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Kultur: Ende einer Bootsfahrt

Mit dem MP3-Player kommt die Sünde: Kim Ki-Duks „Der Bogen“ erzählt von Liebe und Verlust

Um Schönheit geht es: Ein Schiff nur und zwei Menschen, auf offener See. Das Mädchen ist ein betörendes, ewig lächelndes Geschöpf: ungeschliffen und zahm, unschuldig und wild, ohne Scham oder Kalkül – die reine Frau, das Naturding. Der alte Mann hütet seinen Schatz, er hat einen Bogen, den er mit hoher Kunstfertigkeit zu führen weiß. Sie sind sich selbst genug, das antriebslose Schiff, der Alte und das Mädchen, im leichten, gleichmäßigen Wellengang der See, unter strahlend blauem Himmel.

Um Vertrauen geht es auch: Hin und wieder kommen Angler für ein paar Stunden aufs Boot, und manchmal fragen sie den Alten nach der Zukunft. Dafür haben die beiden ein ungewöhnliches Ritual erfunden: Das Mädchen schaukelt vor der Außenwand des Schiffes, der Alte schießt auf das Buddha-Bild hinter ihr, das Mädchen gerade mal so mit seinen Pfeilen verpassend.

Und es geht um Besitz: Auch ein junger Student kommt aufs Boot, das Mädchen fühlt sich gleich zu ihm hingezogen. Da wird er plötzlich giftig, der Alte, und fährt mit seinen Pfeilen dazwischen – denn das Recht der ersten Nacht behält er selbst sich vor. Bald ist sie sechzehn, dann will er, der sie als Kleinkind fand und auf seinem Boot großzog, das Mädchen zu seiner Frau machen.

Schönheit, Vertrauen, Besitz: Auch in seinem neuen Film bettet der koreanische Regisseur Kim Ki-Duk Archetypisches in west-östliche Mystik und blendend schöne Bilder. Nicht zum ersten Mal führt er den Menschen wie ein Naturwesen vor, seine Fähigkeit zu emphatischer Liebe: Zart kann sie sein oder leidenschaftlich, besessen, ausbeuterisch, gewalttätig oder gar sadistisch. Unter Ki-Duks ungerührtem, stets auch das Destruktive verzaubernden Blick bleibt sie immer unschuldig.

„Hwal – Der Bogen“ kommt ganz ohne Gewalt aus, knüpft aber so eng an einige von Kim Ki-Duks früheren Filme an, dass man meinen könnte, ihn schon gesehen zu haben. Der Rückzug aus der Zivilisation in eine geschlossene Traumblase ist ein wiederkehrendes Motiv – mal geschieht es abseits der Menschen auf entlegenen Gewässern („Die Insel“, 2000, „Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling“, 2003), mal mitten unter ihnen („Bin-Jip“, 2004). Irgendwann wird die Blase durch Abgesandte des Realen irritiert: Vulgär sind sie, dumm und hässlich, und wenn sie etwas sagen wollen, müssen sie sprechen. Die in der Blase aber, die schweigen. Hier ist jedes Wort zu viel.

Ki-Duks neuer Film ist abermals ein allegorisches Kammerspiel unter freiem Himmel, das es seinen beiden Hauptdarstellern nicht leicht macht: Nur mit Blicken und Gesten müssen sie das elementare Drama darstellen. Jeon Sung-Hwan und Han Yeo-reum gelingt das ausgezeichnet, vor allem dann, als das Gleichgewicht auf dem Boot erstmals empfindlich gestört wird: Der Student schenkt dem Mädchen einen MP3-Player, als er das Boot verlässt – ein Fremdkörper, den der Alte ihr eifersüchtig entreißen wird. Vorbei ist’s dann mit den vertrauten Gesten und dem arglosen Blick: Die bislang blind und stumm Vertrauten beginnen sich gegenseitig wie Fremde zu beobachten. Ein Riss geht durch die Harmonie, der Zerfall des Zweipersonen-Universums ist von nun an unausweichlich. Pfeil und Bogen des alten Mannes sind das Symbol seiner widersprüchlichen Motive: Sie dienen als Schutzwaffe ebenso wie als Musikinstrument, als buddhistisches Ritualzeug wie als Zeichen seines sexuell unterfütterten Machtanspruchs.

Kim Ki-Duk ist Christ, seine Anleihen beim Buddhismus macht er vor allem aus erzähltaktischen Gründen. Dass er hier versucht, buddhistische Genügsamkeit und Naturnähe auf eine Intimgemeinschaft zu projizieren, ist ein reizvoller Einfall. Doch gerade beim Entwerfen von Liebesgeschichten ist der Grat zwischen Schlichtheit und Banalität besonders schmal, und diesmal ist ihm sein minimalistischer Aufbau zur niedlichen Idylle geraten. „Hwal“ ist wie ein Softcore-Remix typischer Ki-Duk-Motive, maßvoll zugeschnitten für die Fangemeinde auf den Festivals. Dabei hat man gar nicht mal das Gefühl, Ki-Duk wiederhole sich selbst. „Hwal“ wirkt eher, als hätte ein anderer versucht, sich seiner Mittel zu bedienen, und sich dabei ganz auf die Oberflächengestaltung konzentriert. Von der schieren Banalität der Geschichte entkernt, kommt einem Ki-Duks Erzählkunst, seine Verbindung von minimalistischer Archaik und schwebendem Traumwerk, seiner außergewöhnlichen Bildgestaltung mit einfachen, aber resonanzstarken Motiven erstmals manieriert vor. „Hwal“ ist ganz Bild, Musik und Stil – das Film gewordene Lächeln seiner strahlend schönen Hauptfigur.

Eiszeit und Hackesche Höfe (beide OmU)

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