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Kultur: „Es ist vier vor zwölf“

Zur „Faust“-Premiere an dcr Staatsoper: Generalmusikdirektor Daniel Barenboim über Busoni, Berlin und den Bund

Herr Barenboim, Sie …

… ich habe etwas getan, was ich noch nie gemacht habe: Ich habe mir zu Busoni ein paar Gedanken aufgeschrieben.

Oh. In welcher Sprache?

In Englisch. Nein, dieses Zitat hier von Edgar Varèse, das ist Französisch. „Tu te prives d’une belle chose“, du beraubst dich einer schönen Sache. Das hat Busoni ihm vorgeworfen, als sie einmal über Tonalität sprachen und Varèse sagte, darüber sei er selbst längst hinaus – im Gegensatz zu Busoni.

Berlin ist auch gerade einmal wieder dabei, sich einer schönen, wichtigen Sache zu berauben, nämlich seiner drei Opernhäuser. Haben Sie Angst um Ihr Haus?

Angst ist nicht das richtige Wort. Aber ich mache mir Sorgen um die Rolle der Musik und der Kunst in der Gesellschaft. Was hat Deutschland der Welt gegeben? Beethoven und Goethe. Das führt heute, unter den herrschenden wirtschaftlichen Verhältnissen, zu einer schizophrenen Situation: Einerseits heißt es, die Kultur, die Hochkultur, die betrifft doch höchstens zwei Prozent der Bevölkerung, was also soll’s. Andererseits scheint es nichts zu geben, was die Öffentlichkeit seit Jahren so sehr beschäftigt und erregt wie die Berliner Opernsituation, von der Bundeskanzlerin über den Regierenden Bürgermeister bis hin zu den Journalisten.

Und daraus spricht nicht wenigstens ein bürgerliches Restgewissen?

Man hätte wohl jeden Anlass zu einem Gewissen, denn man ist mit Berlin nach der Wende nicht ehrlich umgegangen. Die Opernhäuser stellen ja kein administratives Problem dar, sondern ein finanzielles. Bringen wir die Mittel für drei Häuser auf oder nicht, das ist die Frage. Nicht die Stiftung, nicht Repertoiretheater, Stagione, Doubletten oder sonst etwas. Dieses ganze Gerede finde ich kontraproduktiv. Ich persönlich habe die Stiftung immer für falsch gehalten. So gesehen war Michael Schindhelm der richtige Mann für die falsche Lösung. Aber einen positiven Nebeneffekt hatte sie: Sie hat die Option, ein Haus zu schließen, schwieriger gemacht.

Sie nehmen Kulturbürgermeister Klaus Wowereit die Worte aus dem Mund.

Aber ich sage auch in aller Entschiedenheit und Vorsicht: Berlin muss mit dem Bund verhandeln. Und sollte sich dieser darauf verstehen, in welcher Konstellation auch immer, ein Opernhaus zu übernehmen, dann muss Berlin garantieren, dass es die beiden anderen Häuser auf Spitzenniveau hält und versorgt. Das ist eminent wichtig für das Ganze. Eine gute Lösung für ein Haus allein gibt es nicht. Im Übrigen bin ich dafür, dass man die Verhandlungen nicht weiter populistisch torpediert, indem man jeden möglichen oder unmöglichen Winkelzug in der Öffentlichkeit breittritt, seitens der Betroffenen wie seitens der Presse. Die Verantwortlichen müssen sich konzentrieren können, dafür brauchen sie Ruhe. Es ist vier vor zwölf.

Derweil könnte Ihnen Ihr eigenes Haus über dem Kopf zusammenbrechen. Was ist mit der Renovierung der Staatsoper?

Natürlich muss das Land Berlin sich daran beteiligen, das steht doch außer Frage! Aber auch das ist Teil des Gesamtpakets. Wir müssen endlich begreifen: Es ist unsere letzte Chance, die Karten müssen auf den Tisch. Wenn wir die Berliner Opernsituation jetzt nicht in den Griff bekommen, dann werden wir das nie schaffen. Und ich bin überzeugt davon, dass es machbar ist. Im Ausland werde ich oft gefragt, wie ist das möglich, ausgerechnet in der Kulturnation Deutschland, diese Gelder sind doch nur ein Tropfen im Ozean.

Führen Sie denn persönliche Gespräche mit Frau Merkel oder Herrn Neumann, so wie Sie 2001 mit Gerhard Schröders und Michael Naumanns Hilfe Bundesgelder für die Staatskapelle erwirkt haben?

Wenn man mich fragt, bin ich zu allen Gesprächen bereit. Ohne bedingungslose Offenheit aber geht es nicht. Mauern in den Köpfen können wir uns schon lange nicht mehr leisten. Insofern hat die Berliner Situation etwas von einem politischen Konflikt. Schauen Sie in den Nahen Osten: Für Israel wird langfristig nur das gut sein, was auch für die Palästinenser gut ist. Und umgekehrt. Das ist die Formel. Sie hat mit Zauberei nicht viel zu tun. Wir müssen eine Lösung finden, die alle drei Opernhäuser stabilisiert und befriedet.

Für Ihr politisches Engagement haben Sie in diesem Jahr so viele Preise bekommen wie nie zuvor, vom Siemens-Musikpreis bis zum Toleranzpreis des Jüdischen Museums in Berlin. Zählen Sie Ihre Auszeichnungen noch?

Nein. Und ich wehre mich auch gegen den Begriff des „politischen Engagements“. Alles, was ich tue, hat primär mit Musik und Menschlichkeit zu tun. Meine Arbeit mit dem West-Eastern-Divan Orchestra, die Musikkindergärten in Berlin, Ramallah und Sevilla, meine Vorlesungen. Aber natürlich freue ich mich über diese Form der Anerkennung. Sie gibt mir Gelegenheit, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Musik für unsere Gesellschaft eine existenzielle Bedeutung hat. Musik ist nicht elitär. Wir lernen nicht nur aus dem Leben für die Musik, sondern auch und gerade aus der Musik fürs Leben.

Das gilt in sehr besonderer Weise auch für Ihre Beziehung zu Ferruccio Busoni.

Ich bin von der Person Busonis seit meiner Kindheit fasziniert. Ich weiß nicht, ob der Name Leo Kestenberg Ihnen etwas sagt …

… der jüdische Pianist und Busoni-Schüler, der auch Referent für Musik im preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung war …

Kestenberg war unser Nachbar in Tel Aviv, und ich habe ihn nach der Schule oft besucht. Er hat mir viel über Busoni erzählt. Das war auch, wenn Sie so wollen, meine erste Begegnung mit dem Berlin der zwanziger Jahre. Kestenberg ist es gewesen, der sagte, da war ich vielleicht 13 oder 14, lies Busonis „Ästhetik der Tonkunst“. Wenn ich heute darin blättere, dann steht da ziemlich genau drin, warum der „Doktor Faust“ kein bahnbrechender Erfolg wurde.

Busoni konnte das Stück nicht vollenden, der Dirigent Fritz Busch hat das Fragment dann 1925 in Dresden uraufgeführt …

… dicht gefolgt von der Berliner Staatsoper unter Leo Blech übrigens, 1927! Busoni saß ästhetisch zwischen allen Stühlen: Für die Traditionalisten bedeuteten seine Erkenntnisse eine Provokation, für sie galt er als „Mann der Zukunft“. Für die Progressiven wie die Vertreter der Zweiten Wiener Schule war er ein Klassizist. Und Busonis Problem als Komponist ist, dass er viel zu viele Ideen auf einmal hat – die er dann nicht entwickeln kann. Er ist ja, das darf man nicht vergessen, ein bekennender Polyphoniker. Deshalb auch diese starke Auseinandersetzung mit Bach, seine vielen Bearbeitungen.

Halten Sie den „Doktor Faust“ für ein gelungenes Stück?

Durchaus! Aber leicht ist es nicht. Weder für das Publikum, das diese Musik unter Umständen zum ersten Mal hört, noch für uns Musiker. Die Arbeit mit der Staatskapelle beispielsweise an der Durchsichtigkeit des Klangs war phänomenal – und phänomenal schwierig. Wenn man von dieser Partitur nur Oberstimme und Begleitung hört, dann wird sie furchtbar schnell furchtbar langweilig. Darüber hinaus hält dieser „Faust“ nicht besonders viel von Erotik, dieses Thema erschien Busoni der Kunst ganz einfach nicht würdig.

Eine deutsche Oper?

Busoni hat sich mit der Figur des Faust identifiziert, diese Ambivalenz, dieses Gespaltensein war ihm wohl vertraut. Als Pianist etwa hat er nahezu alles non legato gespielt, der Deutlichkeit halber – aber immer mit Pedal! Ich persönlich musste in der Arbeit oft an Hans Sachs aus Wagners „Meistersingern“ denken. Da gibt es viele Parallelen. Ansonsten war Busoni sicher mehr von Liszt beeinflusst, Mozart, Verdi – die Leichtigkeit des „Falstaff“ hatte es ihm angetan. Und was seine Gegenwart betrifft, so hört man im sinfonischen Intermezzo auch Alban Berg, den frühen Hindemith, Dallapiccola, Britten. Busoni ist eine hochinteressante, klassizistische Mischung. „Piano tempestuoso“ war seine Lieblingstempoanweisung: leise und aufgewühlt.

Das klingt jetzt aber gar nicht deutsch.

Wie viele Künstler aus dem lateinisch-romanischen Kulturkreis waren am Ende deutscher als die Deutschen: Pablo Casals, Carlo Maria Giulini, Maurizio Pollini, Claudio Arrau. Ihnen sind die sprichwörtlich breiten Tempi wichtiger als jede Leichtigkeit oder Transparenz. Busoni – das habe ich in Stuckenschmitts fabelhafter Biografie gelesen – besaß eine „Faust“-Ausgabe mit Zeichnungen von Delacroix. Zwischen diesen Polen war er zu Hause. Ein großer Europäer.

Deutscher zu sein als die Deutschen: Gilt das auch für den gebürtigen Argentinier Daniel Barenboim?

Das dürfen Sie beurteilen!

Lorin Maazel, Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker, hat Sie charmanterweise als seinen Nachfolger ab 2009 vorgeschlagen. Sind Sie auf dem Sprung?

Nein. Es freut mich, dass ein Kollege so gut über mich denkt. Aber die Staatskapelle hat mich auf Lebenszeit gewählt – und ich verhandle mit dem Orchestervorstand gerade über eine Verlängerung.

Das Gespräch führte Christine Lemke- Matwey.

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