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Kultur: Erzähl mir was

Tim Burtons „Big Fish“ ist eine Huldigung an Väter, die sich für ihre Kinder als Helden neu erfinden

„Mein Vater ist mir peinlich“, so oder so ähnlich lauten Nachmittags-Talkshow-Themen, und Moderatoren nehmen sich gern der Pubertierenden an, die sich ihrer Erzieher schämen. Dabei geht es meist nur um Geschmacksdifferenzen, um eine abgewetzte Jeans, einen Bart oder ein Paar bunte Socken, die der Ältere trägt und der Jüngere nie tragen würde. Abgrenzungsprobleme, die jeder noch so unbedarfte Talkmaster mittels Westentaschenpsychologie in den Griff kriegt.

Was aber, wenn einem der Alte mit Mitte dreißig immer noch so peinlich ist, dass man Tausende von Kilometern zwischen sich und ihn legen muss, um ihm bloß nicht zu begegnen? Wenn man noch dazu das Gefühl hat, nicht aus seinem Schatten treten zu können? Wenn man den Alten bewundert, liebt und hasst zugleich, wenn man nicht weiß, ob man ihm trauen kann, aber nichts lieber möchte als das? Und wenn man eines Tages erfährt, dass er im Sterben liegt?

Der „Big Fish“ in Tim Burtons gleichnamigem Film: Er ist eben jener starke, stets präsente Vater des Ich-Erzählers. Edward Bloom heißt er und ist, trotz Krankheit, noch immer eine barocke Erscheinung. Albert Finney, einst Held des Free Cinema, des jungen britischen Kinos der Sechzigerjahre, spielt ihn als jovialen Patriarchen, der jede wache Minute nutzt, um zu fabulieren. Diese Geschichten sind es, die seinen Sohn Will noch immer so furchtbar nerven. Ihnen hat er als Kind gebannt gelauscht, hat sich immer wieder gewundert, dass sie sich manchmal ein wenig änderten. Sind sie nun Wahrheit oder Dichtung, diese Geschichten – hat der Vater all die Abenteuer erlebt, oder ist er womöglich bloß er Schwächling, der sich durch Aufschneidereien interessant zu machen sucht?

Edward Blooms Geschichten ranken sich um die eigene Kindheit, die Lehr- und Wanderjahre, die er als unbezahlter Arbeiter in einem Zirkus verbrachte – unter dem strengen Regiment eines Direktors (Danny DeVito), der mitunter zum Werwolf mutierte. Und all die biografischen Wege und Umwege nur, weil Edward Bloom um die Frau warb, die später Wills Mutter werden sollte. Auch vom Kriegseinsatz in Asien erzählt der Vater, vom Import eines siamesischen Zwillingspaares in die USA, von einer Traumstadt namens Spectre und einer Hexe, die jedem, der in ihr Auge blickt, die Art seines Todes voraussagt. Und weil Bloom seit vielen Jahrzehnten weiß, wie er sterben wird, hat er jetzt keine Angst davor.

Tim Burton hat mit großem technischen und personellen Aufwand ein Märchen oder eher einen Teller voller Märchenhäppchen inszeniert – und dass es auch ein paar mehr oder weniger sein könnten, die Dramaturgie zu wenig geschlossen wirkt, ist die Schwäche dieses insgesamt beachtlichen Films. Der hält, wie es schon die Brüder Grimm taten, eine kluge Lehre bereit: Es gibt nicht nur eine Wahrheit, und häufig sind die Fakten ohnehin nicht wichtig. Deswegen hat er den Traumort Spectre, der für Edward Bloom die erste fremde Stadt war, in die er seinen Fuß setzte, als kitschige Paradies-Variation dekorieren und beleuchten lassen: mildes Licht, heitere Farben, wunderbare Kuchen und Menschen, die barfüßig über immergrünes Gras hüpfen. Und erst die Geschichte von der Brautwerbung in den Fünfzigerjahren: Ewan McGregor spielt den jungen Edward, süßlich-angepasst, gestriegelt und gebügelt, als idealen Verlobten der Dekade, weswegen ihn die Angebetete, betört durch ein über Nacht erblühtes Meer von Osterglocken vor ihrem Haus, auch erhört. Sogar der Krieg scheint Edward Bloom nur als Kulisse für romantische Erinnerungen zu dienen. Dass all dies seinem Sohn, dem Journalisten und Rechercheur, verhasst ist, versteht sich. „Sei du selbst“, sagt er zu seinem sterbenden Vater. Der antwortet: „Das war ich immer.“

In zwölf Kinos; Originalversion im Cinestar Sony Center, OmU im Odeon

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