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Kultur: Ein verdächtiges Lied in Hiobs Land

Um sein Leben fürchtete er seit Monaten.Wie es dem Schriftsteller Rexhep Qosja in diesem Augenblick geht, wissen wir nicht.

Um sein Leben fürchtete er seit Monaten.Wie es dem Schriftsteller Rexhep Qosja in diesem Augenblick geht, wissen wir nicht.Nur das: Während der politisch zunehmend isolierte Präsident der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, jetzt mit seiner Familie aus Belgrad nach Rom ausreisen durfte, ist Rexhep Qosja (sprich: Redschep Tjosja), Mitglied der albanischen Delegation in Rambouillet, offenbar unter entsetzlichen Umständen aus dem Kosovo in Albaniens Hauptstadt Tirana gelangt.In albanischen Zeitungen las man Anfang dieser Woche, daß mehrere der jungen UCK-Kämpfer, die Qosja auf seiner Flucht geschützt hatten, bei Kampfhandlungen umgekommen sind.

Quosja ist einer der einflußreichsten Schriftsteller in albanischer Sprache - und einer der streitbarsten.Seit 1996 hatte er, zunächst politischer Weggefährte Ibrahim Rugovas, sich von dessen Idee des gewaltfreien Widerstandes gelöst und war zum Fürsprecher einer albanischen "Intifada" geworden.Erst ein Jahr zuvor war Qosjas einziger größerer Roman, "In solchen Augen liegt der Tod", auf deutsch beim Innsbrucker Haymon Verlag erschienen, in der Reihe "Süd-Nord".Die Resonanz in den Medien war damals gering - wie überhaupt zu jener Zeit das öffentliche Interesse an den politischen Vorgängen im Kosovo.Es stimmt traurig, daß das Buch bis heute kaum in deutschen Bibliotheken auszuleihen ist.Dabei stellt es, zusammen mit Bänden des Lyrikers Ali Podrimja, und abgesehen von raren Veröffentlichungen in Anthologien oder Zeitschriften, die einzige größere Quelle der kosovo-albanischen Literatur dar, die ins Deutsche übersetzt worden ist.

Qosjas Buch, in den 60er Jahren verfaßt und erst 1974 in der kosovarischen Provinzhauptstadt Pristina zur Veröffentlichung freigegeben, erschien in den 80er Jahren schließlich auch in Tirana.Es bildet nach den voluminösen Bänden von Ismail Kadaré den gewiß bedeutendsten Beitrag zu der Geschichte des albanischsprachigen Romans.Rexhep Qosjas Roman handelt - wie sollte es anders sein - vom schwierigen Leben der Albaner im Kosovo, und zwar dem Kosovo der fünfziger Jahre.Eindringlich verdeutlicht die Lektüre die jahrzehntelange Kontinuität all des Unheils, mit dem die Weltöffentlichkeit sich jetzt erst konfrontiert findet.So gibt es genug aktuellen Anlaß, das Buch wiederzulesen oder zu entdecken.Aber mehr noch: Jetzt öffnet sich uns eine einzigartige Möglichkeit, dieses Buch zu verstehen.Denn Qosjas "13 Erzählungen, die auch ein Roman sein könnten" - so der Untertitel - sind nicht leicht zugänglich.Vielmehr ist ein Minimum an Kenntnissen nötig, um angesichts der indirekten und elliptischen Erzählweise das Geschilderte richtig einzuordnen.Vor ein paar Jahren hielt man dazu in Österreich offenbar noch das ideologisierende Nachwort von Ismail Kadaré für nötig (siehe Auszug im Kasten), das jedoch - gegenüber der Beschwörung von Menschlichkeit in Qosjas Werk - starre Kälte ausstrahlt.Nun jedenfalls ergibt sich für uns der Zugang zu Qosja vollkommen neu.

"Wer versteht schon Albanisch! Eine kleine, schwierige Sprache, die man mit sechsunddreißig Buchstaben schreibt, Literatur Fehlanzeige" - Quosjas Held Xhezair Gjika, Lehrer und Schriftsteller, schreibt im Gefängnis eine "Erklärung" für seine Peiniger.Sie bildet das Kernstück des Romans, und in ihren minutiösen Bekenntnissen zu seiner Biographie und den Abläufen der letzten Tage scheint noch das letzte gleichgültige Detail absurderweise nichts als Schuld zu beweisen.Aber was für eine Schuld? Irgendeine kleine Denunziation, wie sie in der Atmosphäre ständiger Bespitzelung der Kosovo-Albaner Alltag ist, ein auf der Straße geträllertes verdächtiges Lied, weiter nichts.Die Existenz des Häftlings, und nicht nur seine, steht im Zeichen der Verdammnis, der Schuld.Das "Buch Hiob" liefert Rexhep Qosja jene Motti, die jedem der Kapitel voranstehen.

