zum Hauptinhalt
Futuristisch. Blick auf die Deckenverschalung im Saal der Elbphilharmonie. Die „Weiße Haut“ soll den Schall bestmöglich im Raum verteilen.

© Elbphilharmonie/Oliver Heissner

Elbphilharmonie und Berliner Staatsoper: Steine des Anstoßes

Hamburgs Elbphilharmonie und Berlins Staatsoper sind nicht zu vergleichen. Beide mögen Skandalbaustellen sein - doch die Kostensteigerungen und Zeitverzögerungen ergeben sich aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Die Elbphilharmonie in Hamburg und die Staatsopernbaustelle in Berlin: Längst sind diese beiden Prestige-Kulturprojekte, deren Realisierung sich schier endlos hinzieht, während sie stets teurer und teurer werden, zu nationalen Lachnummern geworden, zu Symbolen für die vermeintliche Unfähigkeit des Staates, komplexe Bauvorhaben zu stemmen. Gerne werden die zwei Skandalfälle in einem Atemzug genannt. Aber der Vergleich ist irreführend. Weil es in der Hansestadt aus ganz anderen Gründe zu Kostenexplosionen und Fertigstellungsverzögerungen kommt als in der Hauptstadt.

In Hamburg wurden die Handwerker viel zu schnell losgeschickt. Weil die Initiatoren der Elbphilharmonie die Euphoriephase ausnutzen wollten. Ihre Idee, auf den historischen Kaispeicher in der Hafencity einen Konzertsaal zu setzen, sowie der spektakuläre Entwurf des Schweizer Architekturbüros Herzog & de Meuron brachten das Blut der Norddeutschen in Wallung. Wohlhabende Bürger sagten 30 Millionen Euro an privaten Spenden zu und die Politik rief: Leinen los!

Zu dem Zeitpunkt allerdings waren die coolsten Effektelemente des Entwurfs noch gar nicht erfunden. Die Fenster beispielsweise, die blasenartige Ausbuchtungen erhalten sollten, in denen sich Sonne und Wolken spiegeln können. Damit die futuristische Fassade wie vom Wind gepeitscht aussehen kann und die Besucher beim Blick aus dem Inneren nicht der Schwindel erfasst, sollten die Glasflächen vor dem Formvorgang mit einer Spezialfolie beklebt werden. Ob es gelingen würde, einen Werkstoff zu (er-)finden, der sich so stark erhitzen lässt, wie es nötig ist, um die Folien-„Wobbel“ auszubilden, war zu Baubeginn nicht klar.

Auch ist weltweit zum ersten Mal eine Rolltreppe mit „geknickter Schräge“ geplant. Die Besucher der Elbphilharmonie sollen beim Weg von der Wasserkante zur öffentlichen Terrasse in 37 Metern Höhe zuerst steil hinaufgefahren werden, bevor die Rolltreppe in einem viel sanfteren Winkel die letzten Meter überwindet, so dass sich der Panoramaausblick besonders überwältigend öffnet.

Im Konzertsaalbereich selber gibt es ebenfalls lauter technische Debüts. Von der Lagerung des 2150-Plätze-Saales mit einem Gesamtgewicht von 12500 Tonnen auf 300 gewaltigen Stahlfedern – damit keine Vibrationen der vorbeifahrenden Riesentanker ins Innere gelangen – bis hin zu den 10 000 individuell bearbeiteten Wand- und Deckenplatten, die nach Berechnungen des Akustiker Yasuhisa Toyota mit einem schallbrechenden Wellenmuster versehen werden.

Bei der Elbphilharmonie verursachte ein Zuviel an Innovation die Schwierigkeiten: der Wille, ein in jeder Hinsicht außergewöhnliches Konzerthaus zu errichten, das weltweit Furore macht. Bei der Staatsoper dagegen geht es um die Bewahrung des Bestehenden. Die notwendigen Sanierungsmaßnahmen von der Trockenlegung des Fundaments bis zur kompletten Erneuerung der technischen Ausstattung sollen so umgesetzt werden, dass möglichst viel alte Substanz erhalten bleibt. Das sogenannte „Bauen im Bestand“ ist allerdings extrem teuer und zeitaufwendig. Und mit jeder Menge Risiken behaftet: Viele Probleme zeigen sich sich erst während der Arbeiten.

Wenn die Haushälter im Berliner Abgeordnetenhaus jetzt bei jeder neuen Hiobsbotschaft von der Staatsopernbaustelle medienwirksam aufstöhnen und lauthals die finanziellen Belastungen für den Steuerzahler beklagen, dann müssen sie sich fragen lassen, inwieweit sie diese Entwicklung nicht selber provoziert haben.

Ist der Bühnenturm der Staatsoper genauso schützenswert wie der prachtvoll ausgestattete Saal?

Auch wenn die Fachleute es nicht gerne hören: Wenn es um historische Gebäude von nationaler Relevanz geht, unterliegt auch der Denkmalschutz dem Willen der Politik, jedenfalls, was seine Auslegung betrifft. Es war nicht zuletzt eine politische Entscheidung, auf der Berliner Museumsinsel das Neue Museum so wiederherzustellen, dass seine Nutzungs- wie Zerstörungsgeschichte für jeden Besucher sicht- und greifbar wird. Und wenn Klaus Wowereit gewollt hätte, dass der Siegerentwurf des ersten Wettbewerbs zur Staatsopernsanierung ausgeführt wird, dann entstünde Unter den Linden nach den Ideen des Architekten Klaus Roth nun ein moderner Zuschauerraum.

