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Kultur: Ein Ort des Zurückfindens

Die Zukunft des Jüdischen Museums - eine Tagung in BerlinVON JOACHIM SCHLÖRViele, viele Worte.Seit W.

Die Zukunft des Jüdischen Museums - eine Tagung in BerlinVON JOACHIM SCHLÖRViele, viele Worte.Seit W.Michael Blumenthal, der neue Direktor des Jüdischen Museums, die berlinisch verfahrene Situation mit Charme und Kompetenz zu lösen begonnen hat, ist es mit Schweigevereinbarungen und Hinterzimmergetuschel vorbei.Jetzt wird öffentlich verhandelt, was alle angeht, das ist sehr befreiend.Nach anderthalb Tagen einer Konferenz, die die "Gesellschaft für ein Jüdisches Museum" zusammen mit der Friedrich-Naumann-Stiftung organisierte, war der Sitzungssaal der Europäischen Akademie im Grunewald so voll mit Worten, daß die Luft schwer wurde.Vertreter der Gesellschaft haben gesprochen, der Direktor hat gesprochen, Repräsentanten anderer Museen haben gesprochen, Experten haben (oder hätten auch gern) gesprochen, am Ende haben auch noch Journalisten gesprochen, und die integrativen Konzepte und die integralen Bestandteile und die inneren Autonomien und die unselbständigen Stiftungen waren schön hoch aufgetürmt. Dann hat einer ein seltsam schönes Wort geprägt.Georg Loewy, Exil-Prager und zu Besuch in Berlin, gab seiner Hoffnung Ausdruck, in dem neuen Museum etwas "zurückzufinden", was er in seiner Heimatstadt nicht und auch an keinem anderen Erinnerungsort finden konnte: das untergegangene normale jüdische Leben, das "zivile Leben", das "Lebensbejahende" der jüdischen Kultur.Damit ist bezeichnet, was dieses Haus leisten könnte oder was es doch, die Möglichkeit des Scheiterns mitbedacht, versuchen soll und kann. Die Tagung begann mit einem Rundgang durch den bald fertiggestellten Libeskind-Bau in der Lindenstraße, und die übergroße Herausforderung dieser Architektur wurde zu einem bestimmenden Gesprächsthema.Noch sind die Ausstellungsräume leer, die Wände kahl, aber das Gebäude ist schon so stark mit Symbolen aufgeladen, daß immer wieder die Frage gestellt wurde, wie sich ein Museum darin (womöglich dagegen) behaupten könnte.So wie die allgemeine Wahrnehmung jüdischer Kultur und deutsch-jüdischer, europäisch-jüdischer Geschichte von der Erinnerung an den "Zivilisationsbruch" Holocaust überformt wird, so steht auch in diesem Gebäude das Thema der Zerstörung vor allen anderen. Das ist eine Belastung.Julius H.Schoeps warnte vor einer "Stigmatisierung" jüdischer Geschichte als Geschichte von Verfolgung und Ausgrenzung, Marianne Awerbuch sprach von "Weltanschauungsarchitektur".Es waren interessanterweise die Journalisten in der letzten Gesprächsrunde, die im konstruktiven Umgang mit dieser Belastung eher eine Chance erkannten.Klaus Hartung von der "Zeit", Uwe Schmitt von der FAZ, Detlev Müller von der "Berliner Zeitung" und Michael S.Cullen plädierten fast einstimmig dafür, die Herausforderung anzunehmen und, falls nötig, "Libeskind gegen Libeskind" zu setzen, um die notwendige Freiheit im Umgang mit dem Bau zu bewahren. Freilich wurden auch in dieser Runde allzu große Erwartungen formuliert.Was wird diesem Haus nicht alles abverlangt! Es soll den zerrissenen Stadtraum heilen, es soll Mahnmal und Bildungsstätte zugleich sein, es soll nicht nur berlinisches, sondern deutsches und europäisches Museum sein, es soll Teil eines Netzwerkes werden, es soll "uns zeigen, was wir verloren haben", aber auch, "was ich vom Judentum für mein Leben mitnehmen kann", es soll an die Tradition des ersten Berliner Jüdischen Museums anknüpfen und zugleich zeigen, daß Anknüpfung gar nicht möglich ist, es soll den zugewanderten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion ein Forum geben und Berlin als "Zentrum des europäischen Judentums" darstellen, es soll "alle Höhepunkte und alle Tiefpunkte" der deutsch-jüdischen Geschichte präsentieren und erklären, es soll natürlich - wir sind in Berlin - das größte Museum seiner Art sein, es soll Grundkenntnisse über das Judentum vermitteln und doch nicht so sein wie die anderen Museen, die das auch tun. Aus Paris, Prag, Wien, Frankfurt und Fürth waren Kollegen angereist, die mit einiger Verwunderung konstatierten, daß sich die Berliner Diskussion trotz der langen Zeit und der vielen Worte noch immer im Anfangsstadium befindet.Warum wurde bisher so wenig experimentiert? Warum hat sich das Jüdische Museum nicht in mehr Ausstellungen und Projekten ausprobiert? Allein die geringe Zahl an Planstellen kann das nicht begründen.Warum ist das Verhältnis zwischen dieser Institution und den vielen anderen Berliner Einrichtungen - vom Centrum Judaicum über die Heimatmuseen der Bezirke bis zur "Topographie des Terrors" und dem Haus der Wannsee-Konferenz - noch so ganz ungeklärt? Und weiter: Bis zu den kleinsten Dorfmuseen ist die Nachricht vorgedrungen, daß das 21.Jahrhundert vor der Tür steht und das Museum als "Ort der Andacht und Belehrung" (Bernhard Purin) ins 19.Jahrhundert gehört - wo sind die Neuansätze in Berlin? "Zurückfinden", nämlich dorthin finden, wo man noch gar nicht war, heißt wohl auch: sich selbst suchen.Diese Arbeit, das ist vielleicht Michael Blumenthals wichtigste Mitteilung, kann Spaß machen.Eine Zeitlang schien es auch auf der Tagung so, als wollte der alte, in langen Auseinandersetzungen geschulte Berliner Griesgram wiederkommen, wurden Bedenken aller Art angehäuft: Architekturbedenken, Standortbedenken, Zuständigkeitsbedenken. In 60 Tagen, sagte Michael Blumenthal, soll das Konzept stehen.Bis zum Sommer muß die bisher vorliegende "Notiz" der Übereinstimmung mit der Senatsverwaltung für Kultur über die wirkliche Autonomie des Hauses und alle daraus entstehenden Konsequenzen in gesetzliche Form gegossen und darüber im Abgeordnetenhaus abgestimmt werden.Der Bund muß Mitverantwortung übernehmen, aber auch private Unterstützer sind gefragt.Bis zur Eröffnung müssen Gespräche in Bonn geführt und neue Mitarbeiter eingestellt werden.Wenn das alles einem einzelnen Menschen gelingen kann, dann Blumenthal, darin war man sich einig. Und während all das erledigt wird, muß noch ein Museum eingerichtet werden.In Prag vor allem, aber auch in Paris oder Frankfurt, haben sich die jüdischen Museen Kompetenzen für die ganze Stadt erarbeitet und Netzwerke von Kooperationen errichtet - wie ist es damit in Berlin? Schließlich muß das Haus, über Berlin hinaus, eine Balance finden zwischen dem notwendigen Blick in die Vergangenheit und einer Orientierung in die europäische Zukunft. Hier können Fragen der deutschen und der jüdischen und der deutsch-jüdischen Geschichte debattiert werden.Hier könnten aber auch Geschichten und Bilder aus den Ländern der Zuwanderung, aus Tschechien, Polen, Rußland, der Ukraine eine "Heimat" oder doch Aufnahme finden und sich mit den Berliner Geschichten und Erinnerungen treffen.Immer wieder kamen Teilnehmer auf die Bedeutung von Geschichten für die einzelnen Menschen zu sprechen.Tatsächlich sind in diesen Umbruchzeiten viele Geschichten ortlos, unterwegs, die brauchen einen Platz, an den sie "zurückfinden" können.Daß so ein Ort ausgerechnet in Berlin liegen könnte, ist schon ungeheuer schön.

JOACHIM SCHLÖR

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