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Kultur: Familie und andere Katastrophen

Hit aus Dänemarks Dogmafabrik: „Kleine Missgeschicke“, der Berlinale-Erfolg von Annette K. Olesen

Von Susanna Nieder

Erwachsen werden ist ein schwieriges Geschäft. Die meisten brauchen lange, manche schaffen es nie. Man hangelt sich durchs Leben und sucht sich Verbündete, die die eigenen Unzulänglichkeiten ausgleichen. Doch plötzlich fällt jemand aus, und das ganze wackelige Gebäude stürzt in sich zusammen.

So geht es der Familie von Ulla, als sie unters Auto kommt und von einer auf die andere Minute nicht mehr da ist. „Kleine Missgeschicke“ erzählt, wie ihr Mann John und die drei Kinder Eva, Tom und Marianne diesen Verlust vor den Latz geknallt kriegen. Gleichzeitig bricht bei Johns Bruder Sören und dessen Frau Hanne die Ehekrise aus.

Und wie gehen sie damit um? Zunächst wird verdrängt, was das Zeug hält. Erst mal so weiter wie bisher! Tom stürzt sich Hals über Kopf in die Arbeit, John hält sich die Realität mit Scherzen vom Leibe, Marianne, das Nesthäkchen mit dem schiefen Scheitel und den Kinderklamotten, das mit 29 noch immer am Nest festgehakt ist, verkrallt sich noch verbissener. Eva, die künstlerisch unproduktive, aber dafür umso überdrehtere große Schwester, behauptet, der Tod der Mutter sei ihr völlig egal, und Sören, anstatt sich mit seinen diversen Problemen auseinander zu setzen, stellt sich taub. Das geht nicht lange gut.

„Kleine Missgeschicke“ ist nicht ganz so dicht wie „Italienisch für Anfänger“, der letzte Hit aus Dänemark, oder die Familiengeschichte „Lügen und Geheimnisse“ (1997) von Mike Leigh, dessen Improvisationstechnik Annette K. Olesen (Regie) und Kim Fupz Aakeson (Buch) sich zum Vorbild genommen haben. Die Geschichten der einzelnen Figuren entfalten sich in gemächlichem Tempo, der Zusammenhang einer um Balance ringenden Familie ergibt sich erst nach und nach. Große Realitätsnähe geht eben oft auf Kosten der Dramatik, dafür ist man diesen Typen schon begegnet, durchaus in der eigenen Familie, vielleicht sogar im Spiegel.

Der Wiedererkennungseffekt ist eins der Vergnügen dieses Films, ein anderes die wunderbare Ensembleleistung. Maria Würgler Rich als Marianne wurde auf den letzten Filmfestspielen als Jungstar gefeiert, Jesper Christensen war in „Italienisch für Anfänger“ Olympias dick bebrillter, unversöhnlicher Vater, Henrik Prip einer von Lars von Triers „Idioten“. Die Kollegen stehen ihnen in nichts nach, darauf ist in jeder Szene Verlass.

Es wird tragikomisch, als Eva die Grenzen verwischende Art, wie Marianne und John sich von der Welt abschotten, als sexuelle Beziehung interpretiert und den Vater damit in eine Herzattacke treibt. Plötzlich begreifen alle, dass bald der nächste seinen Abgang macht, wenn sie sich nicht zusammenreißen. Und plötzlich passieren sie doch, die kleinen Wunder. Tom lehnt einen Auftrag ab, Marianne macht einen Schritt nach draußen, Sören kriegt die Zähne auseinander und Eva hält endlich mal die Klappe. „Kleine Missgeschicke“, auf den Filmfestspielen als bester europäischer Film ausgezeichnet, hat die Zärtlichkeit und Komik, die jeder Mensch braucht, der seine Familie überleben will.

Capitol, Hackesche Höfe, International, Kino in der Kulturbrauerei, Neue Kant Kinos, CineStar im Sony-Center (DänmdtU)

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