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Kultur: Eruptionen eines Empörten

Die beste Ausstellung der Stadt: Thomas Hirschhorn in der Galerie Arndt & Partner

Seine Devise lautet: Mehr ist mehr – „Mehr Geld ist mehr Geld und mehr Arbeitslose sind mehr Arbeitslose.“ Mit vier Top-Galerien in Berlin, Paris, London und New York kann der 1957 in der Schweiz geborene und in Paris lebende Thomas Hirschhorn die Erträge des Erfolgs seines „Bataille-Monuments“ auf der letzten Documenta einfahren. Die Installationen „Neighbours“ und „Doppelgarage“ in der Galerie Arndt & Partner bekräftigen aber auch seine Anstrengungen, der rituellen Rebellion eine Chance im Kunstgebiet zu geben. Verdient spielt er in der ersten Liga und hat sich als Arrivierter seine vitalen Aggressionen bewahrt. Sperrig war er. Sperrig ist er geblieben.

Auch die jüngsten Werke sind Eruptionen eines Empörten, der nicht nur etwas zu zeigen, sondern auch zu sagen hat. Man könnte mittlerweile ein pralles Buch der Statements drucken, mit denen er seit zehn Jahren jede Arbeit handschriftlich begründet und kommentiert. Die Werkideen führen allesamt zu einem zeitbedingten Raum im Kampfeszustand wie es einst nur Joseph Beuys gelang. Beide verorten ihr Werk mitten in den Konflikten der Gesellschaft. Und wenn sie sich dabei hin und wieder verhoben, so blieb als Nachklang stets der unbedingte Wille spürbar, dass im Kunstbetrieb nicht unterhalten, sondern verstört werden muss.

So auch letzten Sonnabend, als die Ausstellung mit neuen monumentalen Installationen eröffnete. Nach dem Vorbild der tragischen Szene aus Vitruvs „Fünf Bücher zur Architektur“ strukturierte Hirschhorn eine Überfülle von Bildern, Zeichen und Symbolen zur erwachten Bereitschaft für Vernichtungsaktionen von Staaten und Killerkommandos, schob eine in Goldpapier verpackte Rakete in die zentrale Perspektive, bombardierte die Besucher durch Strategien der Überforderung mit tausend Texten und Details und setzte die Anwesenden dem Terror der Aktualität aus. In Kassel hatte er seine Bibliothek nach den Sparten Wort, Bild, Sport, Kunst und Sex geordnet. Diese Kombination gilt auch bei „Doppelgarage“ – „Sport“ ist lediglich durch „Krieg“ zu ersetzen.

Trotz der überbordenden Materialschlacht konnte während der Eröffnung niemand seinen Respekt gegenüber diesem Künstler verhehlen, der mit Thomas Bernhardt’schen Furor dem Stumpfsinn die Geisteskappe aufsetzen will. Selten sah man in einer Galerieausstellung die Besucher so aufmerksam von Detail zu Detail gehen. Manche nahmen ein Buch aus dem Regal und blätterten in den Werken von Hannah Arendt über George Bataille bis Slavoj Zizek.

Ultimativer Overkill

Seither ist die Schau Stadtgespräch. Manchem ist alles zu viel, zu direkt und aufs Ganze gesehen zu undeutlich selektiert; anderen erscheint die Gewalttour durch kriegerische Zustände formal angemessen. Als ginge man durch eine aufgeschlagene Zeitung im 3-D-Format ist „Doppelgarage“ der ultimative Overkill des Info-Zeitalters. Man sieht alles, weiß alles und nichts ist real. Doch da Hirschhorn seine Bühne mit Anspielungen an die Zellen der Topographie des Terrors arrangiert, geht man nicht nur in einem Galerieraum herum, sondern in einem riskanten Vergleich. Es wäre möglich, Hirschhorns neue Tat mit penibler politischer Korrektheit in der Luft zu zerfetzen (darf der das?!) oder sie in den Himmel zu loben (der darf alles!), gäbe es da nicht Kriterien jenseits der Geschmacksurteile.

Hirschhorns Arbeitshorizont liegt im Konflikt, nicht in der Versöhnung. Sein Werk fördert die Konzentration auf die Gegenwart angespannter Naherinnerung, nicht auf die Fluchtbewegungen ins entspannte Vergessen. Er konstruiert Ereignisräume. Insofern ist seine neue Arbeit im Kern gelungen, obwohl er sich zunehmend vom Weltgeschehen skandalisieren und von Werk zu Werk peitschen lässt. Das war nicht immer so. Eine seiner schönsten Arbeiten errichtete er 1997 anlässlich der ersten Berlin Biennale längs der Tucholskystraße auf dem Bürgersteig. Ein kleines ungeschütztes Memorial für den Künstler Otto Freundlich aus beschrifteten Pappdeckeln, gebastelten Kleinskulpturen und frischen Blumen. Nach einer Woche war es verweht, aber nicht vergessen, weil jeder, der es gesehen hatte, davon erzählte und das Werk lebendig hielt. Erinnerung war nicht nur frommer Wunsch, sondern die Existenzbedingung des Werks.

Den ersten Berliner Auftritt hatte Hirschhorn bereits 1995 im Künstlerhaus Bethanien mit einer Hommage an Robert Walser. Seither tauchen seine Installationen auf allen großen Ausstellungen auf. Und viele der Arbeiten bezieht er auf Geistesgrößen, in deren Dienst er sich stellt: von Hieronimus Bosch bis Eduard Manet, von Ingeborg Bachmann bis Gilles Deleuze. Und immer wieder Bataille wegen dessen Theorie maßlosen Verausgabung. Darin sieht Hirschhorn die Legitimation für seinen großen „potlach“: Wissen, Daten, Objekte zu sammeln, um sie für die Kunst und den Kommentar zu verschwenden. Nur das Übermaß, das viel zu viel und die unablässige Arbeitsverschwendung hält er für eine angemessene Reaktion gegenüber dem Lauf der Welt. Er protestiert, wie der griechische Feldherr bei Homer, der das Meer peitscht, weil es seine Schiffe verschlang, vergeblich. Daher die Angst vor der Leere, die ihn wie Becketts Namenloser zum unaufhörlichen Weitermachen drängt. Er benutzt ärmstes Material, das Konservatoren Alpträume beschert: Alu- und Plastikfolie, Klebeband, Zeitungsausrisse, Müllsäcke, Kopierpapier. Doch die Verwendung von Billigmaterialien erlaubt ihm, an jedem Ort jederzeit schnell zu reagieren und mit leichtem Gepäck zu reisen, um Verbindungen, Wissen und Freundschaften zu erzeugen (Preise von 3200 bis 240 000 Euro).

Galerie Arndt & Partner, Zimmerstraße 90-91; bis 8. Februar, Dienstag bis Sonnabend 11-18 Uhr .

Peter Herbstreuth

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