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Kultur: Etwas Besseres als den Tod gibt es nirgendwo

Paul Schrader erzählt in „Auto Focus“ die Geschichte vom Aufstieg und Untergang des TV-Stars Bob Crane

Gerade eben noch, seien wir ehrlich, war diese Geschichte, die 1965 anhebt und 1978 endet, ziemlich weit weg. Was interessierte uns der rasante Auf- und langsame Abstieg des Amerikaners Bob Crane, was interessierten uns Anfänge eines kleinen, ehrgeizigen, eitlen und kindischen Radio-Frühstücksmoderators, was seine Ruhmsucht und, nunja, auch seine Sexsucht, die ihm wie eine Droge war, und konnte uns auch sein unaufhaltsames Verschwinden in einer irgendwie prämortalen Bodenlosigkeit nicht total schnuppe sein? Plötzlich aber, die deutschlandweite Debatte über einen eitlen, ruhm- und genusssüchtigen Fernsehmoderator und seine Sex-Eskapaden macht’s möglich, ist dieser Bob Crane topaktuell. Ob sein rauschend berauschtes Leben uns irgendwas über unser eigenes, nunja, zumindest rauschsüchtiges Leben sagen kann, vielleicht gar inklusive Moral?

Nein, für Moral – und sei es die Moral von der Geschicht’ – ist einer wie Paul Schrader nicht zuständig. Paul Schrader dreht Filme über komische, selbstzerstörerische Männer, über einsame Kerle, die sich im besten Fall selbst rätselhaft sind oder die wie dumme große Jungs durchs Leben rasen, aber Summen fürs gefühlshaushälterische Rechnungsbuch zieht er daraus nicht. Fehlsummen vielleicht. Am liebsten wohl schiebt er eine Geschichte dem großen Lebensbilanzfälschungsskandal entgegen, und dann lässt er sie einfach da stehen. So wie Bob Cranes Geschichte, die im Morgengrauen des 29. Juni 1978 endete, in einem schäbigen Hotelzimmer in Scottsdale, Arizona. Bob Crane hatte sich, als nichts mehr ging, kein Dinner-Theater mehr und keine Fernsehkochshow, längst vom Leben verabschiedet, in einer verzweifelt banalen Abschiedstour – erst bei seinem Agenten, seinem erwachsenen Sohn, dann bei seiner ersten und seiner zweiten Frau und schließlich seinem Freund John Carpenter. Es ging nicht mehr voran. Es ging nicht mehr zurück. Und dann gibt es, fatales Glück, plötzlich jemanden, dem man die Tür arglos aufmacht und der den letzten Job erledigt.

Im realen Fall Bob Crane ist dieses Ende nie aufgeklärt worden. Paul Schraders Film setzt einen munteren Crane-Kommentar aus dem ewigen Off obendrauf: „Men just wanna have fun!“ So war sein Leben, warum nicht auch sein Tod? So machte er den Radio-DJ im Los Angeles der frühen Sechziger, so kam er zum Fernsehen und zur Hauptrolle der legendären „Hogan’s Heroes“ („Ein Käfig voller Helden“), die sechs Jahre in sechs Staffeln lief, so kam er zur Freundschaft mit dem Sony-Techniker John Carpenter, der ihn in die Geheimnisse einer brandneuen Technik namens Video einweihte. Und weil Crane, ein Familiensaubermann par excellence, schon ebenso heftig wie geheim Pornos sammelte und als frischer TV-Star Zugang zu jeder Menge Frischfleisch hatte und nun auch noch Carpenter das perfekte Equipment beisteuerte: Was sprach dagegen, die Hotelzimmer-Sexorgien mit den Groupies auf Video aufzunehmen?

Nein, nicht zu Erpressungszwecken. Die Geschichte funktioniert auch so – als Obsession eines einsamen Mannes, der vor lauter kleinem Ehrgeiz und großer Beliebtheit (oder war es umgekehrt?) die Orientierung verliert. Als Obsession eines Körper- und Orgasmensammlers, als Onanist vor eigenem Bewegungungsmaterial. Solange die Droge Erfolg noch vorrätig ist, geht alles. Fehlt auch sie, geht plötzlich gar nichts mehr. Die langsame Verwandlung Bob Cranes zum menschlichen Wrack: Paul Schrader fasst das in große, unbarmherzige Bilder. Und irgendwann, mittendrin, lassen sie einen auch selber kalt: Weil Schrader mit seinem Helden so unbarmherzig umgeht wie der mit seinem Leben selbst?

Greg Kinnear ist Bob Crane, ein Allerweltsjungsgesicht wie Jim Carrey als Truman Burbank in der „Truman Show“ oder als der unvergessliche Andy Kaufman in „Man in the Moon“ – und wir haben lange keinerlei Mitleid mit ihm und nachher auch wieder nicht, nur einmal, als ihm, zwischendrin auf dem Weg von menschlicher Wand zu menschlicher Wand, sein Ende zu dämmern beginnt. Und Willem Dafoe ist sein Freund John Carpenter, sein Mentor erst, dann sein Schmarotzer, sein Hund, sein Rivale, sein Frauenmitbeschläfer und verborgen bisexueller Partner in Sexangelegenheiten. Ja, der große Willem Dafoe: In diesem Film ist er der letzte, der wirklich allerletzte Kumpan.

„Auto Focus“ – der Film spielt vor der Erfindung der Autofocus-Technik und meint die ewige Selbstbespiegelung, die das Wort ebenso enthält – ist in erster Linie die Geschichte dieser seltsamstmöglichen Freundschaft. Dann eine der Sucht. Dann eine des Ruhms. Heute interessiert uns, aber das ist ein konjunktureller Zufall, an ihr zuerst der Ruhm, dann die Sucht, zuletzt – vielleicht – die Freundschaft. Vielleicht weil es Freundschaft nicht wirklich gibt, wo Ruhm ist und Sucht oder auch nur eines von beiden? Paul Schraders bestätigt nicht, dementiert nicht; bietet nur an zu sehen.

Central, CinemaxX Potsdamer Platz, CineStar Hellersdorf, Cubix, Kulturbrauerei, Rollberg, Zoo Palast, Kosmos, Ufa-Palast Treptower Park. OV im CineStar Sony Center

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