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Das Ambiente wird immer wichtiger. Die Astor Film Lounge im ehemaligen Filmpalast am Kurfürstendamm macht es vor.

© DAVIDS

Ende der Lichtspieltheater: In Berlin sterben die Kinos

40 Kinos sind seit 1990 aus Berlin verschwunden. Doch es gibt Ideen und Initiativen, wie sich das Lichtspieltheater in die Zukunft retten kann.

22 Kinos gab es einst am Ku’damm, jetzt sind es noch zwei. Dass mit dem Niedergang der City West auch die Filmpaläste verschwanden, das glamouröse Gloria, das Marmorhaus, die Filmbühne Wien, das alte Astor – es kam einem in den Sinn, als im Juni am Tauentzien auch noch das kleine Broadway schloss. Auch der Osten hat seit dem Fall der Mauer Verluste zu beklagen, vom Kosmos an der Karl-Marx-Allee über das Börse-Kino des Progress-Verleihs bis zum Forum in Köpenick oder dem Venus in Hohenschönhausen. 40 Lichtspielhäuser haben seit 1990 in Berlin ihr Leben gelassen, Traditionshäuser an den Boulevards, Kinos im Kiez.

Großes Wehklagen muss trotzdem nicht sein. 95 Spielstätten zählt Berlin heute. Das sind zwar 15 weniger als noch 1997, aber der europaweite Trend vermeldet dramatischere Zahlen. Und trotz Publikumsschwund stieg der Umsatz, dank höherer Ticketpreise für 3-D. Die immer noch gut 270 Kinosäle der Stadt garantieren eine immer noch paradiesische Vielfalt. Sind halt bloß weniger Einzelhäuser und mehr Multiplex-Kinos, könnte man sagen – wenn nicht die Zuschauer wegblieben und es nicht gerade die Arthouse-Kinos erwischte, die Anderes und Nachhaltigeres zeigen als Action, Fantasy und Fastfood-Spaß.

Regisseur Michael Verhoeven, der das denkmalgeschützte Toni in Weißensee betreibt, nennt sein Kino mittlerweile einen Subventionsbetrieb: Er schießt selber zu. Die Kinos in den Hackeschen Höfen verzeichnen seit 2001 jährlich rund 5 Prozent weniger Zuschauer, aber in diesem Jahr geht’s wieder aufwärts. Es liegt an den Filmen, sagt Burkhard Voiges, der in den Hackeschen Höfen das Programm disponiert. Bald starten der neue Woody Allen, Kaurismäki, von Trier, Almodóvar – der Herbst wird gut, soviel ist sicher.

Bei den Yorck-Kinos sind die Zahlen in den letzten Jahren zwar stabil, aber auch Yorck-Chef Georg Kloster betont, dass mit dem Verlust etwa des Broadway Heimat verloren geht, Intimität. Ohne Stammpublikum geht’s nicht: „Die persönliche Ansprache in den Programm- und Kiez-Kinos wird immer wichtiger“, so Kloster. „Wir müssen uns vom Massenbetrieb absetzen.“ Auch er betont die Bedeutung des Filmangebots für die Häuser. Schließlich konkurrieren sie weniger mit den Blockbuster-Kinos als mit dem immer reichhaltigeren Berliner Kulturangebot: Jede Lange Nacht der Museen oder Theater, jeder Karneval der Kulturen, jedes Event zieht Publikum ab. Dass sich jährlich im Februar, März die guten Arthouse-Produktionen auch noch gegenseitig kannibalisieren (wegen Berlinale-Nachspiel, Oscars und Startfristen für die Lola-Bewerbungen), während wenig später wieder Ebbe herrscht, bedauert Kloster besonders.

Rettet das Kino, fragt sich nur wie: Die Berlinale, die keine Publikumsprobleme kennt, unternimmt neuerdings Solidaritätsaktionen für das gute alte Lichtspieltheater. Mit Glamourvorhang am Brandenburger Tor und rotem Teppich vor den Kinos im Kiez will Dieter Kosslick auf den gefährdeten Alltag jenseits des Festivalglamours aufmerksam machen.

Die Gründe für die Krise sind vielfältig. Längst bietet das Kino nur noch eine unter zahlreichen Abspielmöglichkeiten. Der Film ist mobil geworden, er ist auf DVD zu haben, als Home-Entertainment mit XXL-Flachbildschirm, als Download auf dem PC, dem iPad, dem Smartphone. Streng genommen gibt es nicht weniger Filmzuschauer, bloß weniger Kinogänger: 2006 waren es in Deutschland gut 136 Millionen, 2010 noch 126. So gesellig die Spezies Mensch auch bleiben mag: Das Kino als Ort ist bedroht.

Die größte Gefahr lauert in der Provinz. Vor drei Jahren sank die Zahl der bundesweiten Kinostandorte erstmals seit Messung unter 1000. Aktuell gibt es in Deutschland noch etwa 950 Orte mit mindestens einem Kino; alleine im Vorjahr verloren 22 Städte ihr letztes (oder einziges) Lichtspieltheater. Während junge Architekturbüros schon Visionen davon entwickeln, wie marode Viertel und städtische Brachen mithilfe von Kinos vitalisiert werden können, mussten 2010/11 der Filmpalast in Köln, der Turmpalast in Frankfurt/Main oder das Münchner Tivoli aufgeben. Und die Uni-Stadt Göttingen verlor ihr letztes Innenstadtkino, zugunsten des Multiplex an der Peripherie.

Rettet das Kino, warum nicht in 3D. Gegen die erste Sterbewelle beim Siegeszug des Fernsehens in den Sechzigern sollten die Schachtelkinos helfen. Die zweite Krise nach der Erfindung der Videokassette und des Privatfernsehens in den Achtzigern wurde mithilfe der Multiplexe bewältigt. Nun, im Zeitalter von DVD und Piraterie, sind es „Avatar“ und Co. Allerdings streiten sich die Experten, ob die Wunderwaffe 3D dauerhaft umsatzstabilisierende Kräfte entfaltet, Vielleicht geben die 3-D-Spektakel nur eine Gnadenfrist – bis auch das TV-Movie die dritte Dimension zum Dumpingpreis bietet. Fürs Arthouse ist 3-D ohnehin keine Lösung.

Das digitale Zeitalter bringt aber nicht nur neue Schauwerte und größere Verwertungskonkurrenz mit sich, sondern auch gewaltige Kostenverschiebungen. Für Filmemacher und Verleiher ist das Material deutlich billiger geworden: eine Zelluloidkopie schlägt mit 1200 Euro zu Buche, ein digitaler Datensatz kostet nur 80 Euro. Und ausgerechnet jetzt, wo die Kinos sich einem schärferen Verwertungswettbewerb stellen müssen, wo obendrein das Zeitfenster zwischen Kinostart und DVD- wie TV-Auswertung immer kürzer wird, sollen sie kräftig investieren. Ein digitales Vorführgerät, das die lukrativen Hollywoodformate abspielen kann, kostet 70 000 Euro.

Ende des Jahres werden voraussichtlich 1800 von knapp 4700 deutschen Leinwänden mit digitaler Vorführtechnik versorgt sein. Die Umrüstung wird aus den Fördertöpfen von Bund, Land und der branchenfinanzierten FFA subventioniert. Bei den kleineren Häusern, nicht bei den Ketten: der Beitrag der Politik zur Erhaltung der Vielfalt, neben den bereits existierenden dotierten Kinoprogramm-Preisen. Das Medienboard Berlin Brandenburg hat seit Sommer 2010 700 000 Euro für 35 Leinwände ausgezahlt, davon 14 in Berlin.

Aber es gibt Streit um die Förderkriterien; Arthouse-Kinos mit größerem Umsatz wie das Delphi oder das Yorck und New Yorck müssen ohne Subventionen klarkommen. Und der zentnerschwere 35-Millimeter-Projektor (Kostenpunkt: 5000 Euro) hielt eine Ewigkeit, ein digitales Vorführgerät ist schon nach wenigen Jahren veraltet und außerdem anfällig.

Noch ist das deutsche Filmfördersystem darauf ausgerichtet, die Produktion zu subventionieren. Wenn die Filmkultur und die Kino-Vielfalt bestehen bleiben sollen, wird die Förderung der neuen Realität angepasst werden müssen.

Hilft die Flucht nach vorne? In Berlin gibt es bereits die ersten Lichtspieltheater der Zukunft: die Astor Film Lounge am Ku’damm, mit Leder-Liegesitzen und Bedienung am Platz. Der Betreiber, Cinemaxx-Gründer Hans-Joachim Flebbe, rüstet bis Herbst 2012 auch den Zoo-Palast zum komfortorientierten Filmtheater um. Für die ältere Generation, die mehr fürs Ticket hinlegt, wenn der Abend auch mehr Annehmlichkeiten verspricht. Kino de luxe, mit edler Bestuhlung, Rotwein und einer Speiseauswahl: Hier gibt es Wachstumspotential. Denn das Publikum wird älter. Die Generation 40 plus geht immer häufiger ins Kino, die über 60-Jährigen sogar dreimal so viel wie vor zehn Jahren.

Kinos brauchen Seele, so das Credo der Architektin Anna Maske, die gemeinsam mit Jens Suhren für die Umgestaltung der beiden Flebbe-Häuser verantwortlich zeichnet. Da wird an die Architektur der Paläste aus der Blütezeit der Zwanziger- und Dreißigerjahre angeknüpft. Mit ihren großzügigen Foyers, den elegant geschwungenen Treppenhäusern und imposanten Sälen waren sie traumhafte Gehäuse für das Theater der Träume.

Das Ambiente wird dem Arthouse-Publikum wichtiger, sagen auch die Kinobetreiber. Das heißt, mit der digitalen Umrüstung ist’s nicht getan, auch in Bestuhlung und Design muss investiert werden. Fragt sich nur, von welchem Geld. Warum gibt es keine ästhetisch anspruchsvollen Filmhäuser von namhaften Architekten? Beauftragt sie keiner oder wollen sie nicht? Frank Gehry, David Chipperfield, Norman Foster, Herzog & de Meuron, sie bauen Museen, Konzerthäuser, Stadien, Regierungsviertel, aber keine Kinos. Liegt es daran, dass diese nicht staatlich finanziert sind? Dass sie wegen der Dunkelheit für Star-Architekten nicht attraktiv sind und das Publikum im Kino nicht lustwandelt wie im Museum, sondern seine Umgebung im Gegenteil zu vergessen trachtet?

Aber das Kino hat nicht nur Probleme, es kann auch die Lösung sein kann, etwa für Problemkieze. Der französische Filmmogul Marin Karmitz hat im Norden von Paris am Bassin de la Villette zwei Lagerhallen in Kinos verwandelt. Seitdem ist in dem ehemals heruntergekommenen Viertel eine lebendige Freizeitkultur entstanden. Wie ein Kino einen Berliner Kiez stimulieren könnte, hat gerade ein Workshop für den Wedding untersucht. Architekten entwerfen Kinovisionen für das Areal der früheren Tresorfabrik in der Lindower Straße. Das (für den Laien leider wenig verständliche) Ergebnis ist in der Galerie Aedes am Pfefferberg zu besichtigen (Christinenstr. 18 - 19, bis 1.9., Di - Fr 11- 8.30 Uhr; Sa/So 13 - 17 Uhr).

Was die letzten Traditionshäuser betrifft, gibt es ebenfalls Anlass zur Hoffnung. Die Wertschätzung für die gebaute Umgebung und die Nachkriegsarchitektur nimmt gerade zu, wie Stuttgart 21 oder das Engagement fürs Kölner Schauspielhaus und die Bonner Beethovenhalle beweisen. Zunehmend kämpfen Bürge auch für den Erhalt von Kinos: So konnte 2010 etwa das Casablanca in Nürnberg gerettet werden. Auch die Idee, dass die Säle tagsüber für Seminare oder Konferenzen vermietet werden können, spricht sich langsam herum.

Doch das Gebäude ist nur die halbe Miete. Auf die Dauer hilft vor allem die Anziehungskraft eines attraktiven, spezialisierten Programms. Spektakelhöhlen mit Popcorn und Knutschsitzen für die Kids. Programmkinos mit Allen, Almodóvar und Wohlfühlfaktor für die Cineasten. Und barrierefreie Premium-Häuser für die jung gebliebenen Alten.

Am schlimmsten ist laut Burkhard Voiges die aus purer Angst produzierte Mischware. Vor allem in Deutschland entstehen immer mehr Kinofilme, die wie Fernsehen aussehen – Kassengift für ein Kino wie die Hackeschen Höfe. Voiges’ Fazit: „In der Branche wird zu viel nebeneinander her gearbeitet, die Produzenten wissen nicht, was im Kino läuft. Wir müssen mehr miteinander kommunizieren.“ Wer seinem Zielpublikum das richtige Angebot macht, braucht keine Angst vor dem Download-Zeitalter zu haben. Das beweisen der aktuelle „Harry Potter“- Rekord genauso wie zwei Millionen Zuschauer für „Das Leben der Anderen“ oder knapp 700 000 für „Das weiße Band“.

Als das Kino erfunden wurde, gehörte es zu den billigsten Freizeitvergnügen. Wenn es eine Zukunft haben will, muss es sich teurer verkaufen.

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