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Kultur: "Ein erbärmliches Buch"

Mittwochabend verschickte der Suhrkamp Verlag in aller Hektik eine vorläufige Fassung des binnen kürzester Zeit heißdiskutierten neuen Walser-Romans. In den ersten Reaktionen von Suhrkamp und Walser hatte es geheißen, FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher habe in seinem "Offenen Brief" an Walser unautorisiert aus einer "unredigierten Manuskriptfassung" zitiert, die schon älter sei.

Mittwochabend verschickte der Suhrkamp Verlag in aller Hektik eine vorläufige Fassung des binnen kürzester Zeit heißdiskutierten neuen Walser-Romans. In den ersten Reaktionen von Suhrkamp und Walser hatte es geheißen, FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher habe in seinem "Offenen Brief" an Walser unautorisiert aus einer "unredigierten Manuskriptfassung" zitiert, die schon älter sei.

Frank Schirrmachers "Offener Brief" an Martin Walser am Mittwoch in der FAZ hat jedenfalls das bewirkt, was sein Urheber bezweckte: Zu einem geschickt gewählten Zeitpunkt besetzte er das vom Politiker Möllemann eröffnete Terrain des schwelenden Antisemitismus neu, setzte mit Walser noch eins drauf und kann als Initiator einer literaturpolitischen Debatte gelten. Der Betrieb läuft heiß. Schirrmacher, so mutmaßt Bernd F. Lunkewitz, der Chef des Berliner Aufbau-Verlags, habe damit letztlich genau das getan, was Walser wollte: der Schriftsteller habe gezielt einen verkaufsfördernden Eklat provoziert: "Die ganze Story schmeckt nach Judenfeindschaft. Ohne Eklat würden von dem Buch vielleicht 5000 Exemplare verkauft werden, jetzt kann Walser mit 100 000 Exemplaren und mehr rechnen."

Überraschend ist Schirrmachers Vorstoß deshalb, weil ausgerechnet er Walsers Laudator bei der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1998 war - als Walser zum erstenmal in der breiteren Öffentlichkeit antisemitischer Anklänge bezichtigt wurde. Überraschend auch, dass in der FAZ noch am Wochenende zuvor Walsers Essayband "Aus dem Wortschatz unserer Kämpfe" äußerst wohlwollend besprochen wurde. Dass Schirrmacher, der Walsers rhetorische Mittel und seine Lust am Zündeln kennt, jetzt so fulminant die Position wechselt, hat also mit der Darstellung Marcel Reich-Ranickis, des ehemaligen Chefs der FAZ-Literaturredaktion, in Walsers Roman zu tun. Da niemand außer Suhrkamp und der FAZ Walsers Text kannte, hatte Schirrmacher die Diskurshoheit.

Seit gestern können die Feuilletonredaktionen um die Wette lesen, um dem Herrschaftswissen Frank Schirrmachers etwas entgegenzusetzen. Walser kann sich auf eine Tradition berufen, die mit Goethes geflügeltem Wort "Schlagt ihn tot, den Hund, denn er ist ein Rezensent" ihren Anfang nahm. Im 20. Jahrhundert gibt es mit Klaus Manns "Mephisto", einem Schlüsselroman über Gustaf Gründgens, ein Pendant - ihm ging es ebenso wie Walser um den Typus des Karrieristen im Kulturbetrieb.

Die Reaktion von Reich-Ranicki zielt vor allem auf den Autorennarzissmus: "Walser hat noch nie so ein erbärmliches Buch geschrieben". Er wirft Walser vor, "leicht erkennbare Personen lächerlich zu machen und teilweise zu denunzieren." Das Ganze hat etwas mit dem Autor-Kritiker-Problem, gekränkter Eitelkeit und einem bestimmten Alter zu tun. Auch im Suhrkamp Verlag steht ein Generationswechsel an: Der 78-jährige Siegfried Unseld ist schwer erkrankt, sein designierter Nachfolger Günter Berg trifft jetzt zum ersten Mal auf Walser. Der Autor kann leicht damit drohen, den Verlag zu wechseln - zum Beispiel zu DuMont, wo mit Gottfried Honnefelder einer der vorangegangenen designierten Nachfolger Siegfried Unselds der Chef ist. In den heftigen Auseinandersetzungen, die es im Suhrkamp Verlag gab, hat sich Berg durchgesetzt. Berg sagt: "Martin Walser ist doch nicht der Möllemann der deutschen Literatur" und will jetzt den Erscheinungstermin des Romans auf Juli vorziehen, dem Drängen Walsers nach sofortiger Veröffentlichung allerdings widerstehen. Ein Schlusslektorat erfordert wohl schon noch ein bisschen Fingerspitzengefühl.

böt

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