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Kultur: Eine schrecklich nette Familie

Sind wir nicht alle Überflieger? Der Animationsfilm „Die Unglaublichen“ holt die Superhelden aus dem Vorruhestand

Bob Parr hat einen geregelten Arbeitstag. Morgens tritt er aus seinem Klein-Bungalow und fährt in einem Kleinstwagen in die winzige Bürozelle einer Versicherungsgesellschaft. Es ist ein anstrengendes Leben mit wenig Freude. Ein cholerischer Chef wacht darüber, dass Parr die Versicherten zu ihrem eigenen Schaden und zum Nutzen der Firma berät. Abends sitzt er am Familientisch und sieht den Kindern beim Streiten zu. In solchen Augenblicken zieht es ihn in den Hobbykeller, wo er sich mit den Reliquien einer anderen, besseren Welt einschließt.

Parr ist ein ganz normaler Mann, fast jedenfalls. Was ihn von anderen Leidensgenossen unterscheidet, die heimlich mit alten Fußbällen und Modellautos spielen, ist seine Vergangenheit. Denn früher war Parr ein anderer. Er fuhr ein Raketenauto und trug einen schicken Anzug. Parr war der Schrecken aller Bösen und der Held der Guten. Er war ein Superheld.

Als Mr. Incredible jagte Parr Schurken im eng anliegenden Kostüm und rettete auch mal eine Katze vom Baum. Dabei halfen ihm seine Superkräfte. Doch eines Tages kam alles anders. Als er einen Selbstmörder, der sich von einem Hochhausdach stürzte, mitten in der Luft durch ein Fenster riss und ihm so das Leben rettete, zog sich der Lebensmüde ein Schleudertrauma zu – und klagte erfolgreich vor Gericht. Eine Welle von Schadenersatzklagen gegen die Superhelden brach los.

Auch Elastigirl, Frozone, Flash und wie sie alle heißen, werden über Nacht arbeitslos, ein „Superhelden-Schutzprogramm“ hilft bei der Resozialisierung. Widerstrebend werden Ausnahmemenschen so zu Durchschnittsbürgern. Was aber tut ein Held, der gewohnt ist, die Welt zu retten, wenn die sich gar nicht retten lassen will? Das ist eine der Kernfragen in Brad Birds Film „Die Unglaublichen“.

Der vom Pixar-Studio („Findet Nemo“) animierte Film spielt in einer seltsam zeitlose Epoche. Die schönen Designerhäuser mit ihrem Lounge-Mobiliar scheinen direkt aus New Hollywood importiert und erinnern nicht von ungefähr an den Stil des Neo-Tiki-Zeichners Shag. Der Soundtrack klingt mal nach Neal Heftis Batman-Thema, mal nach John Berrys Soundtrack zum ersten James-Bond-Leinwandabenteuer „Dr. No“; auch die Szenarien hätte ein Ken Adam nicht größenwahnsinniger und schöner entwerfen können. All dies sind Reminiszenzen an die Genre-Geschichte.

Das Goldene Zeitalter der Comichelden begann mit daily strips in den Zeitungen in den Dreißigerjahren. So kamen Superman und sein dunkler Wiedergänger in die Welt. Die seltsamen Helden mit den übermenschlichen Kräften waren so erfolgreich, dass sie bald ein eigenes Format erhielten. Als Comichefte zogen sie in den Tornistern der Soldaten in den Zweiten Weltkrieg. Darin kämpften sie gegen Japaner und Deutsche und schlugen sich in der Heimat mit Saboteuren herum. Am laufenden Meter entstanden nach dem Krieg neue Helden und Reihen. Hatte ein Superheld keinen Erfolg mehr, so bekam er im silver age der späten Fünfziger- und Sechzigerjahre ein Lifting, ein neues Kostüm oder einen neuen Zeichner.

Doch sind die Helden in der Krise – und das schon länger. Batman, eine archaische Vaterfigur des Genres, wurde schon mehr als einmal in Rente geschickt, und auch den anderen Heldencomics geht es nicht besonders gut. Längst sind Comichefte nicht mehr das Medium der Jugend, die ihren neuen, bewegten Helden auf der Playstation huldigt. Das neue Jahrtausend könnte nach den bronzenen Achtzigern zum blechernen Zeitalter für die Comicfiguren werden – wenn nicht das Kino wäre, das sie kontinuierlich reaktiviert. Die meisten dieser Wiederbelebungsversuche haben allerdings etwas von Abgesang. „Spiderman II“ handelte vom Fluch, ein Superheld sein zu müssen – und kein Junge sein zu dürfen. Den „Unglaublichen“ ergeht es nun umgekehrt.

Dabei haben sie einen entscheidenden Vorteil: Sie sind eine Familie, auch wenn keiner so ganz normal ist. Sohn Flash hat Hochgeschwindigkeitskräfte (und landet wegen deren übertriebener Anwendung öfter beim Rektor), Tochter Violetta kann Kraftfelder erzeugen (und steckt in einer tiefen Pubertätskrise), und Mutter Helen kann ihren Körper amorph in alle Richtungen verbiegen: Sie war einmal das berühmte Elastigirl. Nach jahrelangem Mutterdasein runden sich gewisse Körperzonen nun in ungewollte Richtungen, und auch Vater Bob bekommt seinen Anzug nicht mehr über die Problemzonen gestreift. Erst das Auftauchen eines neuen Superschurken und seiner verführerischen Gehilfin beendet das triste Mittelstandsdasein und vorerst auch den Familienfrieden. Ironischerweise – fast alles ist hier Ironie – ist der neue Schurke ausgerechnet ein ehemaliger Stalker, ein enttäuschter Fan der Superhelden.

Der Animationsfilm „Die Unglaublichen“, der in den USA binnen drei Wochen über 200 Millionen Dollar eingespielt hat, ist eine Parodie. Die historischen Superhelden wird er nicht unbedingt retten. Aber mit seiner Verbindung von traditioneller Comiczeichnung und moderner Computeranimation ist der witzigste Superheldenfilm seit „Batman hält die Welt in Atem“ von 1966. Und seine rein computeranimierten Figuren sind nicht nur bis in die einzelnen Haarspitzen fein gezeichnet. Sie sind auch Charakterstudien, die mehrdimensionaler angelegt sind als etliche aktuelle Hollywoodfilme mit richtigen, echten Schauspielern. Von solchen Helden lassen wir uns gerne retten.

Ab morgen in 29 Berliner Kinos; Originalfassung im Cinemaxx Potsdamer Platz und im Cinestar SonyCenter

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