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Kultur: Es war die Nachtigall

Die Philharmoniker spielen in der Waldbühne

So etwas nennt man wohl Happy End: An dem Tag, als die Berliner Philharmoniker ihr ins Wasser gefallenes Waldbühnenkonzert vom 2. Juli nachholen wollen, wird es gegen Mittag stockdunkel, Gewitter jagen sich im Halbstundentakt, Donner sorgt für infernalische Tonmalerei. Dann aber, am späten Nachmittag, schließen sich die Schleusen doch noch, und es wird ein, wenn auch nicht lauer, so doch zumindest trockener Abend.

Sichtlich froh darüber, ihre Fans kein zweites Mal nach Hause schicken zu müssen, kommen die Musiker überpünktlich auf die Bühne, machen so oft La Ola, bis die Welle auch durchs gigantische Halbrund der 20 000 schwappt. Jetzt könnte es losgehen, doch der RBB überträgt live – also heißt es Warten, enervierend lange, bis sich Tagesschau, Wetterbericht und Programmhinweise endlich versendet haben. Dankbarer Jubel begrüßt Maestro Riccardo Chailly, der diesen Ersatztermin noch irgendwie in seinen übervollen Kalender gequetscht hat.

Und dann beginnen die urlaubsfrischen Philharmoniker zu zaubern, entfalten akustisch all das, was der Abendhimmel an Farbspielen schuldig bleibt. Dmitri Schostakowitschs zweite Jazzsuite ist allerdings auch ein perfektes Freiluftstück: Unterhaltung auf intelligenteste Art. Der Titel führt in die Irre, hat sich der Komponist hier doch keineswegs von offbeat und blue notes inspirieren lassen, sondern von Modetänzen diverser Epochen. Parodierend legt er Walzer, Polka und Square Dance üppigste sinfonische Klanggewänder um – und übertrifft dabei spielend alle Vorbilder von Tschaikowsky bis Paul Lincke. Chailly und die Philharmoniker machen das virtuos. Dagegen muss jedes Folgestück abfallen. Was Nino Rota 1966 für den Fellini-Film „La Strada“ geschrieben hat, bleibt solide Gebrauchsmusik, selbst wenn das beste Orchester der Welt sich ihrer annimmt.

Erstaunlich, wie gut die Lautsprecheranlage der Waldbühne nach der Pause Ottorino Respighis Naturstimmungen einfängt. Als bei den „Fontane di Roma“, dem Tongedicht über die Brunnen der ewigen Stadt, die letzten sanften Klangwogen pianissimo im Orchester verebben, kräht – wie passend bei den bambinibegeisterten Italienern! – ein Kleinkind dazwischen. Bei den „Pini di Roma“ dann rührt die Gänsehaut im Gianicolo-Satz nicht von der herankriechenden Nachtkälte her, sondern vom unendlich zartfühlenden Klarinettensolo, dem die Streicher so unübertroffen feinherb antworten. Als kurz darauf Nachtigallengesang vom Tonband eingespielt wird, ganz wie der Komponist es wollte, fällt es erst auf: Rund um die Waldbühne ist an diesem Dienstag kein einziger Vogellaut laut zu vernehmen. Alles, was Flügel hat, ist wohl schon weitergezogen, gen Süden, dorthin, wo es noch Sommer gibt. Frederik Hanssen

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