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Beinahe glücklich. Wanda (Maria-Victoria Dragus) und ihre Mutter (Nicolette Krebitz).

© Verleih

Familiendrama mit Nicolette Krebitz: Heile, heile Leben

Auffallend viele deutsche Filme erzählen derzeit von dysfunktionalen Familien. In Friederike Jehns Coming-of-Age-Geschichte „Draußen ist Sommer“ versucht eine 14-Jährige, die Ehe ihrer Eltern zu retten.

Glück ist flüchtig. Es lässt sich nicht festhalten. Wer diese Lektion gelernt hat, ist auf dem besten Weg, erwachsen zu werden. Vater, Mutter, drei Kinder sind gerade aus Stuttgart in die Schweiz gezogen, in einen malerisch an einem Hang gelegenen Bungalow mit großem, halb verwildertem Garten. Hier könnte alles gut sein, noch einmal gut werden mit der Familie, von der Friederike Jehns Film „Draußen ist Sommer“ handelt. Aber nichts ist gut, schon lange nichts mehr. Der Vater hat die Mutter betrogen, und dieser Vertrauensbruch überschattet von Anfang an den Versuch eines Neuanfangs in der Fremde. Das Glück ist nur noch eine Erinnerung – und eine Sehnsucht.

Erzählt wird „Draußen ist Sommer“ aus der Perspektive der 14-jährigen Wanda. Maria-Victoria Dragus, die für ihre Rolle als Pfarrerstochter in Michael Hanekes Historiendrama „Das weiße Band“ den Deutschen Filmpreis erhalten hatte, spielt dieses Mädchen in einer wunderbaren Mischung aus Trotz und Neugier. Wanda ist noch ein halbes Kind, überfordert von zu vielen Veränderungen, und schon eine halb Erwachsene, bemüht, die depressive, immer apathischer werdende Mutter (Nicolette Krebitz) zu entlasten. Der Vater (Wolfram Koch) flieht vor den Konflikten tagsüber in die Arbeit und nachts auf ein Sofa im Keller.

In einer der besten und beklemmendsten Szenen des Films versucht die Tochter, ihre Eltern wieder zusammen zu bringen. Sie holt den Vater aus dem Keller und zieht die Mutter aus dem Bett, versammelt die ganze Familie am Abendbrottisch. Es gibt Eintopf mit Würstchen, es soll ein Bild wie aus der Fernsehwerbung werden, die Nachinszenierung der Familienidyllen, die Wanda mit ihrem Fernglas in den Nachbarhäusern beobachtet hat. „Jetzt musst Du sagen: Wie geht es Dir heute?“, sagt sie zum Vater, und die Mutter fordert sie auf: „Du musst sagen: Wunderbar, und dann fragen: Wie war es in der Firma, Schatz?“ Die Eltern tun, was sie sollen, doch bei der letzten Regieanweisung – „Jetzt müsst Ihr Euch küssen!“ – wenden sie sich voneinander ab.

Man kann in „Draußen ist Sommer“ einer Familie dabei zuschauen, wie sie langsam zerbröselt. Es ist kein Ehedrama voller Geschrei und Gefühlsaufwallungen, nur die so alltägliche wie tieftraurige Geschichte einer schleichenden Entfremdung. Bezeichnend ist, wie Wandas vier- oder fünfjähriger Bruder darauf reagiert: Er hat aufgehört zu sprechen. Und es gibt immer wieder Momente, in denen sich die Eltern einander wieder nähern, wenn sie noch einmal zu ihrem Lieblingschanson miteinander tanzen und der Vater sagt: „Das hab’ ich nicht vergessen.“ Aber dann klingelt das Telefon, und die Mutter hört am anderen Ende das Schweigen seiner Geliebten.

Von dysfunktionalen Familien haben zuletzt auffällig viele deutsche Kinofilme erzählt, etwa Hans-Christian Schmids Dreigenerationendrama „Was bleibt“ oder Kirsi Marie Liimatainens Gewaltstudie „Festung“ über einen prügelnden Vater. „Draußen ist Sommer“ folgt konsequent den Blicken und den Schritten seiner halbwüchsigen Heldin, und weil in diesem Film auch eine Coming-of-AgeGeschichte steckt, wirkt er weniger düster. Drinnen, in dem mit Umzugskartons vollgestellten Bungalow, vollzieht sich ein leiser Krieg. Aber draußen ist tatsächlich Sommer, ein schöner, sonnendurchfluteter Sommer, in dem Wanda ihre Kindheit hinter sich lässt. Sie geht ins Freibad, verliebt sich in den jugendlichen Bademeister, betrinkt sich bei einer Party, wird von einem Nachbarn bedrängt. Die Ehe ihrer Eltern kann Wanda nicht retten. Doch das Leben liegt vor ihr.

Babylon Mitte, Sputnik, Zukunft

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