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Kultur: Eine Attacke auf den Hochglanz-Chic unserer heutigen Welt

Museumsakademie Berlin, Rosenthaler Str. 39, bis 30.

Museumsakademie Berlin, Rosenthaler Str. 39, bis 30. Oktober; Dienstag bis Sonnabend 14-19 Uhr.Katrin Bettina Müller

Sternchen Blinken. Nebel flimmern. Spitze glitzert. Aus dem flirrenden Besatz des seidigen Hemdes von Linda Evangelista steigen Lichtpünktchen und formen sich zu leuchtenden Buchstaben: "How can the drops of water know themselves to be a river?" Schon glaubt man Trauer in den Augen des Stars der Modelagenturen zu lesen, die stets das Besondere verkörpern muss und sich womöglich nach einem fließenden Sein ohne die Mühen der Selbstbehauptung und Abgrenzung sehnt.

Nein, die Begegnung von Zen-Philosophie und Modebranche ist in diesem Fall keine neue Werbestrategie, sondern eine Collage des Schweizer Künstlers Daniele Buetti. Er nimmt die Sehnsucht nach Glanz und Gefühlen mindestens so ernst wie deren ständige Korrumpierung durch kommerzielle Angebote. Die abgenutzte Sprache des Wünschens wird in seiner Installation "perfect guide" wieder in ihre Rechte gesetzt. Moralische Kritik an den Verführungstechniken des Spätkapitalismus ist seine Sache dabei ebenso wenig wie eine zynische Haltung, die über den Gefühlen stünde. Im Gegenteil. Dort, wo die Verheißungen von Schönheit, Mode und Werbung ins Leere laufen, spendet seine Arbeit Ermutigung, sich zum Mangel zu bekennen. Daniele Buetti sammelt den emotionalen Überfluss der kommerziellen Botschaften und fängt auf, was in ihrem alltäglichen Gebrauch auf der Strecke bleibt. "Love me", "I miss you" lauten diese in unserer Zeit nicht mehr aussprechbaren Botschaften.

Die letzten Jahren hat sich Buetti mit einer Art Tätowierung von Schönheitsidolen beschäftigt. Die Spuren der Verletzung, die er ihren unerreichbaren Körpern auf dem Fotopapier mit dem Kugelschreiber zufügte, verwandelten sich dabei in eine ornamentale Markierung der Haut. Man glaubte sie als narbenähnliches Relief unter den Fingerkuppen spüren zu können, wenn man über das Foto streichen würde. Jetzt perforiert er die Bilder von Madonna, Courtney Love, Cindy Crawford und Kate Moss mit winzigen Nadelstichen, und wieder entsteht aus der Zerstörung eine Steigerung des Verlangens. Licht hinter den Bildern läßt die Perforierung strahlen.

Buetti tut alles, um diesen Glamour zu steigern, und er tut dies auf eine Art und Weise, als ob ein Fanclub, eine Schulklasse und ein begabter Elektriker statt seiner die paar Tische zusammengeschoben und darauf mit den Resten der letztjährigen Weihnachtsdekoration losgelegt hätten. Elektrische Sterne, Kränze aus papierenen Tortendecken, ein Segel aus Silberfolie hier, eine kleine Lichtorgel dort, schon entsteht der schönste Kulissenzauber. Man fühlt sich wie das Kind, das zum ersten Mal ins Märchentheater gebracht wird, und wie der coole Jugendliche, der mit nicht weniger Lust hinter die Maschinerie der Illusion blickt. Die Kehrseite des Glamours aus Pappe, Kistenholz und Kabel ist überall einsehbar.

Erst durch die Armut der Materialien wird die Geschichte des Glanzes eine vielseitige. Sie streuen ein wenig Soziologie in den Kontext und lassen an die Kluft zwischen medialen Versprechungen und der Sprachlosigkeit des vereinsamten Rezipienten denken. Diesen melancholischen Zug treffen die Sprechblasen "Why exactly am I here" und "Have you ever considered suicide". Sie heißen einen aber auch willkommen in einer Welt aus Notlösungen, Kompromissen und Improvisationen. Wer nicht mehr nach der Möglichkeit sucht, das Wahre vom Falschen trennen zu können, findet darin einen Trost.

Damit behauptet sich Buetti gegen Ansprüche des Absoluten, Reinen und Utopischen in der Kunst: Er sucht keinen neuen Menschen, sondern nimmt die Gegenwart an, wie sie ist. "Trust me" heißt einer seiner Texte in Leuchtschrift und Video, und Vertrauen scheint viel eher die Basis seiner Kommunikation als Dekonstruktion und Entlarvung.

Buetti hat in der letzten Zeit im Kunstverein Ulm, dem Museum Nacional Centro de Arte Reina Sofia in Madrid und der Kunsthalle Kiel ausgestellt und jedes Mal gelang ihm eine neue Symbiose mit dem Ambiente. In der Museumsakademie Berlin scheint der gewundene Aufbau auf den Tischen, die sich durch drei Räume schieben, etwas von dem verwinkelten und oft verstellten Zugang zu der Galerie aufzunehmen. Aus der Installation können einzelne Leuchttafeln herausgelöst werden, die zwischen 2500 und 10 000 Mark angeboten werden.Museumsakademie Berlin, Rosenthaler Str. 39, bis 30. Oktober; Dienstag bis Sonnabend 14-19 Uhr. © 1999

Katrin Bettina Müller

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