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Kultur: Erkundungen im Reich der Schatten

FOTOGRAFIE

Balázs Turay ist ein Meister der Entschleunigung. Wo andere schnell und perfekt digital ihre Impressionen von Budapest, Prag und Rom, den Hauptorten dieser fotografischen Reisebeschreibung, einfangen, besichtigt der junge Ungar erst einmal ausgiebig die Blumenbeete auf der Margareteninsel, das Säulenportal vom Museum für schöne Künste, die Mauern der Prager Burg, die Ruinen auf dem Augustus-Forum, dem Forum Romanum und das Schattenwerk der Säulen auf dem monumentalen Gelände der E.U.R. in Rom, bis er Stativ, mehrere Plattenkameras und eine Tasche voller selbst erstellter Glasnegative heranschleppt.

Die Apparate sind aus Holz, antik oder eigens für ihn gebaut. Das Wichtigste aber ist die Zeit, die Turay für das Sehen mitbringt, denn er ist an den bekannten Orten auf Entdeckungen aus, die freilich nicht dem gewöhnlichen Leben gelten, sondern der Spur des Lichts. Wie es in die poröse Struktur alter Mauern oder in die Bruchfläche eines Steinbruchs dringt, wie es in der Halle des Pester Westbahnhofs ein Gitterwerk aus Fensterstäben auf den Fußboden wirft oder eine Firmenwerbung aus vergangenen Zeiten an einer Hauswand im einstigen jüdischen Wohnbezirk der Donau-Metropole erhellt, kann ihn stundenlang beschäftigen.

Vom Betrachter seiner Fotografien verlangt Turay, dieses Wunderkind der neuen ungarischen Fotografie, nicht viel weniger als von sich selbst: genaues Hinsehen. Statt die Aufnahmen zu vergrößern, fertigt er lediglich Kontaktabzüge. Je nach verwendetem Apparat ergeben sich daraus Bildgrößen zwischen 6,5 x 9 bis 13 x 18 cm. Gern montiert er zwei, manchmal drei Aufnahmen nebeneinander, ohne sonderlich auf einen haargenauen Anschluss zu achten. Eine schwarze Trennlinie bleibt sichtbar, die Belichtungszeiten können unterschiedlich gewesen sein, und manchmal ergibt sich so eine Pseudo-Panoramareihe: Ein Ast aus dem einen Garten reicht in einen anderen hinüber.

Von den 57 Fotografien im oberen Foyer des Hauses Ungarn (bis 30. August, Mo – Fr 10-18 Uhr) kommt man so schnell nicht los, obwohl oder weil sie so klein sind. Turays Reisebilder, wie er sie selbst nennt, lassen an der Aufregung und vibrierenden Spannung des Künstlers teilhaben. Jede Situation wird zur Prüfung, die tausendfach abfotografierte Wirklichkeit neu zu entdecken. Darum handeln die Bilder weniger von ihren Gegenständen Architektur und Natur als vom Sehen. Turay schaut so lange hin, bis der Funken der Fantasie überspringt – schattenumrahmt. Der Mann hegt ein romantisches Gemüt: Erinnerungen nachsinnend, die in seine Kindheit und die der Fotografie (Eugène Atget) zurückreichen, erschafft er sich mitten im Leben ein eigenes Schattenreich.

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