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Kultur: Ekkehard Eickhoffs Biografie über Otto III. beschreibt auch eine Welt im Umbruch

Die kurze Milleniumsstimmung an der eben bewältigten Jahrtausendwende hat den Blick für einen Moment schweifen lassen, bis hin zu dem Jahrtausendende davor. Nicht dass gerade ein Interesse an der Geschichte aufgekommen wäre.

Die kurze Milleniumsstimmung an der eben bewältigten Jahrtausendwende hat den Blick für einen Moment schweifen lassen, bis hin zu dem Jahrtausendende davor. Nicht dass gerade ein Interesse an der Geschichte aufgekommen wäre. Aber für einen Moment konnte man den Eindruck haben, dass diese Epoche uns doch ein wenig näher rücke - und sei es wegen ihrer familiären Benennung als erste Jahrtausendwende. Ein bisschen mag auch Ekkehard Eickhoffs Biografie von Kaiser Otto III. (980 bis 1002), dessen Regierungszeit mit dieser Jahrtausendwende zusammenfällt, von der Suggestion dieses Datums inspiriert sein. Etwas von einem zeitenüberspannenden Fernsten-Nähe des Zeitgenossen unserer dramatischen Zeitläufte mit dieser Vergangenheit schwingt jedenfalls mit, wenn Eickhoff zu Beginn diese Epoche als eine jener europäischen Zeiten beschwört, "in denen die Zeit sich zu beschleunigen schien".

Aber Eickhoff liegt nichts ferner, als das Haschen nach zwanghafter Aktualisierung. Es ist zwar ein Diplomat, der hier schreibt, aber zugleich ein habilitierter Historiker. Während Eickhoff eine glänzende Laufbahn absolvierte, mit Stationen an der Spitze der deutschen KSZE-Delegation in Wien und als Botschafter in Südafrika, Irland und der Türkei, hat er Forschungen zur Geschichte des Mittelmeerraums und des werdenden Europas betrieben. Bei aller anteilnehmenden Sympathie, mit der Eickhoff die faszinierende Herrschergestalt Otto III. darstellt, erspart er dem Leser nicht die Fremdheit, ja, Verschlossenheit, mit denen diese Vergangenheit dem Verstehen-Wollen entgegentritt.

Denn Ottos Welt ist eine Welt vor der Erfindung des Individuums, der Politik in einem uns vertrauten Sinne, des Staates. Stattdessen ein hoch verzeigtes Netz von Verwandtschaften und Abhängigkeiten, endlose Reisen, wechselnde Präsenzen zwischen Aachen und Rom, Klostergründungen und Bischofsernennungen. Eine Welt auch der Mühsal, der Härte, der kurzen Lebensspannen - Otto wurde mit 16 Jahren Kaiser, gekrönt von einem 24-jährigen Papst, der sein Vetter war, und starb mit nicht ganz 22 Jahren. Dabei sind die Quellen dürftig. Doch alles bezeugt die gewaltige, unentrinnbare Gegenwart des Religiösen, des, wie Eickhoff schreibt, "Ewigen hinter dem Zeitlichen", die alles durchwebt, Leben und Denken.

Um so erstaunlicher ist es, was an Veränderung sich in Ottos kurzer Lebenszeit zusammendrängt. Der Kaiser, der über den Jüngling nicht hinauskommt, war offenbar ein Mensch von hoher Empfindlichkeit, erfüllt vom Bewusstsein, Beweger einer bewegten Zeit zu sein. Er sammelt bedeutende Berater und Mitarbeiter um sich, setzt sich den religiös-politischen Strömungen aus, die sich damals in Europa ausbreiten, und fühlt sich herausgefordert, auf sie zu antworten - als Herrscher, der den Gedanken der Erneuerung des Reiches entwickelt, als Mensch, der sich um sein Seelenheil sorgt.

Es ist richtig, dass diese Jahrtausendwende im Zeichen apoklyptischer Erwartungen stand, aber sie haben, findet Eickhoff, keineswegs lähmend gewirkt. Eher "beseelte" Otto und seine Freunde "ein rastloses Streben nach Besserung", das sich, zumal in den letzten Lebensjahren, in der "fast atemlosen Dynamik" neuer Pläne niederschlug.

Mit alledem öffne die kurze Geschichte von Ottos Kaisertum, so Eickhoff, "ein Panorama des sich wandelnden Abendlandes". Er sieht in Otto auch nicht den Träumer, der deutsche Geschichtsmöglichkeiten auf dem Altar von Italiensehnsucht und Reichsromantik geopfert habe. Zwar sei er mit seiner Politik, Rom zum Schwerpunkt einer politisch-spirituellen Erneuerung des Reiches zu machen, gescheitert; als er starb, brach, so Eickhoff, "sein System auseinander". Aber die Ausweitung der Grenzen der christlich-europäischen Welt nach Osten und Norden bleibt ein Jahrtausendschritt.

Deshalb zählen für Eickhoff Ottos Ostpolitik, die Polen und Ungarn dem christlichen Europa anverwandelt, dazu die Christianisierung des Nordens. Bewegt erkennt man, wie im kurzen Lebens dieses Kaisers, der uns so mittelalterlich-fern aus der rot-grün-goldenen Buchmalerei des Reichenauer Evangeliars ansieht, die Konturen der Länder und Räume hervortreten, die noch unsere Gegenwart bestimmen.Ekkehard Eickhoff: Kaiser Otto III. Die erste Jahrtausendwende und die Entfaltung Europas. Klett-Cotta, Stuttgart 1999. 482 S. 68 DM.

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