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Kultur: Erinnerungsfetzen

MUSIKZIMMER Diedrich Diederichsen nimmt Abschied und beginnt Nun macht also auch das Musikzimmer zu. Nach drei Jahren und acht Monaten wird diese 62.

MUSIKZIMMER

Diedrich Diederichsen

nimmt Abschied und beginnt

Nun macht also auch das Musikzimmer zu. Nach drei Jahren und acht Monaten wird diese 62. Folge die letzte sein. Abschied nehmen heißt auch, zu beginnen, späteres Erinnern vorzubereiten. Eine handliche Bilanz der besten und doch nie erwähnten Tonträger, die während der Lebenszeit des Musikzimmers erschienen sind, so dachte ich zunächst, wäre vielleicht ein ideales Souvenir. Aber so eine schweigsame, positivistische Liste? Zu viel wäre über jedes dieser Spitzenerzeugnisse zu sagen. Für die Musik selbst lässt sich kein Souvenir benennen, denn Musik ist ja selbst in ihrer ewigen Nachahmung der Echtzeit-Situation „Leben“ meist schon ein Souvenir. In ihrer aufgezeichneten und in Musikzimmern reproduzierten Form, das Souvenir des Souvenirs.

Was wäre dann ein musikalisches Souvenir im engeren Sinne, das ganz bestimmte Momente betrifft, nicht den zufälligen der (ersten) Hörsituation? Luc Ferrari beschäftigt sich damit seit einiger Zeit sehr gezielt. Der Avantgardist der Fünfziger und Sechziger hat als Übersiebzigjähriger einen neuen musikalischen und sozialen Zusammenhalt gefunden: die aus Post-Rockern und freien Improvisatoren hervorgegangene Welt des von David Grubbs (früher Bastro, Gastr Del Sol, Red Crayola etc.) geleiteten Blue-Chopsticks-Labels. Dort werden nicht nur ältere Werke herausgebracht, sondern es entstehen auch neue Kontexte für Ferraris delikate, feingesponnene Musique-concréte-Tagebücher und -Hörspiele. Ferrari improvisiert aber auch in Ensembles mit Grubbs und Noel Akchoté und scheint sich rundum selbst neu erfunden zu haben, wenn man ihn versonnen auf einer Natursteinmauer hocken sieht, mit Kopfhörer und einem kleinen Recorder ausgerüstet. Ein Mikro liegt auf der Mauer und hinter ihm eröffnet sich eine endlose Sandlandschaft und wir können uns ebenso gut vorstellen, dass die einen Strand bildet oder hier eine Wüste beginnt. Unwillkürlich glaubt man sich vorzustellen, wie sie – mit Gesprochenem und Musiksouvenirs verbunden – eine Ferrari’sche Tagebucharbeit bilden. Die Reihe „Cycle des Souvenir (1995- 2000)“ bei Blue Chopsticks stellt nicht nur die entspannteste Form einer mit konkreten Klängen und digitaler Software arbeitenden Erinnerungsmusik vor, bei der das klangliche Fundstück nicht nur als ein Zeichen der Welt in der Kunst, sondern auch als Lebenszeichen des Künstlers wirkt. Darüber hinaus hat er ein Händchen für das immer schon Musikalische der Klänge der Welt und für die zufällig aus der Erinnerung aufsteigenden oder aus geöffneten Fenstern herüberwehenden Klang-Sinnfetzen.

Und dann gibt es einen anderen Abschied zu nehmen. Lizzy Mercier Descloux ist gestorben. Keine deutsche Publikation fand das letzte Woche der Rede wert. Auf lange Sicht ist sie für mich eine der fünf brillantesten Figuren der Pop-Musik der letzten 20 Jahre, obwohl sie eigentlich nur in den Achtzigern aktiv war: zwischen dem kalt aggressiven Punk-Folk ihrer Guerrilla-verliebten Band Rosa Yemen (1978) und dem letzten Album „Suspense“ (1988). Dazwischen hat sie – jeweils vor allen anderen – nihilistischen New-York-Punk krachend und komisch mit einem trockenen Disco-Glamour konvergieren lassen („Press Color“, 1979), amtlichen Funk und nachlässigen No Wave gekreuzt („Mambo Nassau“, 1980), die ihrem Nachahmer weit überlegene konzeptuelle Vorlage für Paul Simons Südafrika-Platte geliefert (ohne Titel, 1984 in Johannesburg und Soweto aufgenommen) und sich schließlich in brasilianische Musik verliebt („One For The Soul“, 1985).

Sie kam 1974 als 17-Jährige nach New York, um Frühformen von Punk für französische Zeitschriften zu recherchieren und machte den jungen Richard Hell verrückt, der sie in seinem ersten Roman verewigte. Sie nahm Musik und Dichterinnen-Duette mit Patti Smith auf und wurde zur zentralen Figur des so genannten No Wave: einer radikalisierten Punk-Ästhetik in (Super-8-)Film und Musik, die schließlich so unterschiedliche Figuren wie John Zorn und Jim Jarmusch hervorbringen sollte. Gerade war ihr Frühwerk – darunter „Press Color“, mit seltenen Bonus-Aufnahmen von ihr und Patti Smith – im Zuge der allgemeinen Wiederentdeckungsflut der frühen New Yorker Achtzigerjahre in liebevollen Editionen verfügbar gemacht worden und man konnte davon lesen, dass sie nach ihrer eher lokalen Karriere als Bildende Künstlerin wieder Musik machen würde.

Widmen wir ihrem Andenken die letzte dieser Kolumnen, schließen wir die Tür des Musikzimmers und legen hinter dieser das unvergleichliche „Long Voodoo Ago“ von „One For The Soul“ auf und denken Dinge, von denen Sie nie erfahren werden.

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