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Kultur: Eine Zote ist eine Zote

Schlüpfrig: Taboris „Goldberg-Variationen“ am Berliner Ensemble

Wie sehr George Taboris Stücke davon lebten, dass ihr Autor noch unter uns weilte, zeigt sich jetzt, wo Tabori seit zehn Monaten tot ist. Denn zu den Tabori-Stück, in denen meistens das Theater und Gott und der Holocaust und die Frauen vorkommen, gehörte nicht nur der Text, sondern auch das Wissen um die stationenreiche, abenteuerliche, die Dramen des 20. Jahrhunderts spiegelnde Biografie des Autors und seine körperliche Anwesenheit. Es macht einen Unterschied, ob irgendjemand einen Auschwitz-Witz macht oder jemand, dessen Vater dort umgebracht wurde und der am Ende der Vorstellung auf die Bühne steigt und sich mit listigem Lächeln verbeugt. Es macht auch einen Unterschied, ob irgendein Autor selbstbezügliche Kalauer über den Alltag des Theaters reißt – mit das grässlichste Inszenierungselement überhaupt –, oder jemand, von dem man weiß, dass er nach unzähligen Lebensorten wie Istanbul, Jerusalem, Hollywood, New York und Wien nur am Theater so etwas wie Heimat gefunden hat. Man sah Taboris Erfahrung und seine weise Melancholie immer mit. Sie gaben den Stücken automatisch einen abgründigen existenziellen Hintergrund.

Nun lässt sich am Berliner Ensemble miterleben, dass ein Stück wie die „Goldberg-Variationen“, in dem der despotische Regisseur Mr. Jay mit Hilfe seines Assistenten und Auschwitz-Überlebenden Goldberg das gesamte Alte Testament an einem Abend auf die Bühne bringen will, ohne Tabori-Erfahrung ziemlich nackt aussehen kann. Zumindest wenn man so hemmungslos auf die Slapstick-Tube drückt wie Regisseur Thomas Langhoff. Bei Langhoff ist ein Kalauer ein Kalauer. Und die berühmten Tabori-Zoten sind nicht mehr Ausdruck augenzwinkernden Liebesleidwissens, sondern schlicht schlüpfrig. Langhoffs Methode ist die Vergröberung. Vor einer papierbespannten Gerüstwand, auf der anfangs die Warhol-Version eines bärtigen Gottes zu sehen ist und durch die später eine dümmlich rappende Jungsband namens „Hell’s Angels“ hervorspringt, badet er genüsslich in albernen Theater-im-Theater-Szenen – inklusive keulenschwingender Schauspielerrebellion – und erzählt die Anekdoten mit aufgesetzter Grellheit, als habe er die Bühne mit einer Reader’s-Digest-Bibel-Show auf RTL 2 verwechselt.

Dieter Mann gibt diesen Mr. Jay, der auch mal in die Rolle Gottes oder Aarons schlüpft, als überzeichnete Peter-Stein- Karikatur mit weißem Wehhaar und selbstgerechten Ausbrüchen, die so klischeehaft sind wie sein Regiemantel schwarz. Götz Schubert, der schon in der legendären Gorki-Inszenierung von Taboris „Mein Kampf“ mit Langhoff zusammenarbeitete, trägt als trutschig devoter Goldberg die Strickjacke des ewigen Assistenten und erlaubt sich hin und wieder immerhin ein paar klarstellende Worte zum Meister hin. Mehr Ambivalenz gibt der Abend nicht her. Nur am Ende greift einem das Kuddelmuddel für eine bitterböse Minute ans Herz: als statt Jesus Goldberg selbst ans Kreuz muss und die Hinrichtung des Heilands mit dem Holocaust kurzgeschlossen wird, während Jay und seine Dramaturgin über Sichtachsen und Publikumswirkung streiten.

Wieder am 24. & 26. 3. sowie 4. & 25. 4.

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