Doch der Regierende Bürgermeister ließ sich umstimmen, als sowohl das konservative Bürgertum wie auch sein eigener Kulturstaatssekretär André Schmitz gegen einen modernen Saal hinter historisierender Fassade Sturm liefen. Im Juli 2008 erklärte Wowereit den Wettbewerb für nichtig und erwirkte eine neue Ausschreibung, die den Wünschen der Wir-wollen-unseren-festlichen-Opernabend- Fraktion entsprach. Damit wurde die Fassung letzter Hand zum Maßstab aller Sanierungsmaßnahmen: nämlich das von Richard Paulick 1955 rekonstruierte Haus.

Von jenem Musentempel, den Friedrich II. 1742 unweit des Schlosses eröffnete, hat kaum etwas die Zeitläufte überdauert. Drei Mal wurde das Musiktheater neu aufgebaut, nach einem Brand 1843, nach der ersten Bombenzerstörung 1942, auf die im Februar 1945 eine zweite folgte, und schließlich 1955. Dabei wurde das Bühnenhaus jedes Mal größer und ausladender. Einfach nur bemalte Prospekte herabzulassen, wie im 18. Jahrhundert üblich, reichte den Theaterleuten nicht mehr. Für die plastischen Dekorationselemente mussten neue Seitenbühnen her, so dass dem schlanken Rokoko-Bau Richtung Hedwigkathedrale ein ausladendes Hinterteil erwuchs.

Hier hätte die Politik differenzieren können. Die Optik von Foyer und Zuschauersaal im putzigen Neorokoko-Stil lässt sich tatsächlich relativ kostengünstig erhalten: Die Aufarbeitung des Paulickschen Dekorationsprogramms – unverzichtbar für die Verfechter der historischen Anmutung – kann nämlich weitgehend vor Ort erfolgen und stellt den geringsten Kostenfaktor im Generalsanierungspaket dar. 80 Prozent der Kosten verschlingen lauter Dinge, die der Opernbesucher künftig nie zu sehen bekommt: die neue Betonwanne, die das Gebäude gegen das Grundwasser abschirmt, sowie das runderneuerte, auf den modernsten Stand gebrachte Innenleben des Bühnenturms.

Festlich. So entsteht die Lindenoper im alten Glanz, nach dem Entwurf von HG Merz – mit Gitterwand oberhalb der Ränge, die für eine bessere Akustik sorgen soll.
Festlich. So entsteht die Lindenoper im alten Glanz, nach dem Entwurf von HG Merz – mit Gitterwand oberhalb der Ränge, die für eine bessere Akustik sorgen soll.

© HG Merz

Leider hat die Politik sich vor Baubeginn offenbar nicht die Frage gestellt, ob es wirklich sinnvoll ist, beim Bühnenturm dieselben Denkmalschutz-Maßstäbe anzulegen wie bei den mit Stuck verzierten Bereichen des Hauses. Schließlich handelt es sich beim Bühnenturm um einen Zweckbau, wie er in dieser Form erst im 20. Jahrhundert entstanden ist. Viel Zeit und sehr viel Geld hätten gespart werden können, hätte man sich dazu durchgerungen, den Bereich jenseits des eisernen Vorhangs abzureißen und dann neu zu errichten – selbstverständlich mit vertrauter Außenoptik.

Wenn Projektplaner und Architekten bei den Baustellenführungen berichten, mit welchem Mega-Aufwand die nackten Wände des völlig entkernten Bühnenhauses gesichert werden müssen, wundert man sich über keine Kostensteigerung mehr. Sechs Monate waren für den Aufbau des tausendarmigen Gerüsts eingeplant, das derzeit den leeren Turm aussteift. Es dauerte doppelt so lange. Zudem muss die Rückwand mit riesigen Stahlträgern gestützt werden, während die Hinterbühne auf äußerst komplizierte, denkmalgerechte Weise erweitert wird. Das erfordert 46 weitere Bauhilfsmaßnahmen. Im April 2013 sollte die neue Bühnentechnik nach der Ursprungsplanung einsatzbereit sein, vor wenigen Wochen verkündete die Senatsbauverwaltung stolz, man habe jetzt einen Fertigstellungstermin für Juni 2015 vertraglich abgesichert.

Am Intendanzgebäude fallen derweil die frisch gemauerten Backsteinwände auf. Bei dem in den fünfziger Jahren errichteten Verwaltungstrakt war der Denkmalschutz bereit, einem Teilabriss der Mauern zuzustimmen, damit hier ein Probenzentrum errichtet werden kann. Die Betonmauern der neuen Säle, so lautete die Forderung des Denkmalschutzes, sind dafür mit einer Klinkerfassade zu versehen. Die wird anschließend aber vollständig verputzt, so dass für den Betrachter das darunter befindliche Baumaterial ohnehin nicht zu erkennen ist.

Wenige Gebäude aus vergangenen Jahrhunderten sind Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg geblieben. Wo originale Substanz vorhanden ist, lohnt sich jede Mühe für Erhalt und Pflege. Wo es sich aber um historisierende Nachbauten handelt, muss der Kampf um jeden Backstein Grenzen haben. Die Politik kann sie setzen. Sich in die Details der Planungen einzuarbeiten, kostet Zeit – spart im Idealfall aber auch sehr viel Geld.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false