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Kultur: Fabrikfest

Berliner Philharmoniker: das Jubiläumskonzert

Richard Wagner hätte gewiss die nachdrücklichsten Bedenken gehabt, das Vorspiel seines „Parsifal“, den er ursprünglich nur dem Bayreuther Theater vorbehalten wissen wollte, an einem stillgelegten Industriestandort zu vernehmen. Gestern hat die Welt es erlebt: alle diese Abendmahls-, Grals- und Glaubensmotive des Bühnenweihfestspiels im Kabelwerk Oberspree (KWO). Die Berliner Philharmoniker sind mit ihrem Chefdirigenten Simon Rattle aus ihrer Philharmonie hinausgezogen in den Osten der Stadt. Hier, wo sich Ende des 19. Jahrhunderts Industrie angesiedelt und in der DDR leistungsfähige Kombinate aufgebaut hatten, kamen Schließungen nach der Wende schneller als erwartet. Da aber die architektonisch imposanten Industriedenkmäler aus der Gründerzeit des Orchesters stammen, spielen die Philharmoniker das Jubiläumskonzert zu ihrem 125-jährigen Bestehen im KWO.

Eine Matinee, die zugleich das traditionelle Europakonzert des Orchesters am 1. Mai ist. Das bedingt, dass dem Hauptsponsor Volkswagen, der das Event ermöglicht, ein großes Ticketkontingent zukommt. So schließt die Jubiläumsfeier viele Fans aus. Aber man sieht doch bekannte Gesichter im Publikum, weil der Sponsor nachträglich Tickets freigestellt hat. Live-Übertragungen vielerorts. Und eingeladen zum Konzert sind Abonnenten, die ihr Abo seit 50 Jahren besitzen. Eine schöne Geste für eherne Philharmonikerfreunde.

Die lange Halle betretend, betrachten wir Eisenträger, Galerien, verlassene Maschinen. In der Höhe flutet Sonnenlicht. Es ist kaum möglich, nicht an die Menschen zu denken, die hier ihren Arbeitsplatz hatten. In der Halle, die tot ist, weil sie ihre Funktion verloren hat, wird gefeiert. Eine gewisse Traurigkeit lässt sich schwer abtun. Das Konzert heißt „Das Jahr 1882“. Es ist das Uraufführungsjahr des „Parsifal“. Dessen Gralsthemen wollen sich der Fabrikhalle schwer anpassen, klingen eher hart als geheimnisvoll.

Aber die Philharmoniker sind ein Brahms-Orchester, und nun heißt es wirklich jubilieren. Seit der Komponist das junge Orchester selbst dirigiert hat, gibt es diese Tradition, inbegriffen die Eroberung der Musiker durch Claudio Abbado mit Brahms. Das Doppelkonzert für Violine und Violoncello aus den eigenen Reihen zu bestreiten, ist für diese Philharmoniker kein Problem. Zum Fest jedoch haben sie sich die Virtuosen Lisa Batiashvili und Truls Mørk eingeladen, die einen grazilen, nachdenklichen, brillanten Dialog miteinander und mit dem Orchester führen. Was für eine feine Musik! Die vierte Symphonie scheint bei Rattle wiederum vor Dramatik zu zerspringen. Dabei bleibt die Passacaglia streng in der barocken Form, mit lieblichem Flötensolo von Andreas Blau, scharfen Details und Leidenschaft in den Steigerungen. Es ist eine der stimmigsten Klassikinterpretationen Rattles.

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