zum Hauptinhalt
Mit Stock und Hut. Tagesspiegel-Kolumnist Helmut Schümann.

© Tsp

Zeitung im Salon am 8. Mai: Einmal um Deutschland rum

Einmal rund um Deutschlands Grenzen wandern: ein kühner Plan. Tagesspiegel-Kolumnist Helmut Schümann hat ihn umgesetzt und sich bei unseren Nachbarn umgehört, was sie über die Deutschen denken.

Ganz am Ende der Reise dreht er doch noch durch. Und springt: von Deutschland rüber nach Polen, zurück nach Deutschland und wieder nach Polen - das ist an dieser Stelle, unweit von Swinemünde, nur ein kleiner Schritt. Ein Spaziergängerpaar wundert sich über den Tagesspiegel-Journalisten, der da um die Grenzmarkierung herumhopst. „Ich habe gerade Deutschland umrundet, weitgehend zu Fuß“, erklärt ihnen Helmut Schümann mit Wandererstolz, „und bin jetzt dort wieder angekommen, wo ich losgelaufen bin.“ Wow! Der Mann applaudiert, die Frau tippt sich an die Stirn: Deutschland zu Fuß zu umrunden, das ist großartig. Und verrückt ist es auch.

Helmut Schümann, Tagesspiegel-Lesern als Kolumnist auf der ersten Seite und als Autor der Bücher „Der Pubertist. Überlebenshandbuch für Eltern“ und „Der Postpubertist“ gut bekannt, ist 1473 Kilometer rund um unser Land gelaufen. Durch Polen, Tschechien, Österreich und die Schweiz, Frankreich, Luxemburg, Belgien, Holland und ein bisschen Dänemark, immer hammerhart an der Grenze lang, mit Wanderstöcken in der Hand und in ein und demselben Paar Schuhen. Zwei Monate Zeit hatte er sich im April und Mai 2013 für sein Experiment gegeben, 25 bis 30 Kilometer ist er täglich gelaufen. In dieser Zeit schrieb er seine Kolumne unter dem Titel „Deutschland drum herum“ und einen Online-Blog manchmal auf Bänken und Baumstümpfen.

Die komplette Grenzlänge von 3757 Kilometern war in zwei Monaten zu Fuß nicht zu schaffen – zwischendurch ist Schümann für kürzere Strecken immer mal wieder in Busse oder Bahnen gestiegen. Über seine Erfahrungen – oder soll man sagen: Erwanderungen? - hat Schümann ein Buch geschrieben, das er am 8. Mai im Tagesspiegel-Salon vorstellt: „Genie und Gartenzwerg. Wie uns die anderen sehen – eine Deutschlandumrundung“ (Rowohlt Berlin Verlag, 252 Seiten, 19,95 Euro).

Warum macht man so etwas, zumal im nicht ganz taufrischen Alter von damals 57 Jahren? Schümann ist seit einer Abiturreise durch die Dolomiten ein passionierter Wanderer, im Tagesspiegel hat er schon mehrfach darüber geschrieben: 2011 überquerte er die Alpen, 555 Kilometer von München bis Venedig, im vergangenen Dezember wanderte er – „Walking home for Christmas“ – von Berlin in seine Heimatstadt Düsseldorf.  Bei seiner Deutschlandumrundung trieb ihn aber nicht nur die Wanderlust, sondern auch das Streben nach Erkenntnis: Wie, so fragte er sich, sehen uns die Nachbarn? Was denken sie über dieses Deutschland mit seiner furchtbaren Vergangenheit und seiner wirtschaftlich so erfolgreichen Gegenwart? „Beim Wandern lernt man Land und Leute am besten kennen“, sagt Schümann. „Fahrradfahren ist mir schon zu schnell.“

Und so verbringt er auf seiner Reise viel Zeit auf Bänken und in Kneipen, auf Marktplätzen und in Pensionen. Er redet mit Janusz, dem Polen, über die Reste eines Kriegsgefangenenlagers im Wald, hört sich bei Kufstein die Schimpftiraden eines griechischen Wirts über Europa  an, trifft im Elsass die charmante Madame Dylan, die dankenswerterweise nicht von „euch Deutschen“ spricht, wenn es um den Zweiten Weltkrieg geht. Auch wenn einige seiner Gesprächspartner krause Ansichten kundtun: „Niemand, mit dem ich gesprochen habe, zeigte  den Wunsch, zu den Nationalstaaten zurückzukehren.“

Andere Wanderer trifft er selten, das mag auch am Wetter liegen: Just in dieser Zeit gießt es in Strömen, er läuft durch Gegenden, die wenig später mit Hochwasser zu kämpfen haben. „Ich bin tage-, wochenlang durch den Regen gelaufen“, sagt Schümann. Einmal wäre er beim Übersetzen über einen Seitenarm des  Rheins mit Paddlern beinahe mitsamt Rucksack und Stöcken versunken.

An andere gefährliche Situationen erinnert er sich nicht, sehr gut hingegen an den Schock im tschechischen Grenzgebiet: Dort erlebt er ein Elend, wie er es auf Weltreisen selten gesehen hat. Eine ganze Gegend, die von Prostitution und Kriminalität lebt, deutsche Freier, die kranke und drogensüchtige Frauen benutzen und sich an Kindern vergehen, ein rechtsfreier Raum mit deprimierten, perspektivlosen Menschen. Nichts wie weg hier, sagt sich der Wanderer, aber der Journalist Schümann will wieder hin: „Das muss man noch viel mehr publik machen, was da passiert. Das sind unhaltbare, menschenunwürdige Zustände, mitten in Europa.“

Grenzgebiete sind nicht repräsentativ für ihre jeweiligen Länder, das gilt gerade Tschechien, von dem Grenzgänger Schümann so gut wie nichts Positives berichten kann. Die Gegenden an den Landesgrenzen sind „immer eine Art Nirwana“, sagt er. Aber die Leute dort haben einen besonders scharfen Blick und eine besonders intensive Beziehung zu ihren Nachbarn, und das macht die Gespräche mit den Bewohnern dieser Gebiete so aufschlussreich.

Das Navi, das Schümann vor der Reise gekauft hatte, funktionierte übrigens nicht, er orientierte sich mit Karten und nach dem Sonnenstand. Das reicht völlig aus, wenn  man keine Angst hat sich zu verlaufen. Und die hat Schümann nicht: „Jedes Mal, wenn ich mich verlaufen habe, habe ich dabei etwas Besonderes entdeckt.“

Zeitung im Salon mit Helmut Schümann, 8. Mai, Beginn 19.30 Uhr. Der Autor zeigt auch Fotos seiner Tour. Die literarischen Köche von eßkultur servieren dazu zünftige Wegzehrung, am Bechstein-Flügel spielt Jazzpianist Gregor Graciano Lieder unserer Nachbarn. Anmeldung und Infos hier und und Tel. 29021-560.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false