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Kultur: Ein Knabe grüßt durch die offene Tür

Fülle, Fülle, Fülle: Berlins Antikensammlung - oder, besser gesagt, ein Teil von ihr: der griechische - zieht (neu geordnet) ins angestammte Haus am Lustgarten.Schätze, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs weggeschlossen, während des Krieges ausgelagert und nachher in Ost und West geteilt waren, sind hier aufgestellt: die Kleinkunst des ehemaligen Antiquariums, ergänzt durch Skulpturen aus dem Pergamon-Museum.

Fülle, Fülle, Fülle: Berlins Antikensammlung - oder, besser gesagt, ein Teil von ihr: der griechische - zieht (neu geordnet) ins angestammte Haus am Lustgarten.Schätze, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs weggeschlossen, während des Krieges ausgelagert und nachher in Ost und West geteilt waren, sind hier aufgestellt: die Kleinkunst des ehemaligen Antiquariums, ergänzt durch Skulpturen aus dem Pergamon-Museum.In den letzten drei Jahren waren sie nach dem Ende des Nachkriegsexils in Charlottenburg heimatlos, in Kisten verpackt, dem Auge des Betrachters entzogen.

Aber wahrscheinlich waren diese "dunklen Jahre" die Voraussetzung für die jetzt erfolgte künstlerische Heimkehr und Wiedervereinigung: Denn wer weiß, ob Geld für den Einzug ins Alte Museum dagewesen wäre, wenn nicht die Sammlung Berggruen den Stüler-Bau gegenüber dem Charlottenburger Schloß mit Beschlag belegt hätte.Die Generalsanierung des Schinkelbaus, die nach heutiger Kalkulation siebzig Millionen Mark kosten würde, steht nämlich noch aus.Was wir sehen, ist mal wieder ein Provisorium, eine "langfristige Sonderausstellung" - für vielleicht acht Jahre, rechnet der Direktor der Antikensammlung, Wolf-Dieter Heilmeyer, mit fünf rechnet der Generaldirektor der Staatlichen Museen, Wolf-Dieter Dube; Prognosen könne er keine stellen, weil die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht wisse, wann sie Geld für die notwendigen Arbeiten auf der Museumsinsel bekomme.Wenn Geld da ist, wird aufgebaut und saniert.Man will sich bemühen, auf der Museumsinsel auch während der Arbeiten so viele Sammlungen wie möglich zu zeigen.

Provisorien gehören zum Haus: Als es am 3.August 1830, dem 60.Geburtstag König Friedrich Wilhelms III., eröffnet wurde, waren außer der Rotunde nur der Nordsaal der Skulpturengalerie und die Gemäldegalerie im Obergeschoß zugänglich.Die damalige Aufteilung entspricht der - vorläufigen - von heute: Die Antikensammlung bekommt erst einmal das Hauptgeschoß, in das Obergeschoß ziehen am 10.Juli Meisterwerke aus der Alten Nationalgalerie während deren Renovierung.Vorgesehen ist dieses Arrangement bis ins Jahr 2001.

Die klassizistischen Säulen Schinkels, die in zwei Reihen die langgestreckten Säle gleichsam in drei Schiffe teilten, seine Stucco-lustro-Wände sind im Zweiten Weltkrieg verbrannt.Von 1958-1966 wurde das Haus wiederaufgebaut und war eine Heimstatt für die DDR-Gegenwartskunst.An Schinkel erinnerte in den Innenräumen außer der Rotunde nichts mehr.Die Mailänder Architekten Agata Torricella und Giuseppe Caruso haben einerseits versucht, an die Schinkelsche Gliederung zu erinnern, ohne Schinkel nachzuahmen, zum anderen mußten sie das von den Berliner Museumswissenschaftlern erarbeitete Präsentationskonzept umsetzen.Der Besucher steht in einem mit halbhohen Pfeilern und unterschiedlich großen Vitrinen möblierten langen Raum, alles aus hellgrau gestrichenem Holz.Die Pfeiler markieren die Plätze, an denen Schinkels Säulen standen.In der abgehängten Decke erinnern Längsstreifen an die Dreischiffigkeit.

Für seine Skulpturengalerie hatte Karl Friedrich Schinkel ein Gesamtkunstwerk geschaffen.Er stellte die Skulpturen nicht mehr in Längsrichtung vor die Wände, sondern vor Säulen, und zwar quer zur Längsachse.So teilte er den Raum in einzelne Abschnitte auf.Auch diesen Intentionen folgten die Architekten: An ihrer "Hauptstraße" liegen insgesamt dreißig einzelne Abteilungen, Kompartimente.Optisch gegliedert mal durch eine Vitrine, die in die Hauptachse geschoben ist, oder eine Statue, die sich in den Weg stellt.

Die Hauptstraße soll den Besucher entweder geradlinig von der Kunst der Kykladen bis zur römischen Kaiserzeit führen oder aber den Leitfaden für einen ausufernden Spaziergang bilden.Atemberaubend ist im Grunde jedes einzelne Stück, deshalb wird man auch die Fülle verzeihen, denn was hätte man weglassen sollen?

So wie Schinkel für jede Skulptur einen besonderen Sockel entworfen hat, wurden auch die heutigen Vitrinen individuell gestaltet.Sie haben weder einheitliche Höhe noch Größe, sondern sind für die einzelnen Objekte angefertigt - ob es jetzt für den kleinen 16 Zentimeter hohen Bronzehengst ist, der wahrscheinlich aus Olympia stammt, oder für die ganze Pferdeherde, die bestimmt aus Olympia stammt - Weihgeschenke, angefertigt von Handwerkern der Umgebung für das Zeusheiligtum.

Unterbrochen wird der Rhythmus der Kompartimente in den drei Flügeln durch drei Infoboxen, an denen sich der Besucher am Bildschirm interaktiv über die Topographie Griechenlands, über griechische Mythologie und die griechische Stadt informieren kann.Unterbrochen wird der Blick auf halbem Wege durch die Skulptur des "Betenden Knaben", der in der Mittelachse des Museums gegenüber dem Eingang den Besucher begrüßen soll - vorausgesetzt, die Tür zwischen Rotunde und Ausstellung bleibt offen.Man sollte sich nicht so sehr darauf verlassen; irgendeinen Grund (schlechtes Wetter, mangelnde Sicherheit) wird es schon geben, sie zu schließen.Denn dort ist nicht der Eingang, der befindet sich rechts im Ostflügel.Auf jeden Fall steht der Knabe am Originalplatz, wie durch Abbildungen aus dem 19.Jahrhundert belegt.Ob er wirklich betet, ist nach den jüngsten Forschungen zweifelhaft und wohl eher bürgerlichen Wunschvorstellungen zuzuschreiben.Aber wenn die Tür offenstehen sollte, begrüßt er den Besucher wie vor 150 Jahren.

Ab Pfingstsonntag Dienstag bis Sonntag 10 - 18 Uhr.Pfingstmontag geöffnet, dafür Dienstag geschlossen.Eintritt 8 Mark, am Eröffnungstag und jeden ersten Sonntag im Monat freier Eintritt.Kurzführer 5 Mark, aktualisierter Bildband 48 Mark.

WOLFGANG LEHMANN

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