zum Hauptinhalt

Kultur: Eine linke Geschichte

Seit 15 Jahren träumt die PDS davon, eine gesamtdeutsche Kraft zu werden. Jetzt sieht sie sich kurz vor dem Ziel. Ihr fehlt nur noch ein Programm.

August 1990. Die Stimmung ist prächtig, das Audimax der TU Berlin gut gefüllt. Traditionslinke, K-Grüppler und Ökosozialisten feiern einen Neuling auf ihrem politischen Parkett: Gregor Gysi, den Vorsitzenden jener Partei, die sich gerade von SED in PDS umbenannt und im Westen einen Ableger, die Linke Liste, gegründet hat. Der Gast präsentiert sich frech und schlagfertig und nicht so theorielastig wie der Ökosozialist Thomas Ebermann, auch nicht so wehleidig wie die vier Frauen auf dem Podium, die das „Macho-Projekt Anschluss“ bejammern. „Gregor Gysi – Superstar“ („taz“) beschwört den „historischen Moment“ für die Einigung der Linken. Eine Partei muss her und zwar schnell, weil, so Gysi, „im Kampf jetzt keine Pause gemacht werden kann“. Der PDS-Vorsitzende träumt von einer linken Massenpartei in Ost und West, die Fünf-Prozent-Hürde sei kein Problem, „das Milliönchen Stimmen im Westen trauen wir uns zu“. Er erntet tosenden Applaus. Wer es dennoch wagt, ihn nach der fragwürdigen Vorgeschichte der PDS zu fragen, wird ausgebuht. Die marginalisierte Linke fühlt sich als gesellschaftliche Avantgarde.

15 Jahre später. Wieder ein historischer Moment, wieder keine Zeit für Analysen, wieder der Traum von einem Linksbündnis, das dieses Mal aus PDS und der „Wahlalternative“ WASG entstehen soll. Oskar Lafontaine, der nach der NRW-Wahl der SPD sein Parteibuch zurückgeschickt hat, hätte Lust, da mitzumachen. Eine Zusammenarbeit mit Gysi könne er sich gut vorstellen, verkündete er gestern, und auch Gregor Gysi ist sich ganz sicher, dass ein west-östliches Linksbündnis diesmal wirklich eine Chance hat. Es könne die Schwäche der PDS im Westen überwinden und den Linken helfen, sich im bundesdeutschen System zu etablieren.

1990 linke Liste. 2005 Linksbündnis. Dazwischen liegen 15 Jahre Misserfolg, zahllose Versuche, die PDS im Westen zu verankern, zahllose Westlinke, die der PDS versprechen, ihr die westdeutschen Wähler zu mobilisieren. Dazwischen liegen auch 15 Jahre, in denen die Zahl der Arbeitslosen kontinuierlich stieg und das Vertrauen in die etablierten Parteien schwand. Die PDS hat es in dieser Zeit geschafft, in einigen Bundesländern von einer verfemten Ostpartei zur Volkspartei zu werden. Gleichzeitig gelten ihre Erfolge als Beleg für die innere Spaltung Deutschlands.

Diese Entwicklung war im Sommer 1990, im ersten gesamtdeutschen Wahlkampf der Partei, noch nicht abzusehen. Gysi fordert linke Grüne, linke Gewerkschafter und linke Sozialdemokraten auf, mit ihm ein „neues Sammelbecken“ zu begründen. Vor allem die Grünen stecken ja tief in der Krise. Mauerfall und Wiedervereinigung haben sie völlig überrascht, die Auseinandersetzungen zwischen Realos und Fundis spitzen sich zu, auf einem Parteitag in Hagen kommt es zur Eskalation, die Frage eines Bündnisses mit der PDS wird zur Gretchenfrage, die Partei steht am Rande der Spaltung.

Doch am Ende sind es nur sehr wenige Grüne, die sich der PDS anschließen. Dazu kommen Mitglieder des Kommunistischen Bundes, Ex-DKPler und ein hauptamtlicher IG-Metall-Funktionär. Auch der Wahlerfolg bleibt aus. Am 2. Dezember 1990 sind es im Westen 126196 Stimmen, gerade mal 0,3 Prozent. Das ist DKP-Niveau und für die gesamtdeutschen Träume Gregor Gysis ein Desaster. Er hat die Berührungsängste der Westlinken unterschätzt. Vielen kommt die PDS wie eine ausländische Partei vor. Ihren Einzug in den Bundestag verdankt die PDS nur der Tatsache, dass es bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen zwei getrennte Wahlgebiete gibt und die Partei mit 11,1 Prozent im Osten die Fünf-Prozent-Hürde nimmt.

In der Bundestagsfraktion stoßen dann Welten aufeinander. Schon nach ein paar Monaten klagt Gregor Gysi dann das erste Mal öffentlich über die westdeutschen PDS-Mitglieder, die aus „sektenhaft strukturierten linken Zirkeln“ zur PDS gestoßen seien. Zugleich ist er überzeugt, dass die PDS ohne Westausdehnung keine Zukunft habe. Es ist paradox. Alle Wahlerfolge verdankt die PDS ihrer ostdeutschen Verankerung. Doch als zwei sächsische Landespolitiker Mitte der 90er Jahre fordern, die PDS solle nach dem „strategischen Vorbild der CSU“ republikweiten Einfluss entfalten, statt um „versprengte Westlinke“ zu buhlen, werden sie von den eigenen Genossen abgestraft. Man will nicht die „Lufthoheit über ostdeutschen Stammtischen“ gewinnen, sondern weiter an den Sozialismus glauben, und das geht nur gesamtdeutsch. Doch was ist Sozialismus im 21. Jahrhundert? Wie profiliert man sich links von der SPD?

Die PDS sieht sich, trotz aller Irrtümer und Verbrechen, die sie sich als SED hat zu Schulden kommen lassen, in der 150-jährigen Tradition der deutschen Arbeiterbewegung, als Nachfolgerin der Partei von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die den Kapitalismus nicht reformieren, sondern abschaffen wollten. Heute ist links sein für sie weniger ein Programm als das Versprechen einer besseren, gerechteren Welt. Wie dieses Versprechen im 21. Jahrhundert erfüllt werden kann, darauf gibt die PDS vor allem negative Antworten: nicht mit Hartz IV, nicht mit Umverteilung von unten nach oben, nicht mit Gerhard Schröder. Das soll reichen, um 2005 in den Bundestag einzuziehen.

Seit Mitte der 90er Jahre erzielt die Partei als Anwalt der Ostdeutschen spektakuläre Wahlerfolge, wird in Sachsen-Anhalt sogar Tolerierungspartner einer rot-grünen Minderheitsregierung. Im Bundestagswahlkampf 1994 setzt die Partei auf Prominente, Gysis bunte Truppe. Der Bismarck-Enkel Heinrich Graf von Einsiedel gehört dazu, der West-Berliner Gewerkschaftsfunktionär Manfred Müller und der Schriftsteller Gerhard Zwerenz. Doch nur ein Kandidat auf der offenen Liste der PDS ist wirklich ein Zugpferd: der Schriftsteller Stefan Heym. Der Coup gelingt. Heym schlägt Wolfgang Thierse im Wahlkreis Berlin Mitte-Prenzlauer Berg. Gewinnt eins von vier PDS-Direktmandaten. Die PDS zieht in den Bundestag ein, obwohl sie nur 4,4 Prozent erzielt. Im Westen wählen immerhin 368952 Menschen die PDS. Das sind doppelt so viele wie 1990, aber nur knapp 1,0 Prozent. Stefan Heym verschafft der PDS in Westdeutschland zumindest Respekt.

Am 10. November 1994 eröffnet der 81-Jährige als Alterspräsident den 13. Deutschen Bundestag. Mit versteinerten Mienen sitzen Helmut Kohl und die seinen auf den Unionsbänken, verweigern dem parteilosen Schriftsteller, den sie vor fünf Jahren noch als Hoffnungsträger der Wende in der DDR gefeiert haben, den Beifall. Heym verzichtet auf die angekündigte Provokation, spricht nicht über Sozialismus sondern setzt auf Versöhnung zwischen Ost und West. Er zitiert Willy Brandt, Bertolt Brecht, Abraham Lincoln und fordert eine „große Koalition der Vernünftigen“. Die CDU ist düpiert, ein erster wichtiger Schritt aus der Isolation ist gemacht. 1995 treffen sich Lafontaine und Gysi, trotz offizieller Kontaktsperre hinter verschlossenen Türen. Sie haben einander noch nicht viel zu sagen, es ist vor allem eine symbolische Begegnung. Aber sie bleiben in Kontakt, telefonieren regelmäßig miteinander.

Bei der Bundestagswahl 1998 überwindet die PDS zum ersten und bislang einzigen Mal die Fünf-Prozent-Hürde. Der Durchbruch im Westen hingegen bleibt wieder aus, es werden 460681 Stimmen oder 1,2 Prozent.

1998 ist in vieler Hinsicht eine Zeitwende. Rot-Grün übernimmt die Macht. Berlin wird Hauptstadt, Deutschland sozusagen aus dem Osten regiert. Gregor Gysi steht endlich einer richtigen Fraktion vor. Die Reformer an der PDS-Spitze wollen an die Macht, wollen in den ostdeutschen Ländern mitregieren. Gysi denkt sogar schon weiter: an eine Mitte-links-Option im Bund und die PDS als Partner und linkes Korrektiv von Rot-Grün. Druck von links könne Rot-Grün gebrauchen, glaubt er. Dann folgt auf die rot-grüne Euphorie schnell der erste Kater.

Statt Umverteilung gibt es Steuersenkungen, statt sofortigen Atomausstieg lange Restlaufzeiten, statt Abrüstung den Kosovokrieg. Oskar Lafontaine tritt als Finanzminister und SPD-Vorsitzender ab. Er hält die vielen Zwänge des Regierungsalltags nicht gut aus. Für die PDS könnte das eine Chance werden. Gysi will die enttäuschten Wähler von Rot-Grün für die PDS gewinnen. Er weiß, dafür muss er seine Partei endlich aus der ostdeutschen Nische in die gesamtdeutsche Gesellschaft führen. Er wirbt bei seinen Genossen für Dialogfähigkeit mit der CDU, mit der Kirche und auch mit der Bundeswehr, fordert eine klare Trennung von der dogmatischen Linken.

Im April 2000 wagt seine Partei sich erstmals mit einem Parteitag in den Westen, nach Münster. Auf der Tagesordnung steht die Friedensfrage. Mit Hintersinn. Bundeskanzler Gerhard Schröder trinkt mit dem PDS-Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi in jenen Tagen gerne mal einen Rotwein. Parteistrategen erörtern schon die Frage, ob Gysi nach den Bundestagswahlen 2002 als Minister für den Aufbau Ost in eine von der PDS tolerierte rot-grüne Bundesregierung eintreten könnte. Doch dafür braucht die PDS eine realistische Haltung in der Außenpolitik. In Münster kommt es zum Showdown. Die Basis erhebt sich gegen den Realpolitiker, linke Fundamentalisten gegen die Reformer. Dem Parteitag liegt ein Antrag vor, der es der PDS-Bundestagsfraktion erlauben würde, Militäreinsätzen der UN in Einzelfällen zuzustimmen. Der Aufschrei ist gewaltig, Gysi wird als „Kriegstreiber“ beschimpft.

Die Partei, die nun wirklich keine pazifistische Tradition hat, ist plötzlich gefangen in ihrer langen Geschichte. Die Kriegskredite, denen die SPD 1914 zustimmte, was zur Spaltung der deutschen Sozialisten führte, werden beschworen und der Vietnamkrieg wird gegeißelt, nur über Wege für die internationale Konfliktlösung im Zeitalter der Globalisierung wird nicht diskutiert. Das ist kein Thema für die Mehrheit der PDS. Der Antrag scheitert, die reformorientierte Führung erleidet eine schwere Niederlage.

Gysi hat die Nase voll. Er plant schon länger, den Fraktionsvorsitz abzugeben und sich 2002 aus dem Bundestag zurückzuziehen. Wütend entschließt er sich nun, seinen Abschied bereits in Münster zu verkünden. Aus dem Stegreif rechnet er mit der Partei ab. Er kritisiert die Genossen, die sich nicht mit den Sorgen der Leute auseinander setzten, sondern von der Revolution träumten. Er mahnt seine Partei, die SPD „nie wieder zum Feindbild“ zu erklären. Die meisten ostdeutschen Delegierten sind geschockt, einige den Tränen nahe, eine Delegierte aus dem fundamentalistischen Hamburger Landesverband steht auf und überreicht Gysi zum Abschied eine Banane.

Die Partei ist tief gespalten. Anspruch und Wirklichkeit, Theorie und Praxis klaffen weit auseinander. In Mecklenburg-Vorpommern sitzt die PDS bereits seit zwei Jahren in der Landesregierung, setzt einen rigiden Sparkurs um. In Berlin bereitet sie sich auf beides vor, mit dem ersten Comeback von Gregor Gysi. Er wird im Januar 2002 Wirtschaftssenator. Wieder kämpft er gegen die Vorurteile in den eigenen Reihen. Wieder erklärt er seinen Genossen, es gebe auch im Kapitalismus „vieles zu verteidigen“. Als Senator Gysi für Lockerungen beim Kündigungsschutz plädiert und die Privatisierung von landeseigenen Unternehmen fordert, wird er ausgepfiffen. Gysi ist nicht mehr Everybody’s Darling. Er muss den Mitarbeitern der insolventen Herlitz AG erklären, dass seine Möglichkeiten, ihre Arbeitsplätze zu retten, begrenzt sind. Da macht keiner eine gute Figur. Anders als Lafontaine schafft Gysi zwar den intellektuellen Sprung von der Opposition auf die Regierungsbank, praktisch jedoch nicht. Er verliert die Lust am Aktenstudium und an Abteilungsleiterrunden, zumal alle Hoffnungen, in die Bundesregierung zu wechseln, längst verflogen sind. Als dann im Bundestagswahlkampf 2002 bekannt wird, dass er privat Bundestags-Bonusmeilen genutzt hat, tritt er zurück. Es wirkt wie eine Flucht.

Dieses Mal scheitert Gysi nicht an der PDS-Basis sondern an sich selbst. Doch auch die Basis tut sich schwer mit der Realpolitik, vielen Mitgliedern ist die Arbeit der beiden rot-roten Landesregierungen suspekt, sie haben wenig Verständnis für deren Zwänge und kritisieren lieber den „Abbau von sozialen Leistungen“. Vergeblich weisen ihre Minister und Senatoren darauf hin, dass linke Sozialpolitik mehr ist als „Hartz IV muss weg“, dass die Reichtümer, die die PDS umverteilen will, erst einmal verdient werden müssen. So etwas hört die Basis nicht gern, das klingt ja wie bei der SPD und die macht aus PDS-Perspektive schließlich neoliberale Politik.

Eine Reihe von Mitgliedern verlässt die PDS, um als Wahlalternative die Abwahl des rot-roten Senates zu betreiben. Es ist eine schlechte Zeit für die PDS. Die ostdeutschen Wähler der PDS sind verunsichert. Das zerstrittene Ost-West-Führungstrio Gabi Zimmer, Diether Dehm und Uwe Hiksch führt die Partei an den Abgrund. Im Sommer 2003 werden sie zum Rücktritt gezwungen. Der ehemalige PDS-Chef Lothar Bisky muss noch einmal ran. Er kehrt an die Spitze zurück. Im Gegenzug ringt er seinem Freund Gregor Gysi das Versprechen ab, noch einmal für den Bundestag zu kandidieren.

Es könnte sein zweites Comeback werden, an der Seite von Oskar Lafontaine, der den Kontakt schon nach seinem Rücktritt wieder aufgenommen hatte. Auf Hahnenkämpfe mit dem eloquenten PDS-Mann müsse man sich nicht einstellen, sagt Lafontaine, schließlich seien sie beide „älter und weiser“ geworden. Außerdem brauchen sie einander heute mehr denn je. Seit 2001 fabuliert Lafontaine über die Gründung einer „großen linken Volkspartei“. Vor vier Jahren denkt er noch an einen Zusammenschluss von SPD und PDS. Jetzt wäre die Wahlalternative, die, genau wie Lafontaine für sich in Anspruch nimmt, das Erbe der Sozialdemokratie gegen Schröders Reformagenda zu verteidigen, der Bündnispartner. Sie hat noch gar kein richtiges Programm, ist vielmehr ein buntes Sammelbecken aus Traditionslinken, Globalisierungskritikern, Gewerkschaftern und Trotzkisten. Lafontaines Programm heißt vor allem Lafontaine. Und Gysi?

Er weiß, dass die PDS mit einem populistischen Ostwahlkampf im September 2005 wohl problemlos in den Bundestag zurückkehren könnte. Doch er will seinen 15 Jahre alten Traum von der Linkspartei nicht aufgeben. Nach dem Scheitern der rot-grünen Bundesregierung und der tiefen Vertrauenskrise der SPD ist er ist wieder obenauf. Bei Fehlern, Irrtümern und Niederlagen der Vergangenheit hält sich Gysi deshalb gar nicht lange auf, nicht bei Bonusmeilen, nicht bei seinem überstürzten Rücktritt, auch nicht bei seiner Mitverantwortung für das Scheitern der PDS bei den Bundestagswahlen 2002.

Gysi wirkt nicht mehr so frisch und schlagfertig wie früher, zwei Herzentfarkte haben Spuren hinterlassen. Aber er ist voller Optimismus. Am 3. Juni 2005 steht er im Karl-Liebknecht-Haus und wirbt für ein Bündnis von PDS und WASG. Das Land stehe vor „großen Veränderungen“, sagt er, die Linke vor einem „Qualitätssprung“. Da will er unbedingt dabei sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false