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Kultur: Endstation Tankstelle

Barrie Kosky kämpft mit Wagners „Walküre“ am Opernhaus Hannover

Schon lustig, was Barrie Kosky da für Richard Wagners berühmteste 15 Minuten eingefallen ist. Kaum dass das Orchester zu Beginn des dritten Aktes zum Walkürenritt angesetzt hat, ist auf der Bühne von Hannovers Opernhaus schon die Hölle los: Eine ganze Horde von wilden Motorradbräuten in knappen Röcken und abgeranzten Lederjacken tobt um die alte Tankstelle herum, die offenbar der Treff dieses bösen Mädchenclubs ist. Wäre „Die Walküre“ nicht mehr als ein Viertelstundenclip, diese MTV-Wotanstöchter hätten beste Chancen auf einen Spitzenplatz in den Charts.

Kosky ist nun mal ein Vollblut-Theatermann, der um die Wichtigkeit solcher polarisierender Knalleffekte weiß – als Hingucker, die mit Glück auch längere Durststrecken der Einfallslosigkeit kompensieren können. Die allerdings gibt es in dieser „Walküre“ leider reichlich: Man wird das Gefühl nicht los, als habe Kosky nach dem spektakulären, in seinem Bilderreichtum doch auch hintersinnigen „Rheingold“ diesmal partout keine zündende Idee gehabt, die über die Dauer von vier Stunden tragen könnte. So bleibt der zweite Teil dieses Hannoveraner „Rings“ ein merkwürdiges Flickwerk: im ersten Akt ein Thriller um ein traumatisiertes Geschwisterpaar, im zweiten ein müdes Konversationsstück vor diversen Vorhängen und im dritten eben ein aufgekratzter Videoclip mit einstündigem Dialog-Rattenschwanz.

Satt macht das natürlich nicht, auch weil die eigentlichen Qualitäten des Kosky-Theaters diesmal kaum zum Tragen kommen: Denn Blut, Schweiß und Sperma der Kosky-Figuren sind sonst ja nicht nur drastischer Hyperrealismus, sondern schaffen zugleich eine beklemmende Nähe, die den Blick auf deren komplexes Seelenleben ermöglicht. Solche Erkenntnisse aber, die gerade für die „Walküre“ mit ihren kammerspielhaften Langstrecken wichtig gewesen wären, bleiben diesmal aus.

Das Verhältnis zwischen Wotan und Brünnhilde, Dreh- und Angelpunkt jeder „Walküren“-Inszenierung, bleibt völlig im Unklaren, und selbst die Göttergattin Fricka wird zur keifenden Zicke verkleinert – kein Anzeichen einer schmerzlichen Entfremdung zwischen dem hehren Ehepaar, aber auch kein Hinweis darauf, dass hier eine Frau vielleicht für die Aufrechterhaltung ihrer ererbten Regeln von Moral und Anstand kämpft.

Die Wälsungensprösslinge Siegmund und Sieglinde: Kosky reduziert sie fast durchweg auf die Opferrolle, lässt sie neurotisch zittern und zeigt in aller Deutlichkeit die Brutalität, mit der der fiese Hunding seine Frau unterdrückt. Zu kurz kommt dagegen die Hoffnung auf ein besseres Leben, ebenso wie die ungeheure, auch musikalisch mitreißende Energie, die dieser Funke den beiden verleiht. Kelly God als Sieglinde und vor allem Vincent Wolfsteiner als Siegmund können den Umschlag von Verzweiflung zu elektrisierender Kraft wenigstens stimmlich eindringlich vermitteln.

Freilich zeigt der Abend auch, wie schwierig es ist, ein Regietheater Marke Kosky in diesem Repertoire an einem mittelgroßen Haus zu verwirklichen. Denn Sänger, die diese Rollen glaubwürdig darstellen und gut singen können, sind hier die Ausnahme. Weder der Amerikaner Robert Bork noch Hannovers Haussopranistin Brigitte Hahn sind Darsteller, die für diese Art Musiktheater taugen – Borks Wotan hat zwar einen virilen, konditionsstarken Bassbariton, kann als Typ aber nichts über die Zweifel und Konflikte des alternden Gottes erzählen. Und Hahn versucht zwar tapfer, ihrem Sopran Brünnhildentöne abzuringen, kann den Elan ihrer „Hojotoho!“-Rufe jedoch keinen Moment durch Charisma und Präsenz beglaubigen – als Motorradbraut macht sie erst recht eine unglückliche Figur. Dazu noch das Orchester, das die an sich stimmigen Tempovorgaben seines Chefs Wolfgang Bozic nur unter Einbußen umsetzen kann. So klingt die deutsche Wagner-Provinz. Und Kosky hat mit „Siegfried“ hoffentlich mehr Glück.

Wieder am 30.5. sowie 18., 20. und 24.6.

Jörg Königsdorf

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