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Museum Junge Kunst Frankfurt/Oder: Energie des Eigensinns

Die großen Kleinen (6): Das Museum Junge Kunst in Frankfurt / Oder zeigt Ost-Kunst ohne Ostalgie

In Berlins Umgebung gibt es zahlreiche Museen mit ungewöhnlichen Sammlungen: Anlass für Tagesreisen zu den „kleinen großen“ Kunst- und Ausstellungshäusern. Mit dem heutigen Beitrag beschließen wir unsere Serie, in der bisher das Jagdschloss Schorfheide (10. 7.), die Franckeschen Stiftungen in Halle (16. 7.), das Ofenmuseum in Velten (26.7.), das Schulmuseum in Reckahn (5.8.) und die Cranach-Höfe in Wittenberg (7.8.) vorgestellt wurden.

„Museum? Welches Museum?“ ist die häufigste Reaktion, wenn von Frankfurt an der Oder die Rede ist. Dabei befindet sich das dortige Museum am zentralen Ort: in der historischen Rathaushalle. Sie beherbergt eine der größten Sammlungen ostdeutscher Kunst. Das Museum Junge Kunst ist eine Ideenschmiede, die dem Oder-Blues widersteht.

Pfeile durchzucken das Gesicht, ein Mensch stürzt kopfüber, zwei rote Kämpfer bedrohen sich mit erhobenen Armen. Die Farben rot, schwarz, blau signalisieren die Energie der Revolution. Das Bild „9. November 1989“ von A.R.Penck hängt im Arbeitszimmer von Brigitte Rieger-Jähner, die das Haus seit 1990 leitet. „Die Zeit nach der Wende war die schönste Zeit meines Lebens,“ sagt die Kunsthistorikerin, „wir konnten machen was wir wollten.“

Die Verwaltungsräume am Oderufer wirken wie ausgestorben. Zwei Kuratoren sind für alle Ausstellungen verantwortlich, die Direktorin und ihr Vize Armin Hauer. Gemeinsam haben sie der einst linientreuen Sammlung eine neue Richtung verliehen. Gegründet wurde die Galerie Junge Kunst 1965. Frankfurt (Oder) war im Begriff, sich von der Provinzstadt in ein Industriezentrum zu verwandeln. Der Prozess dieser Umgestaltung sollte auch in der Kunst ihren repräsentativen Ausdruck finden. Staat, Partei und Betriebe stellten der neu gegründeten Sammlung einen großzügigen Etat zur Verfügung, damit sie die „sozialistische Modernität“ abbilden konnte. Bis Anfang der Achtziger wurden grundsätzliche keine abstrakten Werke gekauft.

Heute umfasst die Sammlung 11 000 Arbeiten. „Zwanzig Prozent davon“, urteilt Brigitte Rieger-Jähner, „sind zwar technisch brillant, aber nur von dokumentarischem Wert.“ Für sie ist dieser Teil der Sammlung abgeschlossen. Konsequent verzeichnen die Kataloge das Aufkaufsdatum, so dass sich die politischen Hintergründe für den Erwerb nachvollziehen lassen. Seit der Wende konzentriert sich die Sammlung auf Künstler, die aus dem Land vertrieben wurden, aber im Osten Deutschlands ihre Wurzeln haben. Statt einer Dauerausstellung konzipieren die beiden Kuratoren Wechselausstellungen, Anreiz für Museum und Publikum sich mit den Beständen auseinanderzusetzen. Nur so lassen sich Sponsoren finden und Neuerwerbungen tätigen. Seit 1995 verfügt das Museum über keinen Ankaufsetat. Dennoch ist es der Direktorin gelungen, über tausend neue Werke zu erwerben: von den stillen Abstrakten wie Hermann Glöckner oder Max Lachnit bis zu den jungen Aufmüpfigen wie Via Lewandowsky oder Norbert Bisky. Mal stiftet der Freundeskreis, mal sind Galeristen oder Künstler großzügig.

Die Brüche in der Sammlung provozieren Irritationen. Die aktuelle Ausstellung „Blicke und Gesten“ (bis 16. 10.) lehrt klug Querverbindungen und Antagonismen. Die Abfolge von Porträts beginnt in den zwanziger Jahren mit Kurt Querner, setzt sich in der Zeit des zweiten Weltkrieges fort mit dem Bronzekopf eines sterbenden Soldaten von Fritz Cremer. Im Begleitheft lassen sich die Hintergründe der Werke erfahren: etwa dass die Punkerin, die Clemens Gröszer 1983 malte, damals ihre Ausreise beantragt hatte. Da hängt neben Willi Sittes Doppelporträt von zwei Tänzerinnen „Exstase“ von Norbert Bisky, der sich an der Propagandakunst der DDR abgearbeitet hat. Stefan Balkenhol, Hartwig Ebersbach, Florian Merkel – die ostalgiefreie Schau gibt eine Vorstellung von der Eigensinnigkeit dieser Kunst. Die Stadt selbst aber scheint den Reichtum zu übersehen, der sich in ihrer Mitte anhäuft.

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