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Beschlagnahmt. Das Bundeskriminalamt lagert die heiße Handelsware mit Bildern aus russischen Beständen derzeit in seinem Keller in Wiesbaden. Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

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Falsche Kunst: Massenweise Malewitschs

Was zeigt der neue Fälscherskandal um die Russische Avantgarde? Die Gier der Neureichen nach Großkunst ist unersättlich.

Es klingt wie die Vorlage für einen Hollywoodfilm: In 28 Wohnungen, Galerien und Büros in Deutschland wurden vergangene Woche Razzien durchgeführt, mehr als 100 Ermittler des Bundeskriminalamts waren im Einsatz, um einem Kunstfälscherring das Handwerk zu legen. Ergebnis der Durchsuchungen: In den vergangenen Jahren wurden mehr als 400 gefälschte Bilder der Russischen Avantgarde für Millionenbeträge verkauft – darunter vermeintliche Werke von Natalia Gontscharowa, Malewitsch, Kandinsky, Jawlensky und Larionow.

Zwei Tatverdächtige sind in Wiesbaden festgenommen worden: der Israeli Itzhak Z. (67) und der Deutsch-Tunesier Moez Ben H. (41). Die Polizei vermutet, dass beide Fälscher von 2006 bis 2010 eine Galerie in Wiesbaden betrieben, um die Echtheit der Bilder institutionell zu bekräftigen. Sie sollen Zwischenhändler eines internationalen Fälscherrings gewesen sein, der von Israel aus seine Geschäfte in Russland, Deutschland, Spanien, Frankreich und der Schweiz betrieb. Mehr als 1000 Zeichnungen und Bilder – allein im Bundesgebiet – wurden bereits beschlagnahmt.

Das sind die ersten Auswirkungen eines Skandals von noch unbekanntem Ausmaß. Wobei es schwierig werden dürfte, einen genauen Tathergang zu rekonstruieren, schließlich waren in der langen Zeitspanne nicht nur verschiedene Händler, sondern auch diverse Museen, Galerien, Auktionshäuser, Gutachter und andere Zwischenstationen an den Verkäufen beteiligt. Ein internationaler Personenkreis müsste befragt werden. Das stellt abermals die Operationsgrundlagen des globalisierten Kunsthandels in Zweifel. Denn schon vor Jahren gab es – etwa mit dem Gutachten des russischen Kunsthistorikers Konstantin Akinsha gegen ein Bild von Liubov Popova – erste Anzeichen dafür, dass einige der auf dem Markt befindlichen Bilder der Russischen Avantgarde gefälscht sein könnten.

Viele Museumsdirektoren, Galeristen und vor allem Privatpersonen hielt das allerdings nicht davon ab, die umstrittenen Werke zu erwerben. Wie weit reicht der Kreis der Verdächtigen? „Wir sind noch ganz am Anfang“, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiesbaden. „Momentan wissen wir nicht einmal, ob sich unter den beschlagnahmten Bildern vielleicht doch Originale befinden.“ Vor Vorverurteilungen sei also gewarnt. Schuld und Unschuld, Wissen und Unkenntnis bewegen sich besonders hier in einem kaum überschaubaren Graubereich.

Das zeigt der Fall um das Museum Moderner Kunst Wörlen in Passau, das nach Berichten der „Süddeutschen Zeitung“ zusammen mit dem Händler Michael Kroll und der „Russian Avantgarde Art Foundation“ (RAAF) in der Ausstellung „Revolution in der Kunst“ einige der umstrittenen Werke gezeigt haben soll. Ist das Museum auf einen Schwindel hereingefallen? Die Ausstellungsmacher betonen in einer Erklärung, die Bilder seien, „soweit irgend möglich, durch Gutachten abgesichert“ gewesen. Auch seien „etliche Werke, etwa von Natalia Gontscharowa“ bereits durch Standardpublikationen bekannt. „Die Werke aus der Sammlung sind zwei Mal vom Zoll München kontrolliert worden, auch das LKA Bayern war über die Einfuhr und die Präsentation in Passau informiert.“ Und: Von polizeilichen Ermittlungen „im Zusammenhang mit den in Passau gezeigten Werken russischer Avantgarde“ wisse man nichts. Museumsleiterin Josephine Gabler gegenüber dem Tagesspiegel: „Die Werke, die wir gezeigt haben, sind gar nicht Teil des Untersuchungsverfahren. Da wurden in der ‚SZ’ Dinge vermischt, die nicht zusammengehören. Besonders leid tut mir Herr Kroll, der seine Sammlung liebt und jetzt zu Unrecht verunglimpft wird.“

Viele Experten sind überfordert im Umgang mit der Moderne

Beschlagnahmt. Das Bundeskriminalamt lagert die heiße Handelsware mit Bildern aus russischen Beständen derzeit in seinem Keller in Wiesbaden. Foto: Fredrik von Erichsen/dpa

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Ob sich die Passauer Ausstellung nun als Fehler erweist oder nicht: Das Dilemma steht für die aktuellen Unwägbarkeiten im Umgang mit der Kunst der Moderne überhaupt. Viele Experten sind überfordert, weil ständig neue Bilder auftauchen. Selbst profunde Kenner ziehen sich aus der Gutachtertätigkeit zurück, weil sie wissen, dass ihre Reputation auf dem Spiel steht. Viele falsche Entscheidungen beruhen auf strukturellen Fehlern des Systems. Einerseits wollen Museen und Galerien stets den nächsten Coup landen, andererseits müssen sie wegen der wachsenden Zahl an Fälschungen besonders vorsichtig sein. Der Spagat gelingt nicht immer.

Wie gingen nun die Fälscher von Wiesbaden vor? Bislang ist nur klar, dass sich die Kunst der Russischen Avantgarde besonders gut für Fälschungen eignet. Es gibt immer noch Farbe, Leinwände und Rahmen aus den 20er und 30er Jahren, die bei den Falsifikaten verwendet werden und sich bei Prüfungen als historisch echt erweisen. Vor diesem Problem steht auch das Untersuchungslabor Jägers in Bornheim bei Köln, das einige der gehandelten Werke als Fälschungen ausgewiesen, in anderen Fällen aber positive Gutachten ausgegeben hat. Erhard Jägers, Leiter des mikroanalytischen Labors: „Wir sind Naturwissenschaftler. Wir können nur die Echtheit des Materials verifizieren – etwa dass es aus den zwanziger Jahren stammt. Wir können nicht sagen, ob der untersuchte Gegenstand das Werk eines bestimmten Künstlers ist. Das müssen Kunsthistoriker tun.“

Doch das fällt immer schwerer. In Russland gibt es viele Fälscher, die auf das schnelle Geschäft aus sind und sich in schmuddeligen Ateliers für einige Rubel an die Arbeit machen. Anschließend heißt es dann, auf einem Dachboden sei ein neuer Malewitsch gefunden oder auf einem Flohmarkt in Novosibirsk von einer alten Dame gekauft worden. So einfach ist es, und manchmal so wahr. Andererseits lassen sich mit originalen Materialien die Experten womöglich leichter überlisten.

In anderen Fällen ist der Wunsch, einen echten Kandinsky vor sich zu haben, derart übermächtig, dass Zweifel schlicht verdrängt werden. Hinzu kommt das Chaos am russischen Markt: Durch den jüngsten Wirtschaftsboom ist das Sammeln von Kunst zu einem Hobby vieler Dilettanten geworden. Selbst Putin hat ein gefälschtes Bild gekauft. Zumeist wird jedoch von großen Strafverfahren abgesehen, da sich die neureichen Kunstsammler, zumeist ahnungslose Oligarchen, vor dem Gesichtsverlust fürchten. Die Konsequenz: ein inflationärer Handel mit russischen Werken, der sich bis in die hintersten Winkel Europas erstreckt.

Die Chancen auf eine strukturelle Lösung des Problems sind gering, denn das Geschäft macht viele Menschen reich. Und im Zweifel hat man nichts gesehen und gewusst. Schon die Skandale um den Kunstkenner Werner Spies und die durch ihn autorisierten Fälschungen des unlängst verurteilten Wolfgang Beltracchi haben gezeigt, dass die Techniken der Fälscher immer besser und die Authentifizierungsmöglichkeiten immer geringer werden. Das liegt auch an der Gier des Marktes. Immer mehr Beteiligte sind bereit, Millionen für ein vermeintliches Großkunstwerk auszugeben. Auch für die Zukunft heißt das: Der Rubel rollt.

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