zum Hauptinhalt

Kultur: Eine Stille für immer

Den Schluss nicht verraten: Manchmal ist dieses ein bisschen hausbackene Rezept beim Schreiben über Film geradezu widersinnig. Nur mäßige Filme erschöpfen sich in ihrer Auflösung, große Filme dagegen werden durch ihr Ende noch größer.

Den Schluss nicht verraten: Manchmal ist dieses ein bisschen hausbackene Rezept beim Schreiben über Film geradezu widersinnig. Nur mäßige Filme erschöpfen sich in ihrer Auflösung, große Filme dagegen werden durch ihr Ende noch größer. Ihre Schlüsse erhellen das Geschehen - und führen zugleich ins aufregend Offene. Als drehe man mit dem Schluss einen Schlüssel, den man schon lange in der Hand hielt und irgendwann ins Schloss führte, erst herum: langsam und leise.

Es ist früher Morgen. Matt Fowler kommt von einer Tat, die ein Problem löst, nach Hause, zieht die schmutzigen Sachen aus, wäscht sich ein bisschen und schlüpft ins Bett. Seine Frau Ruth ist wach und raucht, so wie sie es seit dem Tod ihres Sohnes eigentlich ununterbrochen tut. "Hast du es getan?", fragt sie. Matt antwortet nicht, sondern dreht sich weg von ihr, spricht von dem Foto, das in der Wohnung des Mannes hing, den er gerade getötet hat: Es zeigt diesen Richard und seine Frau als glückliches Paar. "Sie lachte da so auf dem Bild", sagt er benommen. Ruth verlässt das Bett, Matt dreht sich langsam auf den Rücken, und der Rauch der Zigarette im Aschenbecher, der das Zimmer in diesem frühen, kalten Licht des Tages erfüllt, scheint wie von seinem Körper selbst auszugehen. Totenrauch. "Willst du Kaffee?", tönt Ruths helle Stimme von unten aus der Küche.

Eine winzige Szene. Alltag, Allnacht, neuer Tag und ewige Nacht: die Coda dieses besten amerikanischen Studiofilms seit "American Beauty", dieses Films eines 38-jährigen Regieneulings und Schauspielers, fünfmal mit vollem Recht oscarnominiert - und dann doch leer ausgegangen, weil die Academy partout den monumentalen "Herrn der Ringe" und das Rührstück "A Beautiful Mind" auszeichnen wollte. "Killings" heißt die Kurzgeschichte von Andre Dubus, nach der Todd Field "In the Bedroom" drehte, und es ist durchaus bedeutsam, dass der Titel keinen Unterschied zwischen den beiden Tötungen macht, von denen er erzählt.

Erst stirbt Frank, der Sohn der Fowlers. Der College-Schüler, den ein Verhältnis - "a summer thing", wie er seiner Mutter sagt - mit der etwas älteren, in Scheidung lebenden Natalie verbindet, wird von deren Noch-Ehemann Richard, Sohn des örtlichen Fischfabrikbesitzers, bei einem lautstarken Streit erschossen. Wochen später rächt Matt Fowler den Tod seinen Sohnes - und erschießt Richard, den das Gericht gegen Kaution einstweilen hatte laufen lassen.

Ein Vater sieht rot?

Gäbe es das Schlussbild nicht - und auch nicht manche großartige Szene vorher, die wie gelähmte Rückkehr im Auto nach dem Mord zum Beispiel -, man könnte "In the Bedroom" als typisch amerikanischen Vergeltungsthriller lesen; als Produkt einer so genannten Kultur, die die Todesstrafe bejaht und ihre Bürger mittels laxer Waffengesetze zudem subtil zur Selbstjustiz einlädt. Doch der Film probiert das genaue Gegenteil. Er bringt sein sanftes Alltagspaar namens Matt und Ruth zum Äußersten und zeigt dann präzis und ohne jeden rhetorischen Aufwand: Schuld erzeugt Sühne erzeugt Schuld. Verbrechen kann man nicht durch Verbrechen rächen. Rache tilgt keinen Schmerz, sondern verdoppelt ihn. Ein Vater sieht rot? Keineswegs. Matt Fowler tut, wovon er vermutet, dass es ihm und seiner Frau Erleichterung verschaffen könnte, und dann sieht er umso klarer. Die Justiz mag ihn überführen oder nicht: Er wird mit sich und mit Ruth - oder vielleicht auch ohne sie, das ist die wahrscheinlichste aller kommenden Möglichkeiten - in diesem Leben keinen Frieden mehr finden.

Ja, Ruth. Sie ist die scheinbar Böse in dieser Ehe, die perfekte Schlafzimmerhexe. Sie treibt ihren Mann, indem sie aus der Trauer um den Tod ihres Sohnes nicht herausfindet, zunächst stumm zu der Tat an. Dann macht sie ihn, den allseits netten Arzt des Städtchens, als Sozialschwächling und Jasager lächerlich - schließlich braucht es eine starke Frau wie sie selbst, um eines Tages Natalie stracks zu ohrfeigen, ohne deren ängstliches Abrücken von der ersten Zeugenaussage Richard niemals frei herumlaufen würde. Und doch, auch sie, die als Chorleiterin genauso ihre soziale Rolle weiterspielt wie Matt, bricht zusammen - und in einer harten Eheszene, die sich in eine erschütternde Aussprache wandelt, stehen plötzlich beide wie nackt vor der ewigen Folter, die der Tod des eigenen Kindes bedeutet. Andererseits: Ist dieser Matt, der so tastend im eigenen Nachleben die Umstände der Bluttat recherchiert - bei Natalie und Richards Kumpels -, eigentlich so sanft, wie er scheint? Oder besorgt er sich, vor dem Gegenschlag, nur das nötige moralische Alibi? Nur keine Parteinahme, signalisiert Todd Field mit diesen Szenen, jedenfalls keine der simplen Art.

Traum und Trauma

Überhaupt: Wie leise hier alles geschieht. Es wird kaum geschrieen und nur sehr wenig geweint; selbst unter freiem Himmel vollzieht sich alles wie in Zimmerlautstärke. Für Trost, der Schreie und Tränen lösen könnte, ist erst recht kein Platz. Einmal nimmt der Pfarrer Ruth auf dem Friedhof beiseite und erzählt ihr von der Mutter eines toten Mädchens, der die Traumvision vieler ebenso leidender Mütter half, sich mit ihrem Trauma auszusöhnen. "Und wie starb das Kind?", fragt Ruth sofort. "Es ist ertrunken", sagt der Pfarrer - und diese Todesart benennt wie nebenbei den nahen und fernen Vergleich, den jetzt manche zwischen "In the Bedroom" und Nanni Morettis "Das Zimmer meines Sohnes" ziehen. Dort kommt, ebenfalls in der frühen Mitte des Geschehens, der Schicksalsschlag, und alsbald seziert der filmische Blick die fatale Vereinsamung, die die Trauernden auch voreinander verschließt: Nur folgt sie eben auf einen Tauchunfall, nicht auf ein Verbrechen. Morettis Rest-Familie kann nirgends auf Rache sinnen, dann aber findet sie - in einer großartigen Schlussszene - wieder vorsichtig zueinander. Die Fowlers dagegen rächen sich und müssen nun auch noch mit der eigenen Schuld leben.

Schon die ersten 40 Minuten sind, anders als bei Moretti, meisterlich: ein sachte sich steigerndes Wetterleuchten mitten im provinziellen Sommerfrieden New Englands. Das messerscharf genaue Drehbuch (Rob Festinger, Todd Field), die sorgsame Kamera, die den stärksten Schmerz in Schwarzblenden fasst (Antonio Calvache), die minimalistisch pointierende Filmmusik (Thomas Newman), der perfekte Schnitt (Frank Reynolds): Sie alle scheinen der Präzision und Ökonomie eines starken gemeinsamen Willens unterworfen. Auch die Schauspieler agieren makellos: Tom Wilkinson und Sissy Spacek als eisern zusammengespanntes und zugleich so schmerzhaft auseinander gerissenes Elternpaar, die ungeheuer frische Marisa Tomei als Natalie und William Mapother als ihr hochgefährlicher Noch-Ehemann Richard; und dazu der kindliche Glückssohn (Nick Stahl), dessen Leben ausgelöscht wird durch einen Schuss ...

So möchte man wieder und wieder herumgehen in diesen Szenen, bis zum Satz über den Applaus: aber das wäre wieder ein bisschen hausbackenes Rezept - beim Schreiben über Theater. Theater? Wir sind im Kino, das man diesmal ganz besonders still verlässt. Und dennoch: Schon länger ist es nicht mehr so ernsthaft, so bestürzend wahrhaftig Lebensbühne gewesen wie hier, "In the Bedroom".

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false