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Drei Wünsche frei. Köhler Peter Munk (Frederick Lau) berührt die Geisterwelt.

© Weltkino

Film "Das kalte Herz": Eine kapitalismuskritische Märchenverfilmung

Regisseur Johannes Naber hat den Defa-Klassiker "Das kalte Herz" neu verfilmt. Die Inszenierung des Märchens von Wilhelm Hauff ist bildgewaltig und kapitalismuskritisch.

Es war einmal ein Schwarzwald, den man so noch nie sah. Mit Menschen, die ihre Volkstänze in einem stampfenden Rhythmus darbieten, so roh und treibend wie in Strawinskys Ballett „Sacre du printemps“. Mit Burschen, die wie die Krieger von Urvölkern mit Stöcken aufeinander losgehen. Mit Glasbläsern, Holzfällern und Köhlern, die im Gesicht mit den Zeichen ihres Standes tätowiert sind. Und mit bösen und guten Geistern, die so exotisch bemalt sind wie indische Sadhus – und einen das ganz und gar vorchristliche Gruseln lehren.

Da ist der teuflische Holländer-Michel, der dem armen Köhler Peter Munk im Tausch für dessen Herz Wohlstand verspricht und einen kalten Stein in die Brust zwängt. Moritz Bleibtreu – ein würdiger Nachfolger des im Defa-Klassiker von 1950 in der Rolle brillierenden Erwin Geschonneck – verkörpert diesen Michel als eine Art Colonel Kurtz. Und da ist sein Gegenspieler, der gute Wünscheerfüller, genannt Glasmännlein. Noch eine Figur, die nach etlichen Verfilmungen des Märchens von Wilhelm Hauff nun im rumpelstilzchenhaften Milan Peschel ihre bis auf Weiteres gültige Besetzung findet.

Die von den beiden bewohnten Zwischenwelten gehören wie die Höhlen, Schluchten, Wälder und das – im Studio Babelsberg errichtete – Schwarzwalddorf zu der fantastischen und trotzdem altdeutschen Szenerie, in die Johannes Naber seine packende Verfilmung des 1827 erschienenen Kunstmärchens kleidet. Der saft- und kraftvolle Mummenschanz ist gleichermaßen cool und lyrisch, dazu bilderstark und vor allem atmosphärisch ein großer Wurf.

Kampf um die Liebe, Sehnsucht nach Lebensglück

Naber setzt ganz auf die düster glimmende spätromantische Essenz der Geschichte des Köhlers – auf den Kampf um die Liebe, die Sehnsucht nach Lebensglück und das bedrohliche Gefühl des Verlusts der Handwerker-Welt zugunsten der heraufziehenden Industrialisierung.

Der Regisseur, der mit seinem Spielfilmdebüt „Der Albaner“ 2010 den Max-Ophüls-Preis gewann, hat sich bereits 2015 mit der bitterbösen Unternehmensberater-Satire „Die Zeit der Kannibalen“ als cineastischer Kapitalismuskritiker positioniert. „Das kalte Herz“ geißelt das Gewinnstreben nun mit populären Mitteln. Hier ist die Harmonie des Erdenlebens an sich zerbrochen, die paradiesische Einheit von Mensch und Natur für immer verletzt, ganz ohne christlichen Adamsapfel im Garten Eden. Die Industrialisierung und mit ihr der Raubbau zum Zweck gieriger Profitmaximierung – das ist der wahre Sündenfall.

Schön und reich. Lisbeth (Henriette Confurius) und der zu dubiosem Wohlstand gelangte Peter Munk (Frederick Lau).
Schön und reich. Lisbeth (Henriette Confurius) und der zu dubiosem Wohlstand gelangte Peter Munk (Frederick Lau).

© Weltkino Filmverleih

„Menschen, ihr kennt mich nicht mehr“, raunt das Glasmännlein zu Beginn, mit Verachtung für diese törichte Spezies in der Stimme. Klar, dass das massenhafte Fällen der Tannen, die die Händler zum Schiffsbau nach Holland flößen, ein ebenso fataler Fehler ist wie der, das Herz wegzutauschen. Auch wenn Peter Munk damit als skrupelloser Geschäftsmann den ersehnten Reichtum, Rang und auch die Hand von Lisbeth, der Tochter des wohlhabenden Glasmachers Löbl, gewinnt. Dumm nur, dass Lisbeth partout keinen lieblosen Mann haben will. Frederick Lau spielt den verrußten Jungköhler, der zum smarten Reichen im Samtanzug aufsteigt – und diese Charakterwandlung nimmt man ihm erst beim zweiten Hinschauen ab.

Weibliche Fürsorge gegen männliche Machtspiele

Die reine Seele Lisbeth und Munks kräuterkundige Mutter Barbara (Jule Böwe) vertreten in ihrer Ablehnung männlicher Machtspiele das traditionell weibliche Prinzip – Liebe, Mitgefühl, Fürsorge. Ja, als die von der frischen Henriette Confurius („Die geliebten Schwestern“) gespielte Schöne durch den Zauber des Glasmännleins von den Toten aufersteht, verwandelt sie sich geradezu in eine Heilsgestalt. Da passt dann wenigstens der stilisierte Engelsgesang. Die Filmmusik und ein paar schwächliche Spezialeffekte, die Peter Munks „Herzoperation“ symbolisieren sollen, sind denn auch die einzigen Abzüge in der B-Note.

Sonst funktioniert „Das kalte Herz“ vorzüglich als zeitgemäßes Gegenmodell zu vielen seit Jahren in Hollywood und dem deutschen Fernsehen ungebrochen populären Märchen-Fantasy-Filmen. Kenneth Branaghs letztjährige Version von „Cinderella“ etwa hatte außer seliger Unschuld, überbordendem Dekor und Cate Blanchett als böser Stiefmutter nichts zu bieten, erst recht keine heutige Interpretation. Da ist „Das kalte Herz“ in all seinem Ausstattungseifer, seiner Kostüm- und Märchenherrlichkeit von ganz anderem Kaliber. Allein die Szene, in der der Holländer-Michel stolz seine an Fäden aufgehängte Sammlung panisch pochender Herzen herzeigt. Jeder der Dorfhonoratioren hat die Seele dem Mammon verkauft und trägt stattdessen einen Stein in der Brust. Wie sie da so gottverloren baumeln und ins Nichts pulsieren! Was für ein schaurig-schöner Anblick.

In elf Berliner Kinos

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