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Kultur: Eine Frau sieht rot

In Michael Apteds „Genug“ wird Jennifer Lopez gedemütigt – und zur todesmutigen Kampfsportlerin

Von Kerstin Decker

Irgendwer muss etwas gegen diesen Film haben. Irgendwer muss ihn mit diesen erstaunlichen Zwischentiteln ausgestattet haben, so dass man bald nur noch wie nebenbei der Geschichte folgt, weil man schon mit bösem Vergnügen auf den nächsten Zwischentitel wartet. „Der strahlende Held“ lesen wir, Sekunden bevor der strahlende Held auftritt. „Familienglück“ heißt es, als wir das „Familienglück“ sehen. Nun gut, Michael Apteds Film zeigt das Familienglück wirklich genauso, dass einem dieses biedersinnige Wort dazu einfallen könnte.

Nach der Zwischenüberschrift „Neuanfang“ schließlich sehen wir – einen Neuanfang. Die Neuanfängerin ist Jennifer Lopez Superstar. Im Januar 2001 hatte sie sowohl eine CD auf Platz 1 („J.Lo.“) als auch einen Film auf Platz 1 („The Wedding Planner“). Doch, sie ist eine leidliche Schauspielerin.

Es gibt auch Filme, die sind unleidlicher als „Genug“. Konfektionsware: Das Mädchen Slim wird aus einem Schnellrestaurant weggeheiratet ( „Der strahlende Held“), als sie noch überlegt, wann sie sich an der Uni einschreiben soll. Sie findet sich wieder in einem luxuriösen Eigenheim mit Mann und Kind („Familienglück“). Bis sie merkt, dass ihr Mann Mitch (Bill Campbell) längst andere Frauen hat. Slim ist außer sich, bis Mitch Jennifers Außer-sich-Sein abrupt beendet. Er schlägt zu, kühl und grausam, gleichsam in pädagogischer Absicht: Sie sei die Frau, er der Mann. Er bringe das Geld nach Hause, also bestimme er die Spielregeln – und Mitch geht. Jetzt ist Slim ganz tief in sich, kaum noch vorhanden das Ich in dem zitternden Verlies ihres Körpers. Es folgt eine der wahrhaftigsten Szenen des Films: Slim bei ihrer Freundin im Schnellrestaurant, und sie sagt fast nur zu sich selbst: Ich bin doch keine Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird. So eine bin ich doch nicht!

„Neuanfang“ stimmt auch für den Filmcharakter. Jetzt wird ein Thriller draus. Slim flieht, und ihr Mann nimmt die Verfolgung auf. Nicht aus Reue, nein, dieser Mann hält fliehendes Eigentum für eine katastrophale Vorstellung. Die kinetische Energie seines Besitzes verletzt seinen Stolz. Ab jetzt ist der Mann allgegenwärtig als dunkle Bedrohung, der in jede Zuflucht von Slim und ihrer Tochter Gracie einbricht. Mitch, das Männermonster. So auf der simplen Seite des Ur-Bösen muss alles Weitere zum Comic werden. Und was wird aus Jennifer? Die einsame Rächerin, die Krav Maga-Kämpferin. Die weibliche Version von Rocky, sagt Jennifer Lopez.

Auch in Ridley Scotts „Thelma & Louise“ ging es um weibliche Selbstjustiz und die Eigentümlichkeiten amerikanischer Rechtsprechung, die Frauen in Not keine Chance lassen. Aber „Thelma & Louise“ trug auf wunderbare Weise die Notwehr der Frauen. „Genug“ dagegen ist nackt.

Slim trainiert Krav Maga. Krav Maga ist einer der effektivsten und tödlichsten Kampfstile; das israelische Militär entwickelte diese Technik, damit seine weiblichen Soldaten im Kampf eine Chance haben. So bekommt Jennifer die ihre. Dass sie im tödlichen Show-Down, im Zweikampf Mann gegen Frau nicht lächerlich wirkt, darf als größte darstellerische Leistung von „Genug“ gelten. Eine athletische Übung, nicht mehr.

In 19 Berliner Kinos; Originalfassung im Cinemaxx Potsdamer Platz, Cinestar Sony Center und in der Kurbel

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