Es ist ein zentraler Kunstgriff dieses Romans, daß darin keine einzige nichtalbanische Figur auftritt.Qosja geht es um das Eindringen des Bösen in die eigene Welt, und bis zur Judas-Figur, bis zu Xhezairs Gegenspieler, dem falschen Danjoll Sherka, einem Teufel in Menschengestalt, reicht in seiner Erzählwelt die personifizierte Bedrohung.Dahinter erstreckt sich eine unsichtbare, gleichwohl ununterbrochen lauernde Gewalt.Angst, Qual und Erniedrigung sind, auch in stellenweise kruden Details, allgegenwärtig.Doch stets bleibt das Geschehen irgendwie unfaßbar, wie aus dem Verborgenen heraus gelenkt.Für die Täter fehlt es, neben heftigem Haß, nicht an Mitgefühl.Sie sind ja Nachbarn! All die Lebensentwürfe der Handwerker, Geschäftsleute, Künstler, Lehrer in der fiktiven Stadt Vajazan, die am Lesenden vorbeiziehen, erscheinen in der orientalischen Fülle eines Erzählstiles, der in kunstvoll stilisierter Tradition mündlichen Erzählens heftige Gegensätze nebeneinanderstellt, wie in einem kollektiven mythischen Innenraum, der Heimat und Gefängnis zugleich ist.

Die Atmosphäre birgt etwas Legendenhaftes, und so nimmt die Geschichte auch ihren Ausgang von einer Legende, die den Text prologartig eröffnet.Sie erzählt, wie die Stadt Vajazan bei den wiederholten Versuchen, einen Schatz zu bergen, der in einer Höhle verborgen sein soll, nach und nach den großen Teil ihrer jungen Männer verliert.Armut, Geldgier und dann der Wunsch nach einem besseren Leben prägen wie ein schicksalhafter Fluch das Leben der Gemeinschaft.In der Vielstimmigkeit, mit der Qosja erzählt, entpuppt sich die Schatz-Legende später als fester Kern der Erinnerung an einen Kosmos von Erzählungen aus der Kinderzeit Xhezairs.Aus dieser Zeit auch stammt die erste der drei Liebesgeschichten, die sein Leben bestimmen.Sie ist ein Urerlebnis mit der dicken Trashe, einer aus der Gesellschaft ausgestoßenen Verrückten, die Xhezair in einem Wutanfall über seine Neckereien fast umbringt.Xhezairs Frau, Rudina, die sanfte, in schöner Balkanmetaphorik "fruchtbar wie die Humuserde Kosovas", verläßt ihn, während er im Gefängnis sitzt.Seine langwierige Geschichte mit Rina, einer jungen Dichterin, endet erst im Tod Xhezairs, der unter dem Druck der Verhältnisse zerbricht.

Aus der legendären Vorzeit des Beginns wächst der Roman am Ende in eine legendäre Zukunft hinein.Aus Armut und märchenhaften Träumen vom Glück schält sich eine verspießerte Wohlstandswelt, zusammengehalten von taktischen Allianzen, Klatsch und Mißgunst, die Qosja gerade in der Welt der Kunst, dem Stolz der satt und fett gewordenen Bürger von Vajazan, mit beißendem Humor entwirft.Jener Humor fehlt nirgends auf dem bitteren, unerlösten Weg von Xhezair, der, in Ich-, Du- und Er-Form inszeniert, vom Leser Konzentration verlangt, doch zusehends an Faszination gewinnt.

Die Geschichte des albanischsprachigen Romans beginnt überhaupt erst nach 1945 - im Zeichen einer stalinistischen Kunstdiktatur in Albanien selbst, unter künstlerisch liberaleren, aber kulturpolitisch für Albaner vergleichbar ungünstigeren Umständen im Kosovo.Ein dritter Autor ist neben Kadaré und Qosja noch zu erwähnen: Kasem Trebeshina.Sein Schicksal in Albanien läßt Kadarés und Qosjas im Kampf mit den Funktionären nahezu harmlos wirken.Anfang der 50er Jahre nach seinem öffentlichen Aufbegehren gegen die künstlerischen und politischen Doktrinen des Hodscha-Kommunismus wurde er für verrückt erklärt, verbrachte siebzehn Jahre in Strafanstalten und zwanzig weitere in freiwilligem Schweigen, ehe er ab 1991 wieder publizieren konnte.Sein Kurzroman "Der Esel auf dem Mars", 1955 geschrieben und nach seiner albanischen Erstveröffentlichung 1992 im Jahr 1994 auch auf deutsch erschienen, ist eine rührende Liebesgeschichte und gleichzeitig bizarre Parabel über die Zerstörung des Menschen durch den Mißbrauch der Psychiatrie - bestimmt das eigenwilligste, vielleicht das bewegendste Zeugnis der neueren albanischen Literatur.

Das Leben im Kosovo, nur dieses eine Thema beherrscht, abgesehen von wenigen Zeugnissen, zu denen auch eines der bisher nicht übersetzten Werke Kadarés gehört, die kosovo-albanische Literatur.Eine bessere Quelle als Rexhep Qosja, um das Innenleben der Kosovo-Albaner kennenzulernen, bietet sich gegenwärtig wohl kaum.

Der Autor ist Philologe, lebt in Berlin und unterrichtete von 1992 bis 1997 an der Universität Tirana

MARTIN WILKENING

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