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Der bessere Geschmack, das coolere Wissen. Nach 38 Jahren ist bei der „Spex“ Schluss.

© Kai-Uwe Heinrich

Ende der Musikzeitschrift "Spex": Der lange Weg in die Mitte

Musik zur Zeit: Das Magazin „Spex“ leuchtete die Nischen der Popkultur aus - und blieb immer selbst Nischenprodukt. Nachruf auf ein Lebensgefühl.

Seit „Spex“-Chefredakteur Daniel Gerhardt Anfang der Woche auf der Webseite des Popkulturmagazins mitteilte, die „Spex“ werde zum Jahresende eingestellt, sind die Reaktionen zwiespältig. Einerseits herrscht große Trauer darüber, dass wieder ein Printmedium vom Markt verschwindet, eines aus dem Segment der Musikzeitschriften, so wie vor ihr schon die „Intro“ oder der britische „NME“. Zumal eine, deren Verdienste in ihren besten Zeiten gar nicht genug gewürdigt werden können. 

Andererseits gibt es eine gewisse Verblüffung darüber, dass die „Spex“ überhaupt noch existiert. Tatsächlich ist die Geschichte der 1980 gegründeten Zeitschrift eine ewig während Krisengeschichte. In den vergangenen 20 Jahren sind zahlreiche Nachrufe auf die „Spex“ geschrieben worden, ohne dass sie ihr Erscheinen eingestellt hätte.

Es begann im Jahr 2000, als die „Spex“ ihre zumindest verlegerische Unabhängigkeit verlor und die damaligen Herausgeber Diedrich Diederichsen, Tom Holert, Jutta Koether und Wolfgang Tillmans sie an den nicht gerade einschlägig bekannten, damals unter anderem für das Burger-King-Magazin zuständigen Münchner Piranha Verlag verkauften, in dem nun auch ihr Totenglöckchen geläutet wird. Es setzte sich fort, als das seit seiner Gründung in Köln ansässige Magazin 2006 nach Berlin umzog, als in den Folgejahren eine Chefredaktion nach der anderen aufgab und als ab 2014 keine Auflagenzahlen mehr gemeldet wurden.

Die "Spex" wollte die herrschende Ordnung unterwandern

Aber auch als der erste Berliner Chefredakteur Max Dax 2013 mit seiner Kollegin Anne Waak ein „Spex“-Buch herausgab, ein schönes, 500 Seiten starkes Coffeetable-Buch mit „Schlüsseltexten“ über „33 1/3 Jahre Pop“, so der Untertitel: Das hatte etwas Abschließendes. Die „Spex“ war plötzlich reif fürs Museum.

Diese Krisengeschichte ist jedoch keine rein ökonomische, eine, die sich nicht nur der Digitalisierung, dem Siegeszug der sozialen Medien und dem veränderten „Medienverhalten des popinteressierten Publikums“ verdankt, wie Gerhardt im Abschiedseditorial schreibt. Nein, die Dauerkrise der „Spex“ ist auch eine des Pop selbst, der Popkultur überhaupt. Das Blatt verstand sich seit seinen Anfängen in den hohen Zeiten von Punk und New Wave nie als Musikmagazin, das lediglich Empfehlungen ausspricht. Sein Anspruch war es immer, auch gesellschaftliche und politische, nicht zuletzt von bestimmten Szenen und Subszenen ausgehende Entwicklungen zu reflektieren. Pop wurde hier lange als widerständig verstanden, als etwas, das die herrschende Ordnung unterwandert.

Irgendwann geriet die Subkultur in die Kritik

Spätestens als Diedrich Diederichsen seinen Essay „The Kids are not alright“ schrieb, im Jahr 1992, nachdem zuvor in Rostock und Hoyerswerda bei rassistischen Überfällen auf Asylbewerberheime junge Leute auch mit Malcolm-X-Kappen oder T-Shirts mit Namenszügen von Grunge-Bands gesichtet worden waren, gerieten auch der Pop und die Popkultur in die Kritik. Die Subkultur, in der die „Spex“ sich mit Vorliebe bewegte, war nicht mehr per se gut, die glänzenden Oberflächen erwiesen sich auf einmal als porös und rissig, die Unschuld, die der Pop wegen seiner Warenförmigkeit, seiner Einbettung in kapitalistische Verwertungszusammenhänge sowieso nie hatte, war endgültig verloren.

Bis dahin jedoch, von den goldenen achtziger Jahren bis in die frühen Neunziger hinein sah man es bei der „Spex“ als vordringlichste Aufgabe an, den besseren Geschmack, das coolere Wissen, die neueste Theorie und die politisch korrekte Weltanschauung zu vermitteln. Und mithin ein Verständnis von Linkssein, das sich von dem der Grünen und von radikalen Politlinken unterschied, auch später noch, als die Grünen mit Schröders SPD Regierungsverantwortung übernommen hatten. „Der Krieg der neuen Mitte?“ fragte die „Spex“ zum Jahrtausendwechsel nach den Nato-Angriffen 1999 auf Serbien – und diskutierte, wie sie und die „Kulturlinke“ sich dazu, zur Berliner Republik, zu Rotgrün und Jugoslawien verhalten sollten.

Diskurs, aber fast kein politisches Potenzial

„Subkulturen etc. sind immer nur in dem Maße politisch, wie sie an ihrem pragmatischen Rand noch Tuchfühlung halten zu einem dynamischen, politischen Kontinuum am ,fortschrittlichsten’ Rand des Mainstream“, urteilte Diedrich Diederichsen in jener Ausgabe. Er schrieb schon lange in dem Wissen darum, dass der politische Einfluss von Subkulturen auch in den achtziger Jahren kein besonders großer war, dass die Popkultur an sich nur wenig bis gar kein politisches Potential besitzt. Dieses Urteil fällte Diederichsen in einer umständlichen, am Rande der Verständlichkeit gehaltenen Diktion.

Noch heute verbinden viele Menschen, die mit der „Spex“ sozialisiert wurden oder die Zeitschrift zumindest am Rande kennen, das Magazin mit dieser Diktion. Mit Schreibweisen, die nicht gerade leicht zugänglich, mitunter vertrackt waren. Die dann aber auch wieder einen erfrischend subjektiven, durchaus lustigen, gonzoartigen, immer wieder sich selbst als Pop verstehenden, mit zahlreichen Anglizismen durchsetzten Sprachsound erzeugten. Wie beklagte es Rainald Goetz, einer der frühen „Spex“-Autoren 1984: „Das, was mit Abstand das Beste sein könnte, der Popjournalismus, ist bei uns mit Abstand das lächerlichste, doofste, armseligste“. Rainald Goetz meinte damit den Rock-Lexikon-Stil der siebziger und achtziger Jahre, und das Gegenteil davon sollte die Sprache der „Spex“ sein.

Viele "Spex"-Autoren machten Karriere in bürgerlichen Medien

So wie die „Spex“ gerade in ihrer Frühzeit die Nischen der Popkultur auszuleuchten verstand – und damit im Zuge des aufkommenden Techno zunehmend Probleme bekam, für den sie übrigens auch keine Sprache fand– , so blieb sie selbst immer ein Nischenprodukt. Die Auflage bewegte sich in den besten Zeiten bei höchstens 25.000 Exemplaren. Trotzdem war ihr Einfluss auf ein bestimmtes Kulturmilieu immens, auch auf ein Feuilleton, das Ende der neunziger Jahre begann, Pop und Popkultur so ernst zu nehmen wie das Theater, die Literatur oder die Bildende Kunst.

Nicht nur Diedrich Diederichsen wurde hier zu einem gefragten Autor. Auch viele andere ehemalige Mitherausgeber oder Chefredakteure machten Karrieren in bürgerlichen Printmedien oder anderswo. Lothar Gorris landete Ende der neunziger Jahre beim „Spiegel“ und leitete dessen Kulturteil bis 2017. Sebastian Zabel wurde beim Springer Verlag Leitender Redakteur der „Berliner Morgenpost“ und ist heute Chefredakteur des „Rolling Stone“. Dietmar Dath arbeitet heute im Feuilleton der „FAZ“ (und schreibt nebenher mindestens soviel Bücher wie Zeitungsartikel), Clara Drechsler ist eine renommierte Übersetzerin aus dem Englischen geworden. Oder die Grether-Schwestern mit ihrem popliterarischen Salon im Literaturforum des Berliner Brecht-Hauses. Oder Christoph Gurk, der Kurator und Dramaturg an der Berliner Volksbühne wurde und heute in selber Funktion bei den Münchner Kammerspielen tätig ist. Nicht zu vergessen Rainald Goetz, den eine in den mittleren neunziger Jahren erstmals sehr ratlose „Spex“-Redaktion tatsächlich einmal zum Chefredakteur machen wollte: Goetz wurde inzwischen mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet und ist seit kurzem Träger des Bundesverdienstkreuzes, wie übrigens auch Wolfgang Tillmans.

Dieser Einfluss, diese Erfolge sind ebenfalls Teil der „Spex“-Krisengeschichte. Das Feuilleton eignete sich die Kernkompetenzen des Magazins von Rock bis Hip-Hop an, vom Popdiskurs bis zur regelmäßigen Berichterstattung über diverse popkulturelle Strömungen, mit Texten, die besser und verständlicher geschrieben waren. So erfolgte der Austausch in den vergangenen Jahren dann auch in umgekehrter Richtung: Die „Spex“ bediente sich gern beim Autoren- und Autorinnenpool des Feuilletons. Womit sie unfreiwillig demonstriert hat, dass ihre Zeit, ihre Einzigartigkeit sich dem Ende nähert.

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