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Die Teufel-Skulptur von Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely.

© imago

Engelszungen (5): Der gefallene Engel und das gefallene Mädchen

Ob als Jahresendfigur, Hosianna-Sänger, Himmelsbote oder Kitschgestalt: Die geflügelten Gesandten sind omnipräsent. Zeit für ein paar Gedanken über Wesen und Wirken der Engel.

Engel müssen gefallsüchtig sein. Wenn Besitz von Engelslocken, endloses Absingen von Chören und Tragen von golddurchwirkten Gewändern eine Nebenwirkung haben, dann doch wohl diese: verschärfte Eitelkeit. Allerdings gibt es Ausnahmefälle. Man nennt sie gefallene Engel, weil sie sich für das Hässliche statt für das Schöne entschieden haben, für den Aufstand statt für die Unterwerfung, für die Nacht statt für den Tag.

„Wie bist du vom Himmel gefallen, du Glanzstern, Sohn der Morgenröte!“, so sprach Gott zu seinem einstigen Lieblingsengel Luzifer, der ihn herausgefordert hatte. Rebellion und Anmaßung, das konnte dem Herrn nicht gefallen. „Und du, du sagtest in deinem Herzen: Zum Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über den Sternen Gottes meinen Thron aufrichten, mich niedersetzen und dem Höchsten gleichmachen“, heißt es jedenfalls mit kaltem Zorn beim Propheten Jesaja (14,12–14).

Was kommt nach dem Hochmut? Logisch, der Fall. „Und es wurde geworfen der große Drache, die alte Schlange, der Teufel, geworfen wurde er auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm geworfen“ (Offenbarung 12,7–9). Gott verstieß Luzifer und mit ihm auch die anderen aufständischen Engel aus seinen himmlischen Höhen und hielt den Fall damit für erledigt.

Der Höllenfürst als Gegengott

Das war allerdings nicht der Fall, denn Satan, der Höllenfürst, konnte sich tatsächlich zum kleinen Gegengott aufschwingen. So kam das Verbrechen in die Welt. Seither ringen bei jedem Krieg, Putsch oder Anschlag, bei jedem Fall von Mord, Totschlag oder Arglist die himmlischen und teuflischen Kräften miteinander. Gottes Güte, Liebe und Optimismus hat Luzifer allenfalls Sekundäreigenschaften wie Verweigerung, Häme und Zweifel entgegenzusetzen.

„Ich bin der Geist, der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, / ist wert, dass es zugrunde geht“, brüstet sich Mephisto in Goethes Menschheitsparabel „Faust“, die eine einzige Fallstudie über das Prinzip des Bösen ist. Wie die Tragödie endet, ist bekannt: mit der Errettung des Weltenskeptikers Faust und der Verdammnis des Weltenzerstörers Mephisto, dem zweiten tiefen Fall des Bocksbeinigen.

Etymologisch und moralisch ist der gefallene Engel nahe mit dem gefallenen Mädchen verwandt. Wie Luzifer von Gott verstoßen wurde, so wird die Sünderin von der Gesellschaft verstoßen, wobei der Fall von Maria Magdalena besonders bemerkenswert ist. Denn die biblische Prostituierte bereut ihre Ausschweifungen, wäscht Jesus kniefällig die Füße und wird dafür von ihren Sünden erlöst: „Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl“ (Lukas 7,36–50).

Aber ist die Sünde nicht auf jeden Fall aufregender als ewiges Artigsein? Kommen böse Menschen nicht überall hin, gute Menschen aber bestenfalls in den Himmel? „Die Welt ist alles, was gefallen ist“, befand Ludwig Wittgenstein. Oder war es Fallada?

In der Serie sind erschienen: Diesen Medien glaubt man, Unschuld, schwarz gefiedert, Damiels Sprung sowie Künder & Kuppler

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