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Schippers "Victoria" war in drei Kategorien nominiert: Bester Film, Beste Hauptdarstellerin und Beste Regie. Ein Preis für den Lola-Sieger 2015 wäre auch ein Statement fürs junge uropäische Kino gewesen.

© EFA

Update

Europäischer Filmpreis 2015 in Berlin: Vielleicht gewinnt ja Schippers "Victoria"

An diesem Samstagabend werden in Berlin die 28. Europäischen Filmpreise verliehen. Ein Blick auf die angekündigten Stars, die Favoriten und das europäische Kino im Krisenjahr 2015.

Heute Abend ist es soweit: Dann werden im Haus der Berliner Festspiele die 28. Europäischen Filmpreise verliehen, sechs Filme gehen ins Rennen um den Hauptpreis in der Kategorie "Bestes Drama", darunter auch der deutsche Filmemacher Sebastian Schipper mit seinem One-Take-Thriller „Victoria“. Er ist mit drei Nominierungen der European Film Academy dabei, auch in der Regie-Disziplin. Hauptdarstellerin Laia Costa konkurriert unter anderem mit Charlotte Rampling um die Trophäe als beste beste Schauspielerin. Und noch eine Nominierung haben die Deutschen ergattert: Christian Friedel, Titeldarsteller in Oliver Hirschbiegels „Elser - Er hätte die Welt verändert“, wetteifert bei den Darstellern mit.

Zu der von TV-Comedian Thomas Hermanns moderierten Gala wird Burghart Klaußner einen Paris-Chanson singen, aus Solidarität mit den Opfern der Anschläge vom 13. Novebmer, angekündigt sind Stars und Filmschaffende wie EFA-Präsident Wim Wenders, die Ehrenpreisträger Charlotte Rampling, Christoph Waltz und Michael Caine, die Schauspieler Daniel Brühl, Ulrich Matthes, Alexander Skarsgard und Desirée Nosbusch sowie die Regisseure Isabel Coixet, Stephen Daldry, Francois Ozon, Detlev Buck und Volker Schlöndorff.

Einen klaren Favoriten gibt es nicht unter den nominierten Filmen. Auffallend allerdings, dass ganz Europa ein Wellness-Hotel zu sein scheint: Die noch am höchsten gehandelten Kandidaten für Euro-Gala spielen nämlich beide dort, Paolo Sorrentinos „Ewige Jugend“ mit Michael Caine und Harvey Keitel ebenso wie der herrlich böse griechische Science-Fiction-Film „The Lobster“ von Yorgos Lanthimos. Der Regisseur gehört zu jener aufregenden jüngeren Autorenfilmer-Generation, die mit lakonischen Werken auf die Griechenland-Krise reagieren. In seinem Hotel checken nur Singles ein. Denn die monogame Zweierbeziehung ist Staatsdoktrin, weshalb Alleinstehende 45 Tage Zeit haben, im Hotel einen seelenverwandten Partner zu finden. Andernfalls werden sie in ein Tier ihrer Wahl verwandelt. Hund, Katze, Hummer, you name it.

Ganz Europa ein Abgesang. In Sorrentinos Hotel lecken Künstler im Ruhestand ihre Wunden. Noch so eine Groteske über den morbiden alten Kontinent, wenn auch nicht frei von Selbstmitleid, trotz Ironie und visueller Raffinesse. Dekadenz kommt offenbar gut an bei den wählenden Filmschaffenden der European Film Academy mit ihren gut 3000 Mitgliedern (wie viele von der EFA tatsächlich ihre Kreuzchen machen, wird nicht erfasst): Schon Sorrentinos High-Society-Farce „La Grande Bellezza“ hatte 2013 gewonnen.

Aber wer weiß. Weil man sich soo schnell vielleicht doch nicht wieder für denselben Italiener entscheiden möchte und „The Lobster“ zwar in Cannes reüssierte, aber etwa in Deutschland noch nicht mal einen Starttermin hat, könnte auch „Victoria“ gewinnen. Statt Retro-Ästhetik und freudloser Zukunft die ungeschnittene Gegenwart, 140 Minuten in einem Take: Sebastian Schippers rasanter Berlin-Trip räumte im Sommer ja schon bei den Deutschen Filmpreisen ab.

Die anderen drei in der Königskategorie „Bestes Drama“ nominierten Produktionen – Roy Anderssons philosophische Farce, der letztjährige Venedig-Sieger „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ aus Schweden, das türkische Mädchen-Melodram „Mustang“ und der isländische Schafzüchterfilm „Hrútar“ – dürften dagegen weniger Chancen haben.

Bei der Verleihung im Haus der Berliner Festspiele wird sich Europas Filmlandschaft wieder im gleichen Maß als disparat erweisen, in dem die Paten und Sieger auf der Bühne tapfer die Euro-Filmfamilie beschwören werden - zumal in Zeiten, in denen Europa politisch von einer Krise zur nächsten schlingert und auseinander zu fallen droht. Umso wichtiger erscheint da der kulturelle Zusammenhalt. Auffallend ist jedenfalls, dass "Ewige Jugend" aus Italien, "The Lobster" aus Griechenland und auch "Victoria" aus Deutschland auf Englisch gedreht sind, mit Blick auf ein geeintes, internationales Publikum. Dennoch kennt das europäische Kinopublikum die Bilder der Nachbarn kaum, mal abgesehen von Komödien à la française. Auch verschafft der Filmpreis ihnen kaum mehr Popularität. Inzwischen ist das Fernsehen als Aufmerksamkeits-Verstärker nicht einmal mehr bereit, die Gala wenigstens zeitversetzt zu übertragen (im Netz ist sie als Livestream auf www.europeanfilmawards.eu zu sehen).

Ehrenpreise für Charlotte Rampling, Christoph Waltz und Michael Caine

Wenigstens der Glamour der Stars schafft es über die Grenzen hinweg. Den drei Ehrenpreisträgern – Michael Caine mit der Auszeichnung des EFA-Präsidenten, dem Bond-Bösewicht Christoph Waltz („Europäischer Beitrag zum Weltkino“) und der überragenden Charlotte Rampling fürs Lebenswerk – sind die Ovationen heute Abend gewiss. Schade nur, dass Rampling zwar auch als beste Darstellerin gewinnen könnte, ihr bewegendes Ehedrama „45 Years“ es jedoch nicht in die Liste der nominierten Filme schaffte. Schauspielerkino, zutiefst human, mal ganz ohne Ironie, das fehlt bei der diesjährigen Auswahl.

Wird als einer der Favoriten gehandelt: "Ewige Jugend" mit Harvey Keitel (r.) und Michael Caine, der auch einen der Ehrenpreise erhält.
Wird als einer der Favoriten gehandelt: "Ewige Jugend" mit Harvey Keitel (r.) und Michael Caine, der auch einen der Ehrenpreise erhält.

© dpa

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