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Kultur: Es ging einmal ein Ruck durchs Land

In Torgau wird die Reformation als Teil des europäischen Wandels gezeigt

Torgau, nicht Wittenberg galt als politisches Zentrum der Reformation; hier und nicht in Dresden residierten Anfang des 16. Jahrhunderts die sächsischen Kurfürsten. Tempi passati. 1998 lockte die erste Sächsische Landesausstellung im katholischen und – das war die eigentliche Sensation – noch immer bespielten Nonnenkloster St. Marienstern 365000 Besucher an. Nun träumt die Landespolitik von 400000 plus x Besuchern für die zweite Sächsische Landesausstellung „Glaube & Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit“. Der Wittenberger Reformator Luther ist einer ihrer Hauptdarsteller. Ministerpräsident Georg Milbradt beschwor „sächsische Landesgeschichte als Tourismusrenner“.

Torgau, von Berlin aus in zweieinhalb Stunden erreichbar, ist selbst das wichtigste Ausstellungsstück. Jede Kunstgeschichte nennt den Großen Wendelstein im Hof des Schlosses Hartenfels, ab 1533 von Konrad Krebs errichtet. Die atemberaubend elegante Wendeltreppe aus Sandstein schraubt sich, scheinbar frei schwebend, 53 Stufen empor. Ein Ausrufezeichen nordalpiner Renaissancearchitektur, jahrzehntelang einsturzgefährdet und nun mit Hilfe der Ostdeutschen Sparkassenstiftung restauriert.

Torgau mag historisch für vieles stehen: für die erste Begegnung russischer und amerikanischer Truppen 1945; für eines der größten Militärgefängnisse des Deutschen Reiches; für Ausschreitungen rechtsradikaler Jugendlicher in den Neunzigerjahren. Doch seit zwei, drei Jahren putzt sie sich zur „Stadt der Renaissance“ heraus. Allein 13,4 Millionen Euro flossen in die noch immer nicht abgeschlossene Sanierung des Schlosses. 600 geschützte Baudenkmale, direkt am Elbstrom gelegen, umgeben von der Dübener Heide. Thomas Manns Kaisersaschern kann nicht viel anders ausgesehen haben.

Martin Luther, schon zu Lebzeiten als „Herkules Germanicus“ bewundert, ein Landesvater Friedrich der Weise, in dem wir nur noch Sir Peter Ustinov sehen, und dieses Ambiente – kann das gut gehen? Ausstellungs-Kommissar Harald Marx und sein Projektleiter Eckhard Kluth setzen nie auf grelle Inszenierung, sondern auf das Einzelobjekt. Über 600 Gemälde und Grafiken, Bücher, Flugblätter, Waffen und Kunstkammerstücke verzahnen Glaube und Macht.

Eine Überforderung, aber eine schöne. Genau genommen geht es um sächsische Landesgeschichte. 1485 schieden die Brüder Ernst und Albrecht ihren Besitz in ein ernestinisches Kursachsen um Torgau und Wittenberg und das albertinische Herzogtum mit Dresden und Meißen. 1555 – dies der andere Eckpunkt – ist das Jahr des Augsburger Religionsfriedens, mit der die Reformationsgeschichte ihren vorläufigen Abschluss fand.

Drei Ausstellungsorte, der Albrechtsbau des Schlosses, die gegenüberliegende Schlosskapelle und die Alte Kanzlei, erlauben parallele Erzählung, thematische Engführung - und beflügelt mehrdimensionale Rückschau. War uns jener Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige, der als einer der ersten Förderer frühmoderner Verwaltungsstrukturen vorgestellt wird, nicht eben noch als tragischer Kriegsherr oder als Beschützer der Künste erschienen? Die Konzentration auf die drei in Torgau residierenden Kurfürsten und ihre albertinischen Gegenspieler, allen voran auf Herzog Moritz von Sachsen, der mit seinem Sieg über Johann Friedrich im Schmalkaldischen Krieg 1547 die Kurwürde wieder nach Dresden holte, mag altmodisch erscheinen. Aber sie dient der Orientierung und folgt dem überlieferten Material.

Wer nur zum Schauen kommt, trifft auf Hochkarätiges: von Peter Breuers um 1500 geschnitztem „Christus im Elend“, der Frömmigkeit und Reichtum erzgebirgischer Bergbaustädte ahnbar macht, bis zu ganzen Wänden voller Cranachs, Vater und Sohn. Wer die Aura des historischen Augenblicks sucht, wird Luthers Brief an Erzbischof Albrecht von Brandenburg, mit dem er die Thesen an den Auftraggeber des Ablasshandels begleitet, oder die aus der Wiener Hofburg entliehene Urkunde des Augsburger Religionsfriedens schätzen.

Mit ihm fanden Altgläubige, Lutheraner und Reformierte konfessionelle wie reichsrechtliche Anerkennung. Der Protestant Moritz erlebte seinen Triumph nicht mehr. Neben dem Pergament steht die Rüstung, in der er 1553 im Kampf gegen seinen einstigen Verbündeten Kaiser Karl V. fiel. Einfacher ist das Bild der Reformationszeit mit dieser Ausstellung nicht geworden, aber – bei aller historical correctness – beinahe so packend wie in Hollywoods Luther-Film.

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