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Kultur: Exitus im Möbelhaus

Uraufführung in Bonn: Steffen Schleiermachers Musiktheater „Kokain“

Man setze ein Karnickel vor eine Möhre: Es frisst nur das Grüne. Man setze zwei Karnickel vor zwei Möhren: Sie fressen ebenfalls nur das Grüne. Dieses allerdings ratzeputz (weshalb eine nackte Möhre an sich schon ziemlich traurig aussieht). Das war uns neu. Was wir hingegen schon immer wussten, ist, dass Pressekonferenzen vor Uraufführungen eher kontraproduktiv sind. So auch jetzt in der Bonner Bundeskunsthalle, wo in der Reihe „Bonn chance!“ mit „Kokain“ das zweite Musiktheaterwerk des Leipziger Komponisten und Pianisten Steffen Schleiermacher uraufgeführt wurde.

Es fängt damit an, dass Klaus Weise, der Intendant des Bonner Theaters, den Namen der Regisseurin nicht recht erinnert („Es gibt ja jetzt so viele Frauen, die alle gleich heißen.“), und es hört damit auf, dass er befindet, die Gesellschaft verstehe sich längst nicht mehr: „Warum sollen dann ausgerechnet wir, die Theaterschaffenden, uns verstehen?“ Dazwischen wird relativ rasch klar, dass es mit dem Verständnis auf dem Podium in der Tat nicht sehr weit her ist. Der Dramaturg müht sich redlich, der Dirigent ist gar nicht erst erschienen, Barbara Beyer, die Regisseurin, erklärt, dass sie dem Stück „sein Geheimnis“ lassen wollte, und der Komponist nennt die Namen Strawinsky und Varèse und betont, dass er szenisch mehr an ein Schattenspiel gedacht habe.

Die Frage „Schattenspiel – ja oder nein?“ allerdings hätte der dramatischen Qualifikation von Schleiermachers Partitur auch nicht aufgeholfen. Nun gibt es in der Musiktheaterproduktion der Moderne etliche Beispiele für die intelligente, provokative, ebenso lustvolle wie militant lustlose Verweigerung jenes Musters, das besagt, dass auf der Bühne stets aus einem Konflikt Funken zu schlagen seien (von Kagel bis Hölszky). Gemessen daran hat Steffen Schleiermacher ein doppeltes Problem. Erstens interessiert ihn das Theatralische als erregende, Leben verdrängende Ausstülpung des Innersten ins Äußerste nicht die Bohne; und zweitens hat er sich – intuitiv? – mit Walter Rheiners Prosatext „Kokain“ einen Stoff und eine Librettovorlage gesucht, die bestenfalls novellistische oder lyrische Züge besitzt.

Das Stück verhandelt die letzten Stunden eines Kokainsüchtigen, Tobias, der in Nummero 1 und 2, Ich und Über-Ich, eine faustische und eine mephistophelische Figur gespalten ist und alle Stadien seiner Krankheit absolviert: Rausch, Wahn, Entzug, Lähmung, Hingabe, Tod. Viele Grüße vom Bahnhof Zoo.

Und selbst wenn dies, naturalistisch gesehen, der Wahrheit entsprechen sollte: Schleiermacher gelingt es nicht, das, was an Ängsten und an Wahrnehmungsverrückung, an schlierigen Abgründen Rheiners Sprache prägt, in Musik zu fassen. Von Anfang an lastet eine gravierende Mattigkeit über diesem Abend. Da sitzen die Mitglieder des Bonner Beethoven Orchesters in konventioneller Kleinbesetzung (Streichquartett, Bass, Holz, Blech, Klavier und Schlagwerk) mitten im Bühnenbild herum und produzieren unter der engagierten Leitung von Thomas Wise nichts als achselzuckende Töne.

Mal kommen diese als bleierne Klangsäulen daher, mal hält die Basstuba mit Tobias2 Zwiesprache (ein hübsches dreckiges Lachen und sehr spielfreudig: Holger Falk), mal klingelt minutenlang nur ein imaginäres Telefon, und mal wird mit Requisiten rhythmisch ein bisschen Rambazamba gemacht. Szene für Szene, Librettovers für Librettovers. Im Grunde genommen aber ist es schon peinlich, dass das Wort Kokain in diesem Stück überhaupt vorkommt, noch dazu gesungen, als laszives Ostinato, als vierstimmiger Chor.

Barbara Beyer und ihr Bühnenbildner Frank-Tilmann Otto machen vergleichsweise das Beste aus all dem, indem sie diese stocknüchterne Zustandserörterung, tja, wohl in die Bettenabteilung eines Möbelhauses verlegen. Die finale Halluzination in ihrer finalen Trostlosigkeit (Rheiner starb 30-jährig von der Welt vergessen in einer Charlottenbuger Wohnung), die vergesellschaftete Einsamkeit. Hier stranden die Figuren, hier zieht sich Tobias1 (vergrippt, aber tapfer den hysterischen Gesangslinien folgend: Mark Rosenthal) die Bettdecke über den Kopf, hier schiebt seine Frau, die zugleich die Prostituierte gibt, mit grässlich schnippenden Fingern kleine Zettelchen unter die Kopfkissen, hier feiert der Rest der Personage eine alberne Party. Viele Beyer-Ideen, die von der Atmosphärelosigkeit der Schleiermachschen Musik achtlos in die Luft gepustet werden.

Kurz vor Ende dann doch noch ein bisschen echte Theatralik: Ein blutrotes Kabinett öffnet sich, und Marion erscheint (stark: Daniela Strothmann), die Erlöserin, eine schöne Blonde mit Engelsflüglein, die hier allerdings auch nichts und niemanden mehr retten kann. Schade eigentlich. Die beiden wohlgenährten Kaninchen nämlich, die 75 Minuten lang von Bett zu Bett gehoppelt sind, von ausgelegter Möhre zu ausgelegter Möhre, hätten sicher gerne noch ein bisschen weiter am frischen Grün geknabbert.

Christine Lemke-Matwey

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