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Kultur: Erkenne dich

München präsentiert den Architekten Roger Diener

Wenige Neubauten des hauptstädtischen Berlin haben die Gemüter so sehr erregt wie seinerzeit der Neubauteil der Schweizerischen Botschaft im Spreebogen. Das karge, strenge Bauwerk neben dem opulent wiederhergestellten historistischen Altbau provoziert – nicht durch Gags, sondern, ganz im Gegenteil, durch deren vollständiges Fehlen. Rechte Winkel, glatte Wände, schmucklose Fenster und Türen: das ist die Herausforderung.

Der Anspruch also, die die Schweizerische Botschaft an den Betrachter stellt, ist protestantisch kompromisslos: sich der Geschichte zu stellen, die an diesem Ort und dem Fehlen seiner einstigen Bebauung vergegenwärtigt ist. Darum eben ist der Gebäuderiegel alles andere als ein Fremdkörper, sondern ein notwendiger Bestandteil des Areals: Er hält die Wunde sichtbar, die die Geschichte dem Ort geschlagen hat, ohne oberlehrerhaft mit dem Finger darauf zu zeigen.

Entworfen hat den Bau der Basler Roger Diener, Prinzipal des von seinem verstorbenen Vater gegründeten Büros Diener & Diener. Er ist ein Hauptvertreter jenes Schweizer – eigentlich eben Basler – Minimalismus, der weltweit zum eidgenössischen Markenzeichen avanciert ist. Das Architekturmuseum der Technischen Universität München zeigt jetzt in seinen Räumen innerhalb der Pinakothek der Moderne die Retrospektive „Von innen und außen bewegt“, die das Œuvre des Büros in eben jener protestantischen Schmucklosigkeit beleuchtet, die nicht nur im barocken Süden bis heute so sehr aneckt.

Beseelt von dem Willen, noch das letzte Staubkörnchen als Behinderung der ewigen Wahrheit fortzuwischen, präsentiert Roger Diener seine Arbeiten und die seines 33 Architekten umfassenden Teams als Exerzitien in Reduktion aufs Wesentliche. Einheitliche Holzmodelle und schwarz-weiß eingeschlagene Entwurfsmappen auf gnadenlos ausgeleuchteten Tischen führen eine Welt strenger Verstandestätigkeit vor, die allein dem Ziel dient, ein Bauwerk in seinen Ort und dessen spezifische Bedingungen einzufügen – nicht anzupassen, sondern es zum notwendigen Bestandteil zu machen wie eben die Berliner Botschaft. Dass ein Gebäude „mit dem Stadtraum verzahnt“ sei, wie mehr als einmal in den Modellerläuterungen zu lesen ist, klingt nach Plattitüde, deutet aber auf die bemerkenswerte Eigenschaft der Bauten hin, Ankerpunkte des im Stadt- und Siedlungsbrei herumirrenden Blicks zu bilden.

Roger Dieners Werk ist überschaubar. In 26 Jahren hat das Büro an 72 Wettbewerben teilgenommen – und dabei nicht weniger als 28 Mal gewonnen. „Immer wollen wir etwas bewegen, den Ort, die Stadt ausloten, schärfen oder verändern“, hat Roger Diener einmal erklärt. „Schärfen“ ist das treffendste der drei Verben. Das gilt für den Supermarkt-Klotz in Luzern ebenso wie das dunkel geklinkerte Häuserquartett in einem Basler Industriequartier. Und für den widerborstigen Geniestreich der Schweizerischen Botschaft ohnehin. Am unausgeführt gebliebenen Entwurf für die Synagoge in Aachen entzündet sich die Frage, ob Dieners eigentlicher Bereich – ganz im Sinne von Adolf Loos – nicht der des Denk- und Mahnmals sein müsste. Wie dieser verwirft er das Ornament. Seine Bauten schwelgen nicht in Formen und Materialien, sie lenken nicht ab, sondern halten an. Es ist, als ob sie dem Betrachter ein beständiges nosce te ipsum zuriefen, ein „Erkenne dich selbst“. Nicht jeder hält dem stand.

München, Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, bis 9. Januar. Katalog 14 €.

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