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Ausstellung: Erinnerung, sprich

Testlauf fürs Humboldt–Forum: eine Islam-Ausstellung in Kreuzberg

Das Museum für Islamische Kunst, untergebracht im Berliner Pergamon-Museum, ist weltberühmt. Aber wer geht hin? Eine Besucherbefragung kam vor gut einem Jahr zu erstaunlichen Ergebnissen. Über achtzig Prozent der Besucher sind westeuropäische Touristen, wenig Berliner, wenig Senioren oder Familien mit Kindern und vor allem: wenige Personen mit migrantischem Hintergrund. Die Kulturgeschichte der Eltern und Großeltern, Informationen über das Herkunftsland, über Religion und Kunst – Berliner mit Migrationshintergrund suchen sie offenkundig nicht in den klassischen Museen.

Sie würden dort auch nicht viel erfahren. Fast alle befragten Besucher im Islamischen Museum fordern mehr Informationen zu geografischen, politischen und sozialen Zusammenhängen der jeweiligen Länder sowie über die Hintergründe des Islam. „Als das Museum 1904 gegründet wurde, gab es nicht viele Muslime in Deutschland“, sagt auch Museumsdirektor Stefan Weber im Videointerview. Heute ist das anders. Das Museum müsste derzeit eines der aktuellsten und meistbesuchten sein. Stattdessen geraten die meisten Besucher eher zufällig hierher.

Was muss sich ändern, damit die Menschen ins Museum finden? Die Sozialwissenschaftlerin Christine Gerbich, die die Besucherbefragung im Herbst 2009 durchgeführt hat, gehört mit der Religionswissenschaftlerin Susan Kamel und der Kulturwissenschaftlerin Susanne Lanwerd zu einem Team, das an der TU Berlin das dreijährige Forschungsprojekt „Experimentierfeld Museologie“ betreut. Am Beispiel islamischer Kunst und Kulturgeschichte soll untersucht werden, wie Museen mit ihren Beständen und Besuchern umgehen. „Wir gehen davon aus, dass die Sammlungen viele Geschichten über die jahrhundertealte Diversität der Bevölkerung beinhalten“, sagen die Kuratorinnen. Man muss die Stücke nur zum Sprechen bringen.

Das Projekt wird Folgen haben, nicht nur für die neue Dauerausstellung des Museums für Islamische Kunst, die derzeit erarbeitet wird, sondern auch für die Konzeption des Humboldt-Forums, das sich speziell der neuartigen Vermittlung außereuropäischer Kulturen verschrieben hat. Die TU-Wissenschaftler waren allerdings zu den ersten Arbeitsbesprechungen der Humboldt-Gruppe gar nicht erst eingeladen worden.

Ein erster Testballon startet nun an ungewohnter Stelle. Im Kreuzberg-Museum am Kottbusser Tor haben sich vier Berliner Institutionen zusammengetan, um neue Formen der Museumsvermittlung zu erproben. Unter Leitung der Kuratorinnen vom „Experimentierfeld Museologie“ präsentieren das Museum für Islamische Kunst, das Stadtmuseum, das Werkbund-Archiv – Museum der Dinge und das Bezirksmuseum Friedrichshain-Kreuzberg Objekte aus ihren Beständen und lassen sie von „migrantischen Experten“ kommentieren.

Gleichzeitig sind Besucher aufgefordert, eigene Leihgaben beizusteuern und die Ausstellung zu kommentieren. So findet sich hier eine Zigarettendose der Firma „Muratti“, die 1906 eine Niederlassung in Kreuzberg eröffnete und deren Besitzer griechische Einwanderer waren, aber auch eine reich verzierte iranische Wasserschale aus dem 14. Jahrhundert, die das Islamische Museum beisteuerte. Bei dem kuriosen Wecker in Form einer Moschee bemängelten Besucher, er sehe eigentlich gar nicht wie eine richtige Moschee aus. Die Beiträge der Experten drehen sich um die koreanische Küche in Berlin, eine Gnocchi-Reibe aus Argentinien oder ein Buch mit polnischer Lyrik.

Jedes Objekt erzählt eine Geschichte, die kostbaren Schalen aus dem Islamischen Museum genauso wie die Plastikgimmicks von heute. Dass sich Hochkultur und Alltagskunst vermischen, ist in der Kulturwissenschaft seit Aby Warburg eine Binsenweisheit. War doch vieles, was heute im Museum steht, einst ein Alltagsobjekt, hat doch manches, was heute als Gebrauchsgut gilt, durchaus künstlerische Ansprüche. Was die Exponate erzählen, sind Kulturgeschichten eines Landes, das schon immer ein Einwanderungsland war, von den Hugenotten und schlesischen Wanderarbeitern bis zu den Arbeitsmigranten der Siebziger und den politischen Flüchtlingen von heute. Höchste Zeit also für ein Migrationsmuseum, wie es immer wieder gefordert wird. Dafür wäre das Humboldt-Forum kein schlechter Ort.

Kreuzberg-Museum, Adalbertstraße 95A, bis 27. März, Mi. bis So. 12 bis 18 Uhr.

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