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Kultur: Ein Frankfurter Kongress befragt die "Ästhetik der Inszenierung"

Wir sind von Inszenierungen umstellt. Von Inszenierungen der Politik, der Konzerne und der Städte bis zur Inszenierung unser selbst mit Hilfe der inszenierten Warenwelt.

Wir sind von Inszenierungen umstellt. Von Inszenierungen der Politik, der Konzerne und der Städte bis zur Inszenierung unser selbst mit Hilfe der inszenierten Warenwelt. Doch vor lauter Allgegenwärtigkeit wird der Begriff Inszenierung, Anfang des 19. Jahrhunderts für das Theater geprägt, unscharf. Das immerhin erbrachte der fast durchweg mit Koryphäen aus der Wissenschaft - weniger der Praxis - besetzte Frankfurter Kongress "Ästhetik der Inszenierung": Im Rückgriff auf den ästhetisch-theatralischen Ursprung gewann auch die metaphorische bis soziologische Verwendung des Begriffs schärfere Konturen. Vor allem aber diente der Kongress dazu, das Theater selbst zu legitimieren, das in eine Sinnkrise geraten ist.

Was soll das Theater (noch)? Das war die heimliche Grundfrage des Kongresses. Die Antworten hätten unterschiedlicher nicht ausfallen können. Der Philosoph Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford) inszenierte sich selbst kokett als bekennenden Opernbanausen und warb doch mit Blick auf das Verhältnis von Libretto und Musik für ein Verständnis von Inszenierung als "Präsenzkultur". Mangels einer neueren Theorie verwies der fränkisch-barocke Ex-Ministrant auf die Parallelen zur "Magie" der Eucharistie: Rhythmus, Körper, Stimme und Offenbarung sind die Helden seiner dionysischen Auffassung von Inszenierung. Im Fall des Gelingens brächten sie die sinnsuchenden Bewegungen der wortgebundenen "Bedeutungskulturen" zum Oszillieren - ein Verfahren, das Gumbrechts Gießener Kollege Martin Seel, in einem fernen Echo von Adornos gesellschaftskritischer Ästhetik, als "Einspruch" des Inkommensurablen gegen das Bestehende kennzeichnete.

Da war der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze, der seinen erkennbaren Mangel an eigener ästhetischer Anschauung weniger erfolgreich überspielte, ganz anderer Ansicht. Als "Masseninterpenetration von Autisten" geißelte er die angebliche Selbstbezüglichkeit und Sinnverweigerung des Gegenwartstheaters. Seine Gefährdung bestehe nicht darin, dass ihm die neuen Medien Konkurrenz machten, sondern in der Verweigerung eines gemeinsamen Beziehungsraums von Akteuren und Publikum. Verständlichkeit, Inhaltlichkeit, gar Orientierung aufs Schöne, Gute, Wahre forderte er in einem pastoralen Vortrag als Gegengift. Die eigentliche sinnliche Qualität von Theater verwelkte unter diesem Zugriff als entbehrliche Zugabe. Theater als sozialer Klebstoff, gar als Lebenshilfe - in dieses Horn stieß auch der Kritiker Peter Iden. Lustvoll polemisch und in sich nicht einmal widerspruchsfrei, hatte sein Vortrag den Vorteil, klar zu polarisieren. Für den steckt die doppelte Utopie des Theaters in der Verwandlung des Schauspielers, die (gut brechtisch) das Unveränderliche als veränderlich sichtbar mache, und in der Fähigkeit des Theaters, das Allgemeine als Besonderes erscheinen zu lassen. Derart bedeutungsgebunden, gelten ihm die selbstreflexiven, gattungsüberschreitenden Grenzgänge der Avantgarde als sinnentleerte Spielerei und rigider Egoismus.

Bemerkenswert, dass gerade der "politische" Bertolt Brecht auf diesem Kongress immer wieder auch als Kronzeuge ganz anderer, nämlich rein formal-ästhetischer Vorstellungen auftauchte. Gerade bei den Theaterwissenschaftlern, die sich mit ihren hochtheoretischen, fein ziselierten Reflexionen zwischen den großen Gesten der philosophischen und soziologisch-politischen Deutungen allzu bereitwillig einklemmen ließen. Wie ein Wiedergänger geisterte der vor zwei Jahre zu Tode Gefeierte durch die Vorträge: mit seinen frühen, selbstreflexiven Überlegungen über die damals neuen Medien, das Radio vor allem; als Vorexerzeur jener Mensch-zu-Maschine-Umbauten, wie sie in den aktuellen Videoclips massenhaft vorgenommen werden.

Die von vielen erwartete Auseinandersetzung mit dem Schlagwort der politischen Inszenierung fand eher am Rande und in dem melancholischen Vortrag des Berliner Politologen Herfried Münkler statt. Skeptisch gegenüber den dramatischen Dekadenzszenarien etwa eines Neil Postman vertrat er die Notwendigkeit der Inszenierung - nur sie könne die hochkomplexen und weitgehend unsichtbaren Prozesse der Politik sichtbar machen und zu einer wenigstens minimalen Teilhabe an der Demokratie stimulieren. Freilich sei die Fähigkeit unerlässlich, zu unterscheiden zwischen Inszenierungen, die gleichsam undemokratisch, nur verschleierten, dass es eine inhaltliche Substanz nicht gebe, und solchen, deren sich die "List der Vernunft" bediene, um ihre Ziele durchzusetzen. Von Münklers Forderung nach einer neuen Alphabetisierung, die die Macht und Machart der medial vermittelten Bilder durchschauen lehre, fiel zum Schluss ein neues Licht auf die scheinbar sinnentleerten Spielereien des postmodernen "Präsenz"-Theaters: Hier nämlich, in der ständigen Selbstreflexion der Wahrnehmung, im Oszillieren zwischen Bedeutung und verführerischer Bilderwelt, findet eben jene Schulung des Blicks statt, deren die Demokratie im Zeitalter der neuen Medien dringend bedarf.

Ruth Fühner

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