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Kultur: Ein Gedicht, das aus der Kälte kommt

Neu gesehen: Hans Werner Henzes „Elegie für junge Liebende“ an der Berliner Staatsoper

Ein blutroter Riss geht durch den Berg Hammerhorn. Das symbolistische Muster auf dem Zwischenvorhang steht für eine entfremdete Natur und für Künstlichkeit. Man befindet sich in der Halle eines Berggasthofes in den österreichischen Alpen mit Blick auf den Gletscher. Das klingt nach Heimatfilm und Sommerfrische, ist aber ein Ort, an dem die Mythen hausen. Die Szene, im Einklang mit den Kostümen entworfen von Alexander Lintl, verbindet ihre Sachlichkeit mit der Vorahnung, dass Böses geschehen wird. Da die Handlung, ein Künstlerdrama um den Dichter Gregor Mittenhofer, dem Jahr 1910 zuzuordnen ist, setzt das Libretto ein wenig schulmeisterlich auf literarische Anspielungen: Von der „Fackel“ ist die Rede und von der „Plüsch-Dreifaltigkeit“, bestehend aus George, Rilke und Hofmannsthal. So aus Mittenhofers Sicht. Denn die Autoren der „Elegie für junge Liebende“, Wystan H. Auden, Chester Kallman und Hans Werner Henze, widmen ihre Oper dem Andenken Hofmannsthals.

Henze hat bekannt, wie ihm das Stück seit der ersten Aufführung immer klarer geworden sei. Damit unterwirft sich der Komponist selbst der Geschichte seines sich wandelnden Werkes. Wie anders sah die „Elegie“ vor über 40 Jahren aus, als Dietrich Fischer-Dieskau unter Henzes eigener Regie den Mittenhofer spielte! Den phänomenalen Sänger zu verehren, hieß damals wohl, seine Eignung zum Olympier hochzuhalten. So geschehen in Schwetzingen und an der Deutschen Oper. Zurückgekehrt nach Berlin, bietet das Werk nun in der Staatsoper ein kritischeres Bild. In der diskreten Inszenierung Christian Plates geht es vor allem darum, das Konzept vom aristokratischen Lebensgefühl, das Mittenhofer verkörpert, in Frage zu stellen. Gewiss ist er in seiner grandiosen Ichbezogenheit eine Gestalt, die von dem Geniekult des 19. ins 20. Jahrhundert gehoben worden ist, ein wunderliches Beispiel für eine Dichtermanie, in dem Auden die Vorbilder George und Yeats verschmolzen hat.

Die Problematik des narzisshaften Künstlerdaseins und eines moralfreien Kunstideals aber stellt sich hier im Extrem dar, weil Mittenhofer um eines Gedichtes willen zum Mörder wird.

Er nimmt den Bergtod der jungen Liebenden billigend in Kauf, um ihnen seine „Elegie“ zu widmen, die er an seinem 60. Geburtstag in feierlicher Lesung vorträgt. Das „tapfere“ Paar sind Elisabeth Zimmer und Toni Reischmann, des Meisters Mätresse und des Meisters Patensohn. Dessen Vater ist des Meisters Arzt. Ferner gehört zum „Hofstaat“ eine Gräfin Carolina, die dem Genie ihr Eigenleben und ihr Geld opfert, buckelnde Mäzenin als Schreibkraft, schweigende Komplizin seiner Schuld. Denn die Frage des Bergführers bei aufkommendem Schneesturm, ob noch jemand auf dem Berg und in Sicherheit zu bringen sei, verneint Mittenhofer wider besseren Wissens. Bevor seine Dichtung durch diesen Kick Erfüllung findet, nährt sie sich mühsam von den Visionen einer Hilda Mack, die seit Jahrzehnten auf ihren im Eis verschwundenen Bräutigam wartet. Im Wahnsinn ist sie eine Prophetin des Unheils und singt wie Lucia di Lammermoor. Die rührende Geschichte von der jünglingshaften Leiche und der greisen Braut gehört ihrerseits zu den Mythen, die Stoff zahlreicher Dichtungen sind.

Es ist eine künstliche Musik, die uns heute begegnet, und für den jungen Philippe Jordan am Pult quasi eine historische. Der Mozart-Dirigent brilliert mit Kammermusikern der Staatskapelle, die ihre Zuordnung zu den Figuren eingänglich machen: Hilda (Flöte), Carolina (Englischhorn), Dr. Reischmann (Fagott), Elisabeth (Violine), Toni (Bratsche), Mittenhofer (Blechblasinstrumente). In halsbrecherischer Koloratur siegt Caroline Stein, Rosemarie Lang neigt zu düsterem Monolog, Günter Missenhardt gibt buffonesk den Arzt, Katherina Müller und Stephan Rügamer schmiegen sich aneinander im Duett als edler Sopran und Tenor. Andreas Schmidt ist kein Olympier im weißen Haar, sondern eher ein unsicherer und daher brutaler Durchschnittsmensch in dem Irrglauben, dass seine Literaturarbeit etwas taugt. Von sympathischer Einfachheit: der Schauspieler Johannes Richard Voelkel als Bergführer.

Ein Kolorit wie Märchen aus uralten Zeiten geben dazu Uhrenschläge, Alpenglocken, Lokomotivpfeife und des Meisters parodierende Minnesängerharfe. Zum Tee nimmt er ein Allegretto con grazia. Süße Töne am Abgrund.

Die musikalische Einstudierung ist von der Art, Textstruktur deutlich zu machen. Man würde das meiste auch ohne die hektisch doppelnde Übertitelung – „Grüß Gott“/ „Grüß Gott“ – verstehen. Zumal es ein Konversationsstück à la Hofmannsthal ist, mit Melodram und gesprochenem Wort, auf das sich der Schauspielregisseur Christian Pade versteht.

Aus dem kristallenen Bergmodell in der Hotelhalle wird später vor rotem Vorhang Mittenhofers Manuskriptstapel, und korrespondierend bezeichnet eine Zärtlichkeit der Hände die Verbindung der imaginären Brautnacht Hildas mit der des sterbenden Titelpaars.

Der hochachtungsvoll gefeierte Hans Werner Henze zeigt sich zum guten Schluss auf der Bühne mit allen seinen Interpreten sehr einverstanden.

Weitere Vorstellungen am 26. und 28. Mai sowie am 2., 6. und 8. Juni.

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