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Eklat: Hessischer Staatspreis: Über Kreuz

Der Hessische Staatspreis wird zum Skandal: Die Landesregierung setzt mit erstaunlichem Ungeschick ein Zeichen der Intoleranz, und, schlimmer noch, christliche Würdenträger geben einen Beweis ihrer Dialogunfähigkeit.

Ein Altarbild von 1637, in einer römischen Kirche. Ein kluger Mann von heute, der sich seine Gedanken darüber macht. Ein deutscher Staatspreis, dotiert mit 45 000 Euro. Eine Jury, die ein Zeichen des Dialogs der Religionen setzen wollte. Und das Ergebnis: ein Skandal.

Deutschland im Jahr 2009. Gerade ist in Berlin die erhitzte Debatte über die Pro-Reli-Abstimmung abgeklungen, die Toleranz der Parteien ist dadurch nicht unbedingt größer geworden. Der Papst tritt in Israel und in der Türkei auf, jede seiner Äußerungen wird argwöhnischst beobachtet. Und nun Wiesbaden: Die hessische Landesregierung setzt mit erstaunlichem Ungeschick ein Zeichen der Intoleranz, und, schlimmer noch, christliche Würdenträger geben einen Beweis ihrer Dialogunfähigkeit. Der Berliner Streit um die „Idomeneo“-Absetzung, die Rede von Papst Benedikt XVI in Regensburg sind nichts dagegen.

Die Vorgeschichte: Der Hessische Staatspreis, so wurde im Dezember gemeldet, solle 2009 an vier Personen verliehen werden: an Paul Steinacker, den ehemaligen Kirchenpräsidenten der evangelischen Kirche von Hessen und Nassau, an den Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann, an Salomon Korn, den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, und an den Wissenschaftler Fuat Sezgin. Ein Katholik, ein Protestant, ein Jude und ein Muslim, ein Dialog der Religionen unter aufgeklärten Zeitgenossen. Ein schöner Plan.

Doch Fuat Sezgin entschließt sich, den Preis nicht anzunehmen, aus Protest gegen Salomon Korn und dessen Haltung im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern im Gaza-Streifen. Die Jury sucht Ersatz, findet Navid Kermani, den in Köln lebenden Schriftsteller und Publizisten, Mitglied der deutschen Islamkonferenz: ein ebenso würdiger Kandidat. Gegen diesen wiederum protestieren die Vertreter der christlichen Kirchen, weil er in einem Artikel in der NZZ „fundamentale und unversöhnliche Angriffe auf das Kreuz als zentrales Symbol des christlichen Glaubens“ geäußert habe, und erklären, den Preis nicht gemeinsam mit Kermani annehmen zu wollen.

Das Ergebnis: Der Hessische Staatspreis wird, wie am Mittwoch bekanntgegeben wurde, am 5. Juli verliehen, und zwar an Steinacker, Lehmann und Korn. Navid Kermani erfährt von seiner Ausladung durch eine Zeitung, darf aber als Trost an einer Podiumsdiskussion teilnehmen. Man wolle „Debatten anstoßen, die aus den Erfahrungen lernen lassen“, so die Begründung der Landesregierung.

Navid Kermani hatte am 14. März in der „Neuen Züricher Zeitung“ einen Essay über Guido Renis Kreuzigung in der Basilika San Lorenzo in Lucina in Rom geschrieben. Er hatte darin berichtet, wie er aus Zufall in die Kirche gerät und sich vor dem Altarbild seine Gedanken macht: über die Vergleichbarkeit von christlicher Leidenslust und islamischer Schia, über den Glauben seines Großvaters, die Erziehung seiner Tochter, über die Ablehnung der Kreuzigung in Judentum und Islam. Und dann bekannt: „Kreuzen gegenüber bin ich prinzipiell negativ eingestellt. Nicht, dass ich die Menschen, die zum Kreuz beten, weniger respektiere als andere betende Menschen. Es ist kein Vorwurf. Es ist eine Absage. Gerade weil ich ernst nehme, was es darstellt, lehne ich das Kreuz rundherum ab. Nebenbei finde ich die Hypostasierung des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber der Schöpfung, über die wir uns freuen, die wir genießen sollen, auf dass wir den Schöpfer erkennen.“

Wohlgemerkt, dies ist ein persönliches Bekenntnis, ein höchst tolerantes dazu. Eine klare Wertschätzung der anderen und trotzdem eine entschiedene eigene Position. Jeder möge glauben, was er will, und beten, zu wem er will, aber ich, Narvid Kermani, lehne das Kreuz für mich ab. Schon das ein Musterbeispiel für einen religiösen Dialog. Und dann der überraschende Wendepunkt, der Höhepunkt am Schluss: „Und nun saß ich vor dem Altarbild Guido Renis in der Kirche San Lorenzo in Lucina und fand den Anblick so berückend, so voller Segen, dass ich am liebsten nicht mehr aufgestanden wäre. Erstmals dachte ich: Ich – nicht nur: man –, ich könnte an ein Kreuz glauben.“

Haben die Herren Lehmann und Steinacker nicht begriffen, was für ein Geschenk sie da ausgeschlagen haben? Nun bekommen sie einen Preis für Toleranz und religiöse Dialogfähigkeit. Doch es hätte nur einen Preisträger geben dürfen: Navid Kermani.

Christina Tilmann

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