und böse. Wir haben erstens Filme, die unsere Wirklichkeit beurteilen und meist alles von vornherein besser wissen, und zweitens Filme, die das wahre Leben als Steinbruch für ihre Gags nutzen. Offene Filme aber, die sich mit einer gewissen Leidenschaft für die Wirklichkeit interessieren, gibt es selten. "Oi! Warning" ist einer davon. Vielleicht gehört er zu den Vorboten eines neuen deutschen Sozialrealismus, ähnlich wie "Nachtgestalten", wer weiß.

"Oi! Warning" erzählt von einem Jungen aus Schwaben, Alter: 17 oder 18, der von zu Hause abhaut und sich zu einem Freund flüchtet, einem Skinhead und Kickboxer. Die gewalttätigen Rituale der Skinhead-Szene, die ausgiebig gezeigt werden, faszinieren ihn. Er möchte dazugehören. Allerdings verliebt er sich, und zwar ausgerechnet in einen Punk. Eine einfache, klassische Geschichte also, Romeo und Julia, in einem denkbar unklassischen Milieu, mit pathetischer schwuler Liebesszene im Schlamm eines leeren Schwimmbadbeckens. Fotografiert von Axel Henschel sehr streng in schwarzweiß, mit gelegentlichen Anleihen bei der Leni-Riefenstahl-Ästhetik. Einige Darsteller haben sich Dominik und Benjamin Reding, die Regisseure, bei Open-Air-Konzerten und auf dem Hamburger Kiez gesucht.

Die beiden Redings sind Zwillingsbrüder aus Dortmund, Filmstudent der eine, Schauspieler der andere. Sieben Jahre haben sie um die Realisierung dieser Geschichte gekämpft. Nicht wenigen Filmförderern und Fernsehredakteuren standen die Haare zu Berge bei diesem Gedanken: Skinheads, die nicht von vornherein unsympathisch wirken. Ein Skinhead- und Punker-Film, dessen Autoren sich ein paar Jahre lang am Rand dieser beiden Szenen bewegt haben und die selber ein bißchen so aussehen. Die größte Stärke des Films - das Rauhe, Ungeschliffene, seine Nähe zur Wirklichkeit - erwies sich als seine größte Schwäche, solange es darum ging, Geld aufzutreiben.

Anfang dieses Jahres, beim Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken, saß ich in der Jury, und "Oi! Warning" lief im Wettbewerb, als einer der letzten Filme. Er bekam den Preis des Ministerpräsidenten, die Silbermedaille von Saarbrücken. Inzwischen hat "Oi! Warning" eine erstaunliche Karriere hinter sich, aber nur in den USA, wo das Düstere, Teutonische, Riefenstahleske seit jeher gut ankommt. Vor ein paar Wochen bekamen die Redings in Hollywood den "Outstanding Emerging Talent Award", den Talentpreis der "Directors Guild of America", also der Regisseursvereinigung von Hollywood. Der Preis wurde vor 2000 Gästen von Randal Kleiser übergeben, dem Regisseur von "Grease": ziemlich viel Ehre für zwei Punks aus Dortmund, die für ein paar Mark ihren ersten Spielfilm gedreht haben. Jetzt verhandeln sie mit dem "Strand Release"-Verleih über den Kinostart in den USA, und werden von einem Festival nach dem anderen eingeladen: Montreal, Chicago, danach vermutlich Sundance.

Einen deutschen Verleih findet der Film nicht, obwohl er mittlerweile etliche künstlerische Gütestempel mit sich herumträgt: eine hervorragende Gelegenheit, um wieder einmal das bekannte Klagelied über den Zustand der deutschen Kinokultur anzustimmen. Ein Film, der nicht nach den Gesetzen des Mainstream gemacht ist, hat es bei den deutschen Verleihern und dem Publikum leichter, wenn er aus Frankreich, dem Iran oder den USA kommt. Ein Rätsel. Dass die erfolgreichen deutschen Regisseure nach Hollywood gehen, weil sie es dort interessanter und lukrativer finden, wissen wir ja. Aber jetzt schon die Anfänger?Heute läuft "Oi! Warning" beim Berliner Beta-Film Festival, um 22 Uhr 30 im Filmtheater am Friedrichshain.

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