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Verpuppungskünstlerin. Esperanza Spalding in der Rolle der Emily.

© promo

Esperanza Spalding in Berlin: Sei du selbst

Jenseits von Rock und Jazz: Die Bassistin Esperanza Spalding präsentiert sich mit ihrer Musiktheatershow Emily’s D+Evolution in Berlin.

Von Gregor Dotzauer

Wie der Blitz fuhr sie vor einem Jahrzehnt mit ihrem unschuldigen Lächeln in die Jazzszene hinein. Die Bassistin und Sängerin Esperanza Spalding wurde mit 20 Jahren die jüngste Dozentin, die je am Bostoner Berklee College of Music gelehrt hatte. Sie spielte zu Ehren von Stevie Wonder im Weißen Haus und für Barack Obama zur Verleihung des Friedensnobelpreises. Für Legenden wie Wayne Shorter, Herbie Hancock oder Jack DeJohnette wurde sie zur gefragten Partnerin. Mit zwei Grammys war sie zuletzt der größte weibliche Star des zeitgenössischen Jazz, getragen von einer überwältigenden Musikalität, die sich zwischen Soul, Funk und Fusion so wohl fühlte wie zwischen Kammerstreichern, Latinrhythmen und Bebop-Scatting. Obendrein strahlte sie etwas warmherzig Positives aus, das noch die letzten Reihen der Hallen erfasste, die sie mittlerweile füllte. Und wie sie sang! Über den Linien ihrer akustischen und elektrischen Bässe spannte sie kristallklare Gegenstimmen auf, die von einer unverwechselbaren Freiheit des musikalischen Denkens zeugen. Das war der Blitz.

Der heranrollende Donner brauchte bis heute, um sich Gehör zu verschaffen. Denn Emily’s D+Evolution, die durchchoreografierte musiktheatralische Inszenierung, mit der die 31-Jährige seit einem halben Jahr durch die Lande zieht, ist um einige Grade kälter und einige Zacken aggressiver als die Musik zuvor. Spoken-Word-Poesie und wunderliche Verkleidungen sprengen den Konzertrahmen. Der Riesen-Afro ist langen Braids gewichen, als wollte sie auch ein sichtbares Zeichen setzen, nicht einfach everybody’s favorite girl zu sein.

Paradox ist höchstens, dass sie sich in ihrem 75-minütigen Songzyklus, der nun im UdK-Saal an der Hardenbergstraße gastierte, mit dem Entlein auseinandersetzt, das sie war, bevor sie zum Schwan werden durfte – und sich nun in eine Art Adler verwandelt hat. Die Rolle, die Esperanza Spalding dabei übernimmt, ist ihr verlorenes Ich: das schulmüde Mädchen, dem niemand Großes zutrauen wollte, und Emily ist Spaldings zweiter Vorname, mit dem sie von Familie und Freunden in ihrer Heimatstadt Portland, Oregon, noch immer gerufen wird.

Ein Vorbild ist das Powertrio Cream

Trockeneisnebel in einer düsteren Lichtkathedrale, die bald von Filmprojektionen aufgehellt wird. Verzerrt heranschwebende Gitarrensounds, in die eine Bassdrum einen Viererrhythmus stampft, bevor Emily alias Esperanza mit roter Riesenbrille am Elektrobass mit Schlagzeuger Justin Tyson und Gitarrist Matt Stevens in ein zerklüftetes Rockriff einstimmt: Damit beginnt das Eröffnungsstück „Good Lava“ und umreißt den musikalischen Raum, den sie mit diesem Projekt betreten wollte. In der Besetzung eines klassischen Rocktrios ist es inspiriert von den Cream mit Ginger Baker, Eric Clapton und dem letztes Jahr verstorbenen Jack Bruce, nur dass dieses Gipfeltreffen dreier überragender Instrumentalisten allein vom Vokabular her unendlich reicher ist. Dazu kommen in Gestalt von Emily Elbert und Corey King zwei Background-Sänger, die passagenweise eigene Aufgaben übernehmen: King spielt Synthie-Bass, wenn Spalding sich ans Klavier begibt, und Elbert die Gitarre.

Und doch ist dieses Rockelement nur ein Bestandteil jenes Amalgams, das Emily's D+Evolution ausmacht. Singend fliegt Spalding mit einer stärker denn je an Joni Mitchell gemahnenden Phrasierungsfreiheit über die Fundamente, die sie mit ihrem bundierten Viersaiter und dem Fretless-Fünfsaiter einzieht. Das wummert mal so schön wie bei Me’shell Ndgeocello und funkt so heftig wie bei Prince, es nimmt sich das schmerzhaft Expressive von Jimi Hendrix und verschmilzt es zu einem eigenen Idiom.

Die Botschaft, um die es geht, klingt, auf eine Formel gebracht, ebenso einfältig wie schwer zu beherzigen: „Be yourself!“ Auf die eine oder andere Weise sagt sich das die Schulabgängerin, die mit dem Zeugnis in der Hand fragt: „Doesn’t it feel good to be educated?“ Es sagt sich die mit einem Fahrstuhlführerhütchen versehene Frau, die über „going up“ und „going down“ sinniert. Es sagt sich die Predigerin, die ihr Publikum ermahnt: „Funk the fear! Live your life!“ Und es sagt sich die Emily, die im großen Finale zu „Unconditional Love“ aufruft.

Die Musik ist demgegenüber nicht halb so schlicht. In Justin Tysons Schlagzeugspiel trifft sich der fette Groove von Dennis Chambers mit dem Hightechglanz von Dave Weckl. Und Matt Stevens, Spaldings Berklee-Kommilitone, gehört zu einer Generation, die angetreten ist, schon wieder die Könige heutige Gitarrenkönige wie Kurt Rosenwinkel zu beerben. Mit seinem durchweg dreckigen, delayreichen Ton erreicht er eine abenteuerliche Flüssigkeit jenseits von Rock und Jazz.

Der Funke aber, der zu dem einstigen Blitz Esperanza Spalding gehörte, will an diesem Abend nicht recht überspringen. Es liegt nicht an der Musik selbst, es liegt nicht am hohen energetischen Ausstoß, der sich an den Wänden der UdK nur unglücklich bricht. Es liegt daran, dass Emily zu ihrem Publikum nicht einmal wirklich Kontakt aufnimmt. Friss oder stirb, lautet die Devise zu sein. Und nach einer kurzen Zugabe, einem Danny-Elfman-Song aus Tim Burtons „Charlie und die Schokoladenfabrik“, geht das Licht an, und ein trotzig klatschendes Publikum fragt sich: Emily ist gegangen, wo bleibt Esperanza?

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