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Andreas Richter

© Mike Wolff

Eine Position von Andreas Richter: Schützenswerte Orchesterlandschaft

Der Deutsche Musikrat will die einmalige Orchesterlandschaft der Bundesrepublik von der Unesco schützen lassen. Das erweckt den Eindruck, als hätten wir hierzulande das alleinige Recht auf musikalische Vielfalt gepachtet.

Weltkulturerbe, dieses Label ist heiß begehrt und klingt großartig. Ob Pyramiden oder Eifelturm, bei vielen Monumenten ist es klar, dass sie geschützt werden müssen aus Respekt vor der Geschichte, als unwiederbringliches Zeitzeugnis und einmaliges Kulturgut. Auch die so genannten immateriellen Kulturgüter werden von der Unesco auf einer zentralen Liste geschützt, darunter sind viele besondere Kulturtechniken von A wie Abakus bis X wie Xooy, eine Wahrsage-Zeremonie aus dem Senegal.

Deutschland ist der Konvention 2013 beigetreten, und nun hat die Deutsche Unesco-Kommission und ihr unabhängiges Expertengremium die Qual der Wahl zwischen dem nach Reinheitsgebot gebrautem Bier oder dem Rheinischen Karneval. Mit unter den Anwärtern ist der Deutsche Musikrat, der die deutsche Orchesterlandschaft von der Unesco schützen lassen will.

Soweit, so gut - denn, dass diese Orchesterlandschaft einmalig und schützenswert ist, wird wohl kaum jemand bezweifeln. 

Ähnlich wie bei der Diskussion um ein Staatsziel Kultur in der Verfassung geht es natürlich um die politische Sicherung und den Versuch, den Staat zur finanziellen Förderung zu verpflichten. Man stelle sich nur vor, Deutschland verlöre den mühsam gewonnen Status des Weltkulturerbes gleich wieder bei der nächsten Orchesterfusion oder dem Streichen weiterer Stellen.

Es ist ja wahr: Allein in Deutschland sind in den letzten 20 Jahren 36 Orchester verschwunden und damit 2500 feste Stellen für Orchestermusiker. Doch die Frage bleibt, ob dieser Schutz nicht viel zu vage bliebe und auch, ob es nicht viele andere Bereiche der Kultur gibt, die ähnlich einzigartig wie bedroht sind.

Eine andere Dimension könnte freilich bei den europäischen Nachbarstaaten unangenehm aufstoßen: Es gibt ja nun nicht nur in Deutschland eine Orchesterkultur. Aus Italien kommt die Oper mit ihren Orchestern, das berühmte Orchester am französischen Hof von Versailles mit seinen 24 Musikern war das Vorzeigeensemble der Zeit, und Haydn konnte erst nach dem er nach London ging aus der Dimension Kammerorchester in Esterhàzy zu seinen großen Symphonien kommen. War Mozart Deutscher oder Österreicher, hat er nicht italienische, französische und Musik aus München, Mannheim und Berlin adaptiert? Damals gab es ja dieses Deutschland so noch gar nicht.

Ein immaterielles Weltkulturerbe sollte nicht den Beigeschmack haben, irgendein Land hätte ein solches für sich gepachtet. Und die hiesige wunderbare Orchesterlandschaft ist aus ihrer Geschichte und vom Selbstverständnis der Musiker her eine europäische. Da wäre es doch nahe liegend, Europa mal positiv zu sehen und mit einem wesentlich europäischem Inhalt zu füllen. Also nicht die deutsche, aber die europäische Orchesterlandschaft schützen zu lassen - wunderbarer Weise geht das nämlich auch, weil auch die EU derlei Kulturerbe eintragen lassen kann und sich dann nicht zwischen Bier und Karneval entscheiden muss.

Andreas Richter

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