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Kultur: Einschlägige Erfahrung

„Nightshade“ im Berliner Hebbel am Ufer dekliniert den Striptease durch

Von Sandra Luzina

Rolf Eden ist nicht gekommen. Dabei fehlt der letzte Playboy Berlins eigentlich nie, wenn sich ein Girl auf der Bühne auszieht. Schon das ist ein Indiz, dass es sich bei „Nightshade“ im Hau 1 um einen etwas anderen Striptease-Abend handelt.

Verführerisch die Idee: Sieben Choreografen gestalten jeweils einen Striptease. Und zwar nicht mit einem professionellen Tänzer, sondern mit Stripperinnen mit einschlägiger Berufserfahrung. Dirk Pauwels, der Leiter des Theaters Victoria in Gent, hat für das Programm „Nightshade“ namhafte Künstler mit unbekannten Dienstleisterinnen des Sexbusiness zusammengespannt. Eric De Volder, Vera Mantero, Claudia Triozzi, Caterina Sagna, Johanne Saunier sowie die Stars Alain Platel und Wim Vandekeybus haben sich auf eine Liaison mit den Schönen der Nacht eingelassen.

„Nightshade“ verzichtet auf Nightclub-Ambiente, denn man will den Strip aus dem Rotlichtmilieu befreien. Den Acts wurde ein bisweilen penetranter Kunstrahmen verpasst, die Musik – Kompositionen für Blasinstrumente (!) – klingt oft wie bei einem Chabrol-Film.

Nun ist der gute alte Striptease ja ein aussterbendes Genre. Und damit ein Sujet, das mittlerweile auch ein professorales Interesse auf sich zieht. Schon Roland Barthes hat den Striptease semiotisch analysiert und konstatiert, dass er einem festen Code folgt. Die Choreografen nähern sich diesem Code, um ihn zu durchkreuzen; und sie bringen zugleich die Diskurse über Körper und Wahrnehmung ins Spiel, wie sie der zeitgenössische Tanz entwickelt hat.

Alain Platel folgt scheinbar dem Schema eines klassischen Strips. Mit Caroline Lemaire hat er eine makellose Darstellerin, die ein wenig den Charme der Fünfziger-Jahre-Ikone Betty Page kopiert. Die raffinierten Verzögerungen, die lasziv verlangsamten Gesten, mit denen die Tänzerin sich ihrer Kleider entledigt: Platel treibt sie auf die Spitze. Lemaire in ihrer somnambulen Dekadenz wirkt fast gelangweilt, das erhöht den Reiz in diesem Spiel aus Enthüllen und Verbergen. Die Bühne verengt sich schon mal zu einem Spalt, die Tänzerin selbst öffnet dann wieder den Vorhang. Wenn Madame nur noch einen Hauch von Wäsche am Leib trägt, verschließt sich das Bühnenkabinett bis auf einen winzigen Ausschnitt. Zum Schluss reduziert sich die Wahrnehmung auf einen Fetisch: die roten Lack-High-Heels – und ihre Stimme. Eine Dame verschwindet – das ist der Clou in Alain Platels Peepshow. Die völlige Nacktheit wird den Zuschauern vorenthalten – dafür nimmt er amüsiert die Erregungsstadien des männlichen Betrachters in den Blick.

Delphine Clairet badet zwar nicht in einem Martini-Glas, aber sie ist so etwas wie die Maraschino-Kirsche des Programms. Denn die Pariserin ist eine Meisterin des Strip Burlesque, die Erotik mit Humor und frechen Sprüchen versöhnt. „Chapeau! Sie akzeptieren alle Körper als schön“, schmeichelt sie dem Publikum. Vera Mantero steckt ihre voluminöse Darstellerin zunächst in ein Kostüm aus bunten Luftballons – die dann mit lautem Knall zerplatzen. Clairet lässt dabei die Geschichte des Striptease Revue passieren, wendet sich in aufklärerischer Absicht an die Männer im Publikum – und doziert auf amüsante Weise über die Lust der Frauen. Als Pariserin weiß sie auch, wie wichtig Accessoires sind. Zum Raubtiertrikot trägt sie Öhrchen und Schwänzchen. Teach me, tiger: Diese Pussycat kokettiert mit ungezähmter PussyPower.

Bei Wim Vandekeybus ist Strippen sogar ein emanzipatorischer Akt. Die Stripperin nennt ihren Namen und steigert sich in einen wütenden Monolog hinein. Den männlichen Blick spiegelt der Choreograf in einem Filmdarsteller mit Austin-Powers-Visage. Sarah Moon Howe, eine Barbie in Cowgirl-Lederpants, reißt sich in ihrem furiosen Strip nicht nur die Klamotten vom Leib, sie haut dem Voyeur alles um die Ohren: auch seine billigen Fantasien über gefallene Mädchen.

Der Männer-Strip, der recht umständlich ausfiel, wurde von einer Frau choreografiert – und auch sonst ist „Nightshade“ ein politisch korrekter Abend. Wo er die Schaulust kitzelt, rückt er den Betrachter mit in den Blick. „Nightshade“ holt es ans Licht: Der Striptease dreht sich mehr um erotische Fantasien und weniger um nackte Tatsachen.

bis 25. November, jeweils 19 Uhr 30.

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