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Kultur: Entspannt

Rattle und die Philharmoniker träumen von Frankreich

Eine kleine feine Müdigkeit legte am Freitagabend in der Philharmonie feine silbrige Netze aus. Das fünfte Rendezvous von Sir Simon, den Philharmonikern und dem Berliner Publikum in Monatsfrist, diesmal buchstäblich auf Französisch und mit zwei entlegeneren Stücken des Repertoires – da würde man um wenig zu bangen haben. Nicht um Sir Simon und das Orchester, die sich wie ein Jockey und sein neues arabisches Vollblut in der fünften Runde des Rennens langsam gegenseitig spüren und vorausspüren lernen, im Tonus der Muskeln, im dramatischen Spiel der Schenkel und Nüstern; nicht um das Publikum, das unter dem herrschenden Rattle-Hype seinen Frieden mit Rattle gleichsam vorauseilend gemacht zu haben scheint; und auch nicht um die Stücke, um Olivier Messiaens „Trois petites liturgies de la Présence Divine“ (Drei kleine Liturgien auf die Gegenwart Gottes) und um Ravels Oper „L’Enfant et les Sortilges“ (Das Kind und die Zaubereien), die beide höchstes Können erfordern und einen leichten, befreiten Sinn, die aber zugleich wenig Seelenaufriss bieten, wenig Herzblut, das pulsiert.

Gewiss, die Dramaturgie des Programms ist nicht laut genug zu loben. Messiaen und Ravel, das sind zwei Werke, die sich weigern, ihre harte, grässliche Wirklichkeit in Töne zu setzen: Maurice Ravel komponierte nach der traumatischen Erfahrung des Ersten Weltkriegs, Oliver Messaien verfasste seine Liturgien 1943/44. Zwei Stücke, die – und das ist oft genug an ihnen kritisiert worden – programmatisch die Köpfe in den Sand stecken. Dass Messaiens emphatische Beschwörung der göttlichen Gegenwart einem ganz anderen Begriff von Naivität huldigt, als dies bei Ravel der Fall ist, der sich von Colettes Text eher zu einem kafkaesken Schabernack inspirieren ließ, liegt dabei auf der Hand.

Beide Male aber greift Simon Rattle nicht in die großen impressionistischen Farbtöpfe. Vor wie nach der Pause walten eher Kühle vor und Transparenz um jeden Preis. Messiaens Liturgien entfalten so nur wenig mitreißend Fröhliches oder gar Sinnenrauschhaftes. Das harmonische Funkeln der Partitur verschmilzt vielmehr zu eisig schimmernden Klangflächen (sehr mutig, sehr virtuos: die Damen des Rundfunkchors Berlin). Und am menschlichsten näseln ausgerechnet die kleinen elektronischen Orgeln mit dem schönen n Ondes Martenot (Tristan Mureil). Ravels Oper hingegen fehlen ganz einfach der Witz und die Skurrilität. Die Sängersolisten (Cynthia Clarey, Susan Gritton, Monica Bacelli, Marietta Simpson, Jean-Paul Fouchécourt, Francois Le Roux, Laurent Naouri) walten brav bis beklommen ihres Amtes, das Orchester spielt ordentlich und Sir Simon wirkt diesmal – entspannt. Schließlich müssen ja nicht immer die Pferde mit einem durchgehen. Christine Lemke-Matwey

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