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Blick ins Foyer, wie es einmal aussehen wird. Ein Rendering.

© Facts and Fiction

Das neue „Haus der Einwanderungsgesellschaft“: Europas größtes Migrationsmuseum entsteht in Köln

Die Botschaft soll lauten: Migration gab es schon immer. Deren Geschichte wird auf 10.000 Quadratmetern in einer Industriehalle erzählt.

Alles begann mit der Sammlung von Zeugnissen türkischer Arbeitsmigrant:innen in einer Essener Garage. Das war vor 30 Jahren, als Migrant:innen, die aufgrund der politischen Lage in der Türkei Ende der 1970er ihre Heimat gen Deutschland hatten, eine Vision zu verfolgen begannen: das Erbe der türkischen Eingewanderten zu bewahren.

Sie gründeten hierfür den gemeinnützigen Verein DOMiT, das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration aus der Türkei. Eine Pionierleistung, laut Historikerin Mathilde Jamin, deren Schwerpunkt Migrationsgeschichte ist.

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Gleichzeitig legten die Initiatorinnen den Grundstein für ein Projekt, das in Deutschland einzigartig ist. Seit 2007, nach der Fusion mit dem „Migrationsmuseum in Deutschland“, heißt der Verein DOMiD und umfasst neben der Migration aus der Türkei allgemein die Migration in Deutschland. Dessen Botschaft lautet: dass Migration der Normalfall ist, etwas, das es schon immer gab.

Das Museum will ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Rassismus setzen

Das in Köln ansässige Zentrum steht für ein „multiperspektivisches Geschichtsbild“ und „inklusive Erinnerungspolitik“, wie es auf seiner Website heißt. Indem es Vorurteile entkräftet und Mythen abbaut, kurzum: Migration entdramatisiert, trägt es zur politischen Bildung bei und setzt ein Zeichen gegen Rassismus und Ausgrenzung.

Dafür erhält es bald seinen gebührenden Platz: im Haus der Einwanderungsgesellschaft (HdE), das 2027 in einer ehemaligen Industriehalle in Köln-Kalk eröffnen soll, der Halle 70. Die 10 000 Quadratmeter große Fläche bietet dann Raum für eine Ausstellung, das Archiv und Tagungen. Das HdE wird zugleich Kulturzentrum sein mit Konzerten, Theater, Lesungen und Workshops.

Multiperspektivität - das ist den Machern wichtig

Der Begriff Einwanderungsgesellschaft ist für die Benennung des Museums so wichtig, weil es sich dabei um ein gesamtgesellschaftliches Konzept handelt. Im Zentrum stehen die Migrant:innen – doch nicht als Außenstehende, sondern aktiver Teil der Gesellschaft. „Wir sind nicht die Zulieferer für irgendwelche Projekte einer deutschen Einrichtung,“ so DOMiD-Mitbegründer Ahmed Sezer. „Wir kooperieren mit allen, aber wir möchten, dass diese Geschichte aus beiden Perspektiven erzählt wird.“

Man wolle, führt Aytac Eryilmaz aus, ebenfalls Mitbegründer, „gemeinsam mit anderen die Geschichte dieses Landes“ erzählen.

Die Bundeskulturstiftung lobt die „Kultureinrichtung neuen Typs“

Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Bundeskulturstiftung des Bundes, nennt das HdE eine „Kultureinrichtung neuen Typs“. Und sie verweist darauf, dass es in Deutschland bislang kaum Einrichtungen gibt, die Migrant:innen gleichwertig zu Wort kommen zu lassen. Und das, obwohl laut der Bundeszentrale für politische Bildung gut jede vierte Person in Deutschland migrantische Wurzeln hat. DOMiD-Geschäftsführer Robert Fuchs will das HdE deshalb zum Symbol der Einwanderungsgesellschaft machen. Es soll „kollektive Erinnerungskultur“ praktizieren.

Fotos, Dokumente und Tonbandaufnahmen sind die zentralen Bausteine

Zentraler Baustein ist die Sammlung migrantischer Alltagszeugnisse: Fotos, Dokumente und Tonbandaufnahmen. Wissenschaftlich aufgearbeitet und für Ausstellungen nutzbar gemacht, geben sie Einblick in die Vielseitigkeit migrantischer Lebenswelten. Oft handelt es sich um liebgewordene Dinge, von denen sich die Menschen nur schwer trennen konnten.

Sie bieten die Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen. Ein blaues, mit Blumen verziertes Trinkgefäß zeugt etwa von den Strapazen einer 50-stündigen Reise türkischer Arbeiter:innen nach Deutschland in den 1960ern, in Nahverkehrszügen ohne Kopfstütze. Die historischen Originalobjekte vermögen Erinnerungsarbeit anzustoßen.

Nach Plan eröffnet das Museum in fünf Jahren

Wenn das Haus der Einwanderungsgesellschaft in fünf Jahren eröffnet, hat es selbst einen langen Weg hinter sich. 2011 kam das DOMiD zwar in der Ausstellung „Geteilte Heimat. 50 Jahre Migration aus der Türkei“ im Deutschen Historischen Museum vor, aber nicht regulär im Schausaal, sondern außerhalb im Schlüterhof.

[Weitere Informationen liefert das Buch von Manuel Gogos: Das Gedächtnis der Migrationsgesellschaft: DOMiD - Ein Verein schreibt Geschichte(n). Bielefeld 2021. Frei verfügbar unter: Das Gedächtnis der Migrationsgesellschaft bei transcript Verlag (transcript-verlag.de)]

Sieben Jahre später fiel in Köln der Ratsbeschluss, das Museum in Kalk zu beheimaten. Der seitdem laufende Aushandlungsprozesse zwischen DOMiD-Akteur:innen auf der einen und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, der Bundesregierung sowie diversen Stiftungen und Vereinen auf der anderen Seite demonstriert zugleich das Ringen um Sichtbarkeit des Themas Migration.

Ein langer Weg: Das Projekt hat einen Vorlauf von Jahrzehnten

Die Wichtigkeit eines Projekts wie das HdE stand dabei eigentlich nie zur Debatte. Angesichts der in Deutschland grassierenden Diskriminierung von Menschen mit Migrationshintergrund, rassistisch motivierten Morden und einer rechtsextremen Partei im Bundestag bleibt eigentlich nur die Frage, wie es sein konnte, dass die Mitglieder 30 Jahre lang für ihre Vision kämpfen mussten.

Sebastian Restorff

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