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Einheitsdenkmal: Viel bewegt sich - nur nicht im Kopf

Der Siegerentwurf für das Einheitsdenkmal am Berliner Schlossplatz bietet genug Material für spöttische Wortspiele. Ganz praktisch gesehen stellt sich aber tatsächlich die Frage: Wie verspielt darf ein Denkmal sein?

Der Kalauer liegt derart nahe, dass es beinahe schon peinlich ist, ihn zu bemühen. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal am Berliner Schlossplatz, das nun nach dem Entwurf des Stuttgarter Architekturbüros Milla und Partner unter Mitarbeit von Sasha Waltz verwirklicht werden soll, ähnelt prima vista einer enormen Kinderschaukel. Muss sich „das Volk“, das sich 1989/90 in der zerfallenden DDR artikulierte, verschaukelt fühlen? Und mit ihm das ganze, wiedervereinte Deutschland?

Hohn und Häme werden nun über die Sieger eines Wettbewerbs ausgegossen, der an Gemauschel viel, an offenem Wettstreit wenig enthielt. In der „Süddeutschen Zeitung“ ist von „Mumpitz“ und „Krempel“ zu lesen, dazu von „Helmut Kohl, der sich auf die Physik des Schaukelns wie kein Zweiter verstand“. Die „Frankfurter Allgemeine“ bekrittelt einen „gelenkten Massenspaß“ und sorgt sich um den Schutz „vor Vandalen und Scherzkeksen“.

Die größten Scherzkekse indessen müssen bereits in der Jury gesessen haben, die den Entwurf von Milla & Waltz auswählte – und im Hause des Kulturstaatsministers Bernd Neumann (CDU). Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass die Partei des hohen C unter der Schaukelführung von Angela Merkel ihren bürgerlichen Konservativismus längst entsorgt hat, dann hat ihn Neumann jetzt geliefert. Wo sich manche Kritiker über Denkmäler als „pompösen Edelschrott“ mokieren, ist Neumann längst weiter: Die Schaukel passt zu Helmut Kohl, nicht als dem Schmied der schnellen Vereinigung, sondern als dem Wortschöpfer vom „kollektiven Freizeitpark Bundesrepublik“.

Inhaltlich hatte Neumann zu dem von ihm seit längerem bevorzugten Entwurf von Milla & Waltz nichts zu sagen. Per Pressemitteilung beglückwünschte er die Entwurfsgemeinschaft, das war’s denn auch. „Das Denkmal ist offen für unterschiedliche Nutzungen“, heißt es noch. Erhellend genug: Es soll keine Aussage getroffen werden, wie sie dem traditionellen Denkmal eigen ist, das an siegreiche Feldherren, huldvolle Regenten oder weitblickende Dichter erinnert. Das Einheitsdenken ist „offen“, um nicht zu sagen: „ergebnisoffen“.

Von Joseph Beuys stammt der Begriff der „sozialen Plastik“. Beuys wollte den überkommenen Denkmalbegriff sprengen und dessen Starre überwinden. Die „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“, mit der Beuys 1972 an der Kasseler Documenta teilnahm, ist eine solche „soziale Plastik“.

Es bedarf keiner – und schon gar keiner millionenteuren – Installation, meinte Beuys, um Denken anzuregen und dadurch soziale Plastik hervorzubringen. Auf dem alten Denkmalssockel am Schlossplatz wird aber genau das der Fall sein. Zehn Millionen Euro sind für die Installation der Wippe veranschlagt, perfekt mit regelbarer Hydraulik und im überarbeiteten Entwurf mit rundum verankerten Absperrgittern, auf das das schaukelnde Volk nicht herunterfallen möge.

Doch nicht der Sicherheitsaspekt ist „die Achillesferse des Projekts“, wie die „FAZ“ meint. Die Achillesferse ist der Entwurf selbst. Er kann gar nicht anders, denn als Bespaßung zumal jugendlicher Touristengruppen verstanden zu werden. Heutzutage müssen Installationen im öffentlichen Raum – von Denkmälern muss gar nicht die Rede sein – als Mitmach-Geräte angelegt werden, um sich des Wohlwollens einer ablenkungssüchtigen Öffentlichkeit zu versichern. Was nicht blinkt, rasselt oder schaukelt, läuft Gefahr, zur unbeachteten Schmuddelecke zu verkommen. Das gut bewachte Holocaust-Mahnmal, wiewohl ohne Blinken, Rasseln und Schaukeln, taugt in dieser Hinsicht zumindest zu Mutproben zahlreicher Jugendlicher, die von Stele zu Stele zu hüpfen versuchen.

„Bürger in Bewegung“ haben sich die Entwerfer als Motto gewählt. Ins kollektive Gedächtnis eingeprägt haben sich die Leipziger Montagsdemonstrationen unter dem Neonschein der Straßenleuchten, und dann die Berliner Millionendemo vom Alexanderplatz. Kann man der Bewegung der Volksmassen nicht anders gedenken als durch Bewegung? Das Schaukeln der Wippe als Analogon zum Auf und Ab der Hoffnungen und Visionen von 1989/90, zum Auf und Ab der großen Politik? Das wäre nichts als schlechte Mimesis, als hilflose Nachahmung. Die Parolen der friedlichen Revolution, „Wir sind das Volk“ und alsbald „Wir sind ein Volk“, sollen auf dem Boden der Schale zu lesen sein; aber von wem denn, da die künftigen Besucher darauf hin- und herbalancieren werden, um die raffinierte Hydraulik zu testen? Von Skateboardern, die die gekrümmte Schale für eine Halfpipe halten könnten, ähnlich der temporären vor dem Brandenburger Tor, ganz zu schweigen.

Um Lektüre, um durch Lesen bewirktes Nachdenken geht es dem Entwurf offenbar nicht. Es geht um Unterhaltung, um Kurzweil, um ein bisschen Körpergefühl, das den Dauernutzern der virtuellen Welten von iPod und iPhone sicher guttun wird. Es geht ums Mitmachen in einer Welt, die abstrakt geworden ist, in einer Hauptstadt, in der die Politik nur scheinbar zu spüren ist, tatsächlich aber unsichtbar bleibt. Das künftige Humboldtforum im Gewand des Hohenzollernschlosses hat mit der politischen Mitte, die es einst markierte, nichts zu tun. Das davor sich wiegende Einheitsdenkmal gesellt sich hinzu als hübsches Accessoire aus dem Magazin der Eventgesellschaft.

Bleibt das Brandenburger Tor, dessen Öffnung am 22. Dezember 1989 die unwiderrufliche Befreiung der DDR-Bürger vom Eingesperrtsein bildete. Die friedliche Revolution hat danach im Handumdrehen die Mauer beseitigt, die doch kurz zuvor noch für hundert kommende Jahre stehen bleiben sollte. Ihr rasantes Verschwinden ist das Bild, in dem sich der Prozess der deutschen Einheit symbolisch verdichtet. Die Mauer ist verschwunden, wie zum Auftakt der Französischen Revolution die Pariser Bastille verschwand. Auf ihrem heute verkehrsumspülten Standort steht ein ehernes Denkmal – die Julisäule zur Erinnerung an eine weitere Revolution, die von 1830. Sie kann nicht bewegt werden, geschaukelt wird hier erst recht nicht.

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