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Kultur: Fall-out der Bilder

Von Christian Schröder Der Titel klingt wie ein S.O.

Von Christian Schröder

Der Titel klingt wie ein S.O.S.: „Here is New York“. Die Austellung ist ein Überlebenssignal aus einer schwer verwundeten Stadt. New York zeigt uns seine Wunde: Ground Zero. Inmitten des Schmerzes und der Ratlosigkeit nach den Anschlägen auf das World Trade Center nimmt sich die Geschichte dieses Ausstellungsprojekt wie ein kleines Wunder aus. Gleich nach dem 11. September hatten vier New Yorker – der Schriftsteller Michael Shulan, Charles Traub von der School of Visual Arts, die Kuratorin Alice Rose George und der „Magnum“-Fotograf Gilles Peress – begonnen, Bilder zu sammeln, die die Katastrophe dokumentieren. Profis und Amateure brachten ihre Fotos vorbei, aus jeder Einsendung wurde mindestens eine Aufnahme ausgewählt. Vom 28. September an waren die Bilder in einer ehemaligen Modeboutique an der Prince Street zu sehen, fünfzehn Häuserblocks und etwa einen Kilometer vom Schauplatz der Attacke entfernt. Sie hingen an Drähten, die durch den Raum gespannt waren, so konnte die Ausstellung immer weiter wachsen.

„Am Anfang standen vor dem Eingang immer zwei Schlangen“, erzählt Shulan. „In der einen Schlange warteten die Leute, die Bilder abgeben, in der anderen Schlange befanden sich die Menschen, die die Bilder sehen wollten.“ Bis heute ist „Here is New York“ auf einen Bestand von fast 10 000 Bildern - aufgenommen von etwa 3000 Fotografen - angewachsen. In Berlin zeigt der Martin-Gropius-Bau ab Freitag eine Auswahl von 500 Fotos aus diesem „Archiv des Unfassbaren“ („Der Spiegel“). Die Ausstellung, organisiert von der Bundeszentrale für politische Bildung, wandert anschließend weiter durch die Republik, unter anderem nach Dresden, Düsseldorf und Hamburg.

Wahrscheinlich gibt es kein Ereignis der Geschichte, das von den Bildermedien auch nur annähernd so gut dokumentiert worden ist wie der Terrorangriff auf das World Trade Center. Im Fernsehen wurde der Einsturz der Twin Towers in Echtzeit übertragen, aus Zeitungen und Zeitschriften sind die Unglücksbilder bis heute nicht verschwunden. Der 11. September ist sozusagen zu Tode fotografiert worden. Übrig geblieben aus der Flut der Aufnahmen sind die immer gleichen Motive: die entführten Passagierflugzeuge bei ihrem Anflug auf die Hochhäuser, der majestätische Feuerball nach dem Aufprall, der Einsturz, die Staubwolke, Passanten auf der Flucht. Doch diesen millionenfach reproduzierten Images haftet kein Schrecken mehr an, sie wirken in ihrer Vertrautheit sogar beruhigend. Bei „Here Is New York“ kehrt der Schrecken zurück. Gerade weil viele der dort versammelten Fotos technisch alles andere als perfekt sind, scheint sich die Hilflosigkeit, die Trauer und Wut des 11. September und der Tage danach unmittelbar auf ihnen eingebrannt zu haben. Und es gibt tatsächlich Bilder vom 11. September zu sehen, wie man sie noch nicht gesehen hat.

Die Präsentation im Gropius-Bau imitiert die New Yorker Ad-hoc-Installation. Die Din-A-4-großen Fotoabzüge sind wie Handtücher in Einer-, Dreier- und Viererreihen mit Clips an Draht-Wäscheleinen befestigt. Wenn man an diesen Reihen entlang läuft, hat man den Eindruck, durch ein privates Fotoalbum zu flanieren. Die Reihenfolge der Bilder folgt keiner Hierarchie, alle Bilder sind gleich wichtig, wie Zeugen in einem Strafprozess.

Motivgruppen kehren immer wieder, die Bilder formieren sich zu Themenblöcken. Menschen in Angst, Verzweiflung, Erschöpfung. Ein schwarzer Polizist, dessen Hinterkopf maskenartig von einer weißen Staubschicht überzogen ist. Eine weinende Muslimin mit Kopftuch. Silhouettenhaft verwackelte Gestalten im Fall-out der pulverisierten Hochhäuser. Ein Priester beugt sich über einen Verletzten auf einer Bahre, von dem unter Decken und Atemschläuchen nur die Augen zu erkennen sind. Trauernde, die sich umarmen. Apokalyptische Orte in surrealer Schönheit. Eine halb verschüttete Couchgarnitur in einem leeren Foyer, im Vordergrund scheint ein hölzernes Kirmespferd zum Sprung anzusetzen. Pfeiler der World Trade Center-Fassade, die ein Kreuz formen. Manhattans nächtlich illuminierte Skyline, von Brooklyn aus fotografiert, Lichter tanzen auf dem Wasser, weit hinten steigt weißer Rauch auf. Inschriften als Notizen eines kollektiven Spontantagebuchs. „We Are Not Afraid“, mit dem Finger in den Staub auf ein Fenster geschrieben. „Our tears will be their blood“, droht eine andere Handschrift. Ein Aufkleber auf einer Backsteinwand: „I will not be terrorized“. Schließlich ein Transparent: „PEACE“.

Die Chronologie springt vor und zurück, neben den Trümmerpanoramen vom Ground Zero hängen, ein irritierender Perspektivwechsel, auch Bilder, auf denen das World Trade Center noch stolz und wie neu aufragt. Vor dem 11. September hatte man sich nicht ausmalen können, dass dieses jahrzehntelang höchste Bauwerk der Welt von einem einzigen Terrorschlag ausgelöscht werden könnte. Heute fällt es schwer, sich das Gegenteil vorzustellen: Dass dieses Doppelturmhaus, das in der Sonne golden glitzerte, tatsächlich einmal existiert hat. Einige Bilder in „Here Is New York“ gehen bis an die Grenze des Zumutbaren, einige auch darüber hinaus. Ein Foto zeigt ein abgerissenes Bein: ein blutiger Klumpen Menschenfleisch, der Fuß steckt noch in einer Socke. Auf einem anderen Bild liegt ein Toter zwischen U-Bahn-Gleisen.

Die Ausstellung trägt den Untertitel „Die Demokratie der Bilder“, für europäische Ohren mag das hochtrabend klingen. „Was am 11. September geschah, traf alle New Yorker gleichermaßen“, sagte Initiator Charles Traub bei der gestrigen Pressekonferenz. „Deshalb haben wir uns entschlossen, die Bilder ganz gewöhnlicher Menschen auszustellen. Jedes Foto erzählt eine persönliche Geschichte, zusammen erzählen die Fotos die Geschichte einer Stadt, die sich nicht aufgibt.“ Über www.hereisnewyork.org werden Abzüge der Bilder im Internet vertrieben, der Erlös geht an Kinder der Opfer. In New York lag ein sakrales Schweigen über den Ausstellungsräumen. „Here is New York“ ist auch eine Totenklage.

Martin-Gropius Bau, Niederkirchnerstraße, 5. Juli bis 7. Oktober. Mo sowie Mi bis So 10-20 Uhr.

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