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Kultur: Ein Märchen aus tausendundeiner Party

Eigentlich haben Pedrillo, Blondchen und Konstanze recht. So schlimm ist es doch gar nicht in diesem Serail.

Eigentlich haben Pedrillo, Blondchen und Konstanze recht. So schlimm ist es doch gar nicht in diesem Serail. Man kann gepflegt abhängen und dosenbiertrinkend seine Restlebenszeit verdösen. Ein ganzes Leben Ballermann 6! Klar, daß man da nicht wieder zurückwill. Zurück in den Arbeitsalltag gehen am Schluß dieser "Entführung" am Staatstheater Cottbus nur Belmonte und der Bassa Selim. Die beiden, die für dieses Funparadies sowieso nicht das richtige Feeling haben. Von Mozarts Türkensingspiel mit Aufklärungsbotschaft bleibt in Sebastian Baumgartens Inszenierung nicht mehr viel. Entschlossen schmeißt der Regieyoungster das Stück erst einmal in Scherben, um sich dann daraus sein eigenes Theater zusammenzukitten. Das heißt Brüche, sichtbare Klebestellen und fehlende sowie neueingesetzte Teile.

Weggefallen sind ein Großteil der tümelnden Dialoge. Fort ist das ganze folkloristische 1001-Nacht-Ambiente. Ein graues, mit ausgeschnittenen Ziffern durchbrochenes Seventies-Disco-Halbrund gibt den Blick auf den hinteren Teil der Bühne frei. Allein dort dümpelt eine Handvoll kaum bekleideter Haremsmiezen mit ein paar Techno-Jüngern im Halbdunkel einer Buntglaslampe herum. Wie Pedrillo tragen sie alberne Baströckchen und fühlen sich damit mutmaßlich wie echte Eingeborene. Hin und wieder kommen sie nach vorn und gucken mit lethargischen Mienen zu, was da passiert, richtig aktiv werden sie nur, als Pedrillo und die anderen abhauen wollen.

Die Orient-Klischees des Serail sind für Baumgarten nicht mehr als Chiffren für innerlichen und äußerlichen Trägheitszustand. Um sich vom kleinbürgerlichen Erwerbsstreben abzukoppeln, muß man nicht nach Ibiza fahren. Es reicht auch, auf den Loveparade-Train der perennierenden Party aufzusteigen. Heraus kommt hier wie da ein Absinken in geistigen Dämmerzustand, in dem es sich behaglich dahinvegetieren läßt. Wozu sollte man auch wieder zurück?

Es ist im Grunde eine No-Future- "Entführung", die Baumgarten da anbietet. Selbst Konstanze, die heroisch leidende Idealistin, bleibt im Dumpfnasen-Funparadies. Sie erkennt, daß ihr das linkische Muttersöhnchen Belmonte nur eine kleinbürgerliche, einengende Existenz bieten kann: Während sich beide im Angesicht der drohenden Hinrichtung Mut zusingen, sitzen sie verklemmt an einen mickrigen Zellentischlein und zerteilen einen Apfel. Als ob ein altes Ehepaar am heimischen Küchentisch säße. Dann schon lieber Serail!

Baumgarten und sein Ausstatter Christian Sedelmayer sind vermutlich oft in die Berliner Volksbühne gegangen. Doch die teils bewußt theatermonoton gesprochenen, teils ratternd wiederholten Texte und die schrillen Proll-Secondhand-Klamotten sind hier nicht bloß Masche, sondern kalkuliert eingesetztes Mittel. Was hier passieren wird, wer sich für welche Lebensalternative entscheiden wird, bleibt bis zum Schluß offen. Es ist eine "Entführung", in der die sechs Darsteller nicht nur als Typen, sondern auch als Gesangsensemble überzeugen. Yuka Matsuoka, frisch von der Weimarer Musikhochschule engagiert, kann auf faszinierende Weise sowohl die kämpferische als auch die fast kindliche, schwache Seite der Konstanze bloßlegen. Sie singt diese schwere Rolle expressiv und beeindruckend präzis. Dazu der Belmonte von Matthias Bleidorn, das Dienerpaar Hardy Brachmann und Alice Pierce, der Osmin von Horand Friedrich: Eine vokal besser aufeinander abgestimmte Besetzung dürfte selbst an weit renommierteren Bühnen kaum zu finden sein.

JÖRG KÖNIGSDORF

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