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Kultur: Einfach aufhören

Schweigezeit auf der Frieze Art Fair: Wie sich Künstler und Galeristen gegen die schnellen Geschäfte in London wehren

Um vier Uhr nachmittags, während der Promi-Vorbesichtigung der Frieze Art Fair, fand eine Schweigeminute statt – da waren die wichtigsten Geschäfte der Londoner Kunstmesse allerdings schon unter Dach und Fach. Berlinde de Bruyckeres totes Fohlen „Lost II“, bei Hauser & Wirth für 120 000 Euro an einen britischen Sammler verkauft. Für den gleichen Preis hatte die Berliner Galerie Johnen ein fast drei Meter großes Paar naturgetreuer Wanderburschen des Puppenmachers Martin Honert an den Sammler gebracht. Bei Gagosian zeigte Galeriedirektor Stefan Ratibor auf die Tracy-Emin-Leuchtschrift „I could have really loved you“: 45 000 Pfund, drei Exemplare, keins mehr zu haben.

So konnte man dem Künstler Kris Martin gelassen den Gefallen tun und für die Kunst, gegen das Geschäft mit der Kunst, anschweigen. „Ladies and Gentlemen“, sagte eine Stimme durch die Lautsprecher des Frieze-Zeltes, „Stellen sie Ihre Aktivitäten jetzt ein, zur Ehre des Augenblicks“. Gesagt, getan. Nur Sotheby’s Contemporary-Direktor Oliver Barker flüsterte weiter ins Handy. Er hatte am Freitagabend die erste der großen Auktionen, mit denen an diesem Wochenende in London rund 180 Millionen Pfund umgesetzt werden sollen. Wird der Markt von der Subprime-Krise der Banken in Mitleidenschaft gezogen? „Das werden die Auktionen zeigen“, meint Ratibor zur großen Frage der Woche.

Die Auktionshäuser haben die Messe aus dem Windschatten heraus überholt. Als die Frieze am späten Donnerstag die Tore für alle öffnete, war die Sache für jene großen Sammler gelaufen, die ihr Privatmuseum oder, noch besser, ihren „Project Space“ füllen müssen, weil eine Yacht heute nicht mehr wirklich zeigt, wer man ist. Am Mittwochabend war man bei Christie’s Champagnerempfang, um einen Blick auf Versteigerungskunst von Baselitz, Kiefer und Bacon zu werfen, am Donnerstag schwärmten dann die Privatkuratoren aus, um auf den Satellitenmessen überall in der Stadt die neueste Kunst zu suchen.

Die Zoo Art Fair in der Royal Academy ist die etablierteste. Dort fängt unvermutet ein Müllhaufen an zu trommeln, als würde eine Rattenfamilie unter dem Schredder kämpfen. „Trash Talk“ von dem Amerikaner David Ellis kostet 20 000 Pfund und kann 90 Minuten Musik machen, versichert die New Yorker Galerie Roebling Hall. Bei der Messe Bridge Art Fair wurde der Skandal schon Wochen voraus programmiert mit dem „Irak Kriegerdenkmal“ des Amerikaners Daniel Edwards: Prinz Harry, aufgebahrt als toter Soldat. „Verrückt“, soll der Künstler gesagt haben, als er von den Protesten der Prinzen erfuhr.

London in der „Frieze-Woche“: Überall ist Kunst, alles ist Kunst. Der Dodge Challenger mit der kalifornischen Büstenschönheit, den Richard Prince im FriezeZelt auf ein Podest gestellt hat, Claudia Schiffers Make-up, der Polizist, der eine Yogaübung macht. Die Messe wird zur „Expanded Gallery“. Ihr Triumph ist , wie Frieze-Projekt-Kurator Neville Wakefield es beschreibt, „dass sich die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz, Pop und feiner Kultur verwischen“. Der Zusammenprall von Geld, Kreativität, Werbung, Kommerz, Promibegeisterung und Hype, den Kunstmessen heute zur Perfektion verfeinert haben, kann nichts anderes zuwege bringen als Kunst und immer mehr Kunst. Auf der Messe glauben wir an die alte Utopie, dass die Kunst die Wirklichkeit übernehmen kann.

Gleichzeitig häufen sich die dialektischen Spitzen gegen die Kapitalisierung der Kunst, ihre Funktion als Anlageobjekt. Jake & Dinos Chapman bemalten einen Tag lang kostenlos 20-Pfund-Noten, die ihnen Sammler entgegenstreckten. Penisnasen und Eselsohren für die Queen auf dem Schein demonstrierten die Wertschöpfungsqualität der Kunst. Ein paar Stunden später taucht der erste 20-Pfund-Schein am Stand von Gavin Brown Enterprise für 100 Pfund auf. Künstler Rob Pruitt hat dort einen Flohmarkt organisiert.

Edek Bartz aus Wien verkauft Glaskaraffen und Memorabilien wie ein altes Bob-Dylan-Plakat für 150 Pfund und ignoriert, dass Dylan zum Kunstwerk geworden ist. Künstler Tony Oursler ist geschäftstüchtiger und verlangt für alte TV-Fernbedienungen, die er signiert hat, 50 Pfund. Überall sind Wörter auf dem Vormarsch, als würde die Kunst sich selbst nicht mehr trauen. Für 40 000 Pfund kann man bei Stephen Friedman Thomas Hirschhorns vier Meter breite „Karte der Freundschaft von Kunst und Philosophie“ erwerben. Wörter wie Argumentation, Wissen, die Vergangenheit sind ausgestrichen. Autonomie, Widerstand, Hoffnung sind stehen geblieben.

Auch Eigen & Art aus Berlin zeigt nur Wandcollagen von Birgit Brenner. „Just one last conversation“ steht unter der visuellen Novelle „Plattenbau“ (21000 Euro). Leipzig ist ja längst passé. Dekorkünstler wie Eberhard Havekost werden nun von den Auktionen mit schwindendem Erfolg vermarktet. Statt bunter Wandbilder ist in diesem Jahr Kleinskulptur mit höherer Bedeutung angesagt. Hip und bunt ist plötzlich nicht mehr ganz so hip. Sogar bei den Sintflutfotos von David LaChapelle bei der Berliner Galerie Jablonka geht die ganze Partykultur in den schmutzigen Fluten unter. Das Metropolitan Museum steht unter Wasser. Vor dem großem Courbetgemälde schwappen Bierdosen.

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