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Kultur: Eine schwierige Familie

Streit um Flick: Seine Schwester Dagmar Ottmann kritisiert halbherzige Geschichtsaufarbeitung

Es sollte, nach dem Willen Friedrich Christian „Mick“ Flicks, ein ruhiger Sommer werden. Kein Wort mag er mehr äußern, bis sich am 22. September in Berlin die Pforten der „Flick Collection“ für das Publikum öffnen. Verständlich – denn in der Tat blieb in den Debatten der zurückliegenden Monate kein einziges Argument unausgesprochen (und unerwidert).

Es ist alles gesagt, nur noch nicht von allen: Denn jetzt gibt es eine Wortmeldung, die das eingefahrene Spiel wechselseitiger Anwürfe gehörig durcheinander wirbeln wird. In der gestern erschienenen „Zeit“ veröffentlicht die Schwester des Sammlers, Dagmar Ottmann, ihren Brief an Salomon Korn und Michael Fürst, die beiden Repräsentanten der Juden in Deutschland, die heftig gegen die FlickSammlung polemisiert hatten. Dagmar Ottmann pflichtet ihnen in aller Deutlichkeit bei: Sie hätte – wie Korn und Fürst – „ein Moratorium der Ausstellung begrüßt.“ Wenn überhaupt, könne man „eine Ausstellung unter dem Signum ,Flick’ wohl erst nach Vorlage der historischen Forschungsergebnisse unbefangen durchführen“.

Zugleich wehrt sich Ottmann gegen die Vereinnahmung des Familiennamens durch ihren Bruder, der die Debatte mit unbedachten Äußerungen wie jener, der „dunklen Seite“ der Familiengeschichte „eine hellere hinzufügen“ zu wollen, befeuert hatte. In dem Brief betont sie, „Anfang 2001 aus meinem Privatvermögen einen namhaften Millionenbetrag an den Zwangsarbeiter-Fonds geleistet“ zu haben – genau das, was ihr Bruder stets mit dem Hinweis abgelehnt hat, die Firmen, an denen sein Großvater Friedrich Flick (1883-1972) beteiligt war, hätten bereits Zahlungen geleistet.

Die Zahlung Ottmanns und ihr Bekenntnis zur Verantwortung für die Familiengeschichte – die Germanistin hat ein Forschungsvorhaben zur „Geschichte der Friedrich Flick KG im 20. Jahrhundert“ an der Bochumer Universität auf den Weg gebracht – stellen Mick Flicks Zögerlichkeit, sich der schonungslosen Offenlegung der Taten und Untaten seines NS-belasteten Großvaters Friedrich Flick zu stellen, kein gutes Zeugnis aus.

Gleichermaßen gilt das für die Staatlichen Museen, Nutznießer der Flick-Ausstellung. Sie mochten sich erst im Strudel der Kontroverse zu einer Dokumentation der Flick-Vergangenheit bequemen. Doch auch das kritisiert die Schwester: „Wie kann man ernsthaft ohne Vorliegen objektiver, wissenschaftlich fundierter Informationen überhaupt ein derartiges Unterfangen angehen, im Rahmen einer Kunstausstellung jahrelang über eine Familiengeschichte zu diskutieren?“ Dagmar Ottmanns Wort vom „Zickzackkurs der Preußen-Stiftung“ – die bislang nicht zu ihrem Brief Stellung nehmen mochte – dürfte schmerzen. Schmerzen muss umgekehrt die Flick-Gegner, wie deutlich sich die Schwester gegen ihre Vereinnahmung als „Familienkollektiv“ verwahrt und „eine differenzierte Betrachtung ,der’ Familie“ einfordert. Sie betont, dass sie – wie auch andere Familienmitglieder – „mit dem Ausstellungsprojekt nichts zu tun“ habe „und es in der jetzigen Form nicht gutheiße“.

Nach diesem bemerkenswerten Brief aus der Mitte der Familie Flick – Korn nannte Dagmar Ottmann gestern „die hellere Seite dieser Geschichte“ – stehen beide Seiten allerdings nicht unbedingt glänzend da. Durch Ungeschick und Rechthaberei ist der Anlass allen Streits – die geplante Ausstellung der Sammlung zeitgenössischer Kunst Mick Flicks – zum Gegenstand eines Stellvertreterkrieges geworden, einer symbolischen Austreibung des Nazi-Ungeistes sechs Jahrzehnte nach Hitler. Die Kunst kommt nur noch vor, um instrumentalisiert zu werden – zumal als Reinwaschung. „Genau in diesem Versuch der Umwidmung“ – so Ottmann – „liegt für mich das eigentlich Anstößige“.

Aus diesem Ersatzkonflikt gibt es wohl kein Entkommen mehr. Je selbstverständlicher sich die deutsche Gesellschaft in der Normalität ihrer Gegenwart einrichtet, desto schriller werden die Stimmen derer, die sich mit der Historisierung der Geschichte nicht abfinden. Der Fall Mick Flick demonstriert, dass die Geschichte allerdings nicht abgeschlossen ist, solange Fragen offen bleiben. Und erst wenn die Fragen zum „alten“ Flick beantwortet sind, wird das Tun und Treiben seiner Nachfahren zur Privatsache.